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Wie weiter mit der PDS?

15.10.2002: Ein Kommentar nach dem Parteitag in Gera

  
 

Forum Wissenschaft 4/2002; Titelbild: E. Schmidt

Nach dem Scheitern an der 5%-Hürde im Bundestag steckt die PDS in einer Krise. Die Wahlergebnisse werden analysiert und interpretiert und die daraus zu ziehenden Schlüsse kontrovers diskutiert. Insbesondere an der Frage der Voraussetzungen für Regierungsbeteiligungen scheiden sich die Geister. Ulla Jelpke kommentiert die Ergebnisse des Parteitages in Gera und plädiert für mehr innerparteiliche Demokratie und die stärkere Einbeziehung außerparlamentarischer Bewegungen.

Der Ausgang der Bundestagswahlen ist für die PDS eine schwere Niederlage. Zwar ist der Kanzlerkandidat von CDU/CSU Edmund Stoiber gescheitert, die Fraktionen von CDU/CSU und FDP sind jedoch gegenüber 1998 gestärkt. Die PDS dagegen hat ein Fünftel ihrer WählerInnen verloren - für mich und sicher auch für viele andere Ausdruck eines politischen Rechtsrucks. Für die außerparlamentarische Linke ist das Wahlergebnis ebenfalls ein Rückschlag. Die PDS-Bundestagsfraktion als parlamentarische Unterstützung, als Hilfe bei Repression oder Schikane durch Behörden und vor allem für die Verbreitung von berechtigten Anliegen an eine breitere Öffentlichkeit - das und auch eine Menge Logistik wird in Zukunft wegfallen. Antifaschistische Demonstrationen, die von Bundestagsabgeordneten angemeldet wurden, wird es in nächster Zeit ebenso nicht mehr geben wie Kritik aus dem Bundestag an Polizeiübergriffen gegen solche Demos. Verbände und Bewegungen, die linke, emanzipatorische Anliegen in der Öffentlichkeit verbreiten wollen, werden aus dem Bundestag in den nächsten vier Jahren kaum Unterstützung erhalten. Für BürgerrechtlerInnen, DatenschützerInnen, Antifa, GlobalisierungskritikerInnen, antimilitaristische Kräfte, Gewerkschaften, Initiativen gegen Sozialabbau und andere mehr wird es schwerer werden, ihren Anliegen im Parlament Gehör zu verschaffen. Auch wenn das manche nicht wahrhaben wollen - die gesamte Linke, parlamentarisch wie außerparlamentarisch, ist durch den Wahlausgang geschwächt.

Über die Ursachen des Wahldebakels wird in der PDS noch lange nachzudenken und zu beraten sein. Der Parteitag Mitte Oktober in Gera konnte da nur ein Auftakt sein. Die PDS ist es sich und anderen schuldig, der Debatte den nötigen Raum zu geben. Raum und Zeit auch für die außerparlamentarischen Bewegungen und Organisationen, die die PDS in der Vergangenheit begleitet haben, die ihre Anforderungen an die parlamentarische Arbeit formuliert haben und ihr mit ihren Kenntnissen, Anregungen und Kritiken oft hilfreich zur Seite standen.

Hauen und Stechen

Was dagegen vor dem Parteitag in Gera aus dem Parteivorstand an die Öffentlichkeit drang, war ein Hauen und Stechen um Posten. In der ohnehin schon während des Wahlkampfes erkennbar zerstrittenen PDS-Führung hatte nach den Wahlen eine heftige Polarisierung eingesetzt. Diese Polarisierung zwischen dem damaligen Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch auf der einen und der Parteivorsitzenden Gabi Zimmer auf der anderen Seite entwickelte sich bis Gera weitgehend ohne inhaltliche Einbeziehung breiter Teile der Partei und drohte die Partei an den Rand einer Spaltung zu treiben. Dass der Bush-Entschuldiger Roland Claus ernstlich meinte, er könne als "Kompromiss" aus dem Streit zwischen beiden Lagern als neuer Parteivorsitzender hervorgehen, machte den Konflikt geradezu grotesk.

Für die Außenwelt entstand so vor dem Parteitag der Eindruck von weiterem Zerfall. "Duell der Verlierer" und ähnlich lauteten die Schlagzeilen in der Presse. Inhaltlich wollten Dietmar Bartsch und andere Berliner AntragstellerInnen die Partei offen weiter sozialdemokratisieren. Schon unmittelbar nach den Wahlen hatte Bartsch in der Bundestagsfraktion eine "Richtungsentscheidung" auf dem kommenden Parteitag und damit die Ausgrenzung linker Positionen gefordert. Der Antrag von Bartsch & Co. beinhaltete dementsprechend weder eine ehrliche Wahlanalyse, noch überprüfte er die Politik der PDS vor allem in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, die in meinen Augen maßgeblich zur Niederlage bei den Bundestagswahlen beigetragen hat. Die Parole der Berliner AntragstellerInnen lautete schlicht: inhaltlich weiter so wie bisher, am besten ohne die Kommunistische Plattform (KPF) und andere Linke in der PDS, dafür ergänzt um ein paar junge, aufstrebende PDS-Yuppies.

Ein gemeinsamer Antrag von Gabi Zimmer und Wolfgang Gehrcke, das Wahlergebnis im Kontext des Neoliberalismus zu analysieren und die Regierungsbeteiligungen der PDS zu problematisieren, war vor dem Parteitag im PDS-Parteivorstand gescheitert. Gabi Zimmer legte daraufhin einen eigenen, weitergehenden Antrag auf dem Parteitag vor, der für eine Partei von unten steht und von einer Reihe von Delegierten - aus Sachsen, Thüringen, aber auch aus anderen Landesverbänden im Osten und Westen - unterstützt wurde.

Der Konflikt zwischen Zimmer auf der einen und Bartsch & Co. auf der anderen Seite wurde von Zimmer selbst als Konflikt innerhalb des "Reformerlagers" in der PDS eingestuft. Tatsächlich sind die inhaltlichen Differenzen zwischen beiden Lagern in wichtigen Politikfeldern auch nach dem Parteitag in Gera kaum zu erkennen. Die Empörung vieler Delegierter über Bartsch & Co. machte sich viel mehr an vielen Fragen des politischen Stils fest: an dem unverfrorenen Mobbing gegen die amtierende Parteivorsitzende, an der offenen Missachtung von Parteitagsbeschlüssen (wie z.B. dem Beschluss des Wahlparteitags, die PDS kandidiere als Oppositionspartei), an den Machtspielen und der Machtgeilheit vieler MandatsträgerInnen und FunktionärInnen in dieser Partei. Dieser politische Stil und seine ExponentInnen in der PDS sind in Gera abgewählt worden.

Bartsch & Co., die Berliner FunktionärInnen und Senatsmitglieder ebenso wie jene aus Mecklenburg-Vorpommern, stehen für eine Politik, die glaubt, aus exekutiven Machtpositionen in Partei und Regierung heraus machen zu können, was sie jeweils gerade für richtig halten. "Wir wissen, was euch gut tut!" - diese sattsam bekannte und schlechte Parole wird von dieser Gruppe ganz selbstverständlich wieder praktiziert. Missachtung von Ehrenamtlichen und "normalen" Mitgliedern, Missachtung der innerparteilichen Demokratie bis hin zur Missachtung von Parteitagsbeschlüssen, Koalitionskungeleien mit der SPD ohne Rücksicht auf Wahlversprechen und programmatische Ziele der PDS - diese Politik ist in den Augen vieler Mitglieder und Delegierter der PDS verantwortlich für die schwere Wahlniederlage.

Auf dem Parteitag bekamen die RepräsentantInnen dieser Politik, die "Regierungssozialisten", wie sie auch in der Presse eingestuft wurden, dafür die Quittung. Dass sich Leute wie Hans Modrow und Christa Luft, die Selbstgefälligkeit, Besserwisserei und Arroganz von Leuten in Machtpositionen noch aus DDR-Zeiten kennen und ablehnen, in diesem Konflikt offen auf die Seite von Gabi Zimmer geschlagen haben, spricht für sich.

Gabi Zimmer plädiert in ihrem Antrag für eine Erneuerung der PDS von "unten" und für eine Öffnung zu außerparlamentarischen Kräften. Bis Ende 2002 soll eine erste umfassende Analyse der Wahlniederlage vorgenommen werden, im Frühjahr 2003 sollen Basiskonferenzen stattfinden, auf denen die Analyse beraten und inhaltliche Schwerpunkte der künftigen Oppositionsarbeit entwickelt und beschlossen werden sollen. Bis Ende 2003 soll der Entwurf eines neuen Parteiprogramms vorliegen. Das ist inhaltlich nicht sehr präzise, zumal Aussagen darüber, wo die Grenzen bei Regierungsbeteiligungen sein sollen, fehlen. Im Unterschied zum Antrag von Bartsch & Co. wird hier wenigstens ein demokratisches Verfahren vorgeschlagen, vermutlich die einzige Chance, die die PDS zur Reorganisierung als linke Alternative und sozialistische Oppositionspartei in dieser Gesellschaft überhaupt hat. Die in diesem Papier faktisch vollzogene Absage an Hochmut und Karrierismus, an Kungelei und Anbiederung an die SPD, an Besserwisserei und Selbstgefälligkeit gegenüber den eigenen Mitgliedern und WählerInnen fand die Unterstützung von zwei Dritteln der Delegierten und damit eine klare Mehrheit auf dem Parteitag. Die Truppe um Dietmar Bartsch, Helmut Holter, Petra Pau u.a. fand sich zu ihrer eigenen Überraschung auf dem Parteitag weitgehend isoliert.

Regierungsbeteiligung auf den Prüfstand

Die Situation in der PDS ist nach dem Parteitag trotzdem weiter hoch kompliziert. Sie ist weiterhin tief gespalten. Zwischen den "Regierungssozialisten", zu denen neben Dietmar Bartsch, Helmut Holter und Petra Pau auch Roland Claus und Stefan Liebich zu zählen sind, und dem neuen Vorstand gibt es keine Kooperation, sondern tiefe, auch persönliche Zerwürfnisse. Kein Vertreter bzw. Vertreterin des "Bartsch-Flügels" ist im neuen Vorstand. Zeitweise sah es auf dem Parteitag nach einer offenen Spaltung und dem Auszug des "Regierungsflügels" aus. Diese Gräben werden bleiben. Ob diese Minderheit von "Regierungssozialisten" zu einer offenen und selbstkritischen Diskussion bereit ist, wird die Zukunft zeigen.

Auf der anderen Seite sind die inhaltlichen Positionen des neuen Vorstands auch alles andere als klar. Wohin sich die PDS in der nächsten Zeit real entwickeln wird, ist weiter offen.

Die rot-roten Regierungsbeteiligungen müssen nach dem Wahldebakel offen in der gesamten Partei debattiert werden. Es muss geklärt werden, dass Regierungsbeteiligung in der PDS kein Argument sein darf, um Grundsätze und Ziele der Partei aufzugeben oder in ihr Gegenteil zu verkehren. Für die WählerInnen muss nachvollziehbar sein, wann das Ende der Fahnenstange in solchen Koalitionen erreicht ist und wo die Bruchstellen liegen. Das gilt für Mecklenburg-Vorpommern ebenso wie für Berlin. In Mecklenburg-Vorpommern hat die PDS ein Drittel ihrer Wählerinnen und Wähler verloren. Mir ist unbegreiflich, wie nach so einem Debakel ohne Debatte in der Partei und mit WählerInnen, also ohne gründliche Aufarbeitung und Korrektur der eigenen Fehler, eine Fortsetzung der Koalition mit der SPD verkündet und beschlossen wird. Alle Anhaltspunkte zeigen, dass es so weiter gehen soll wie bisher. Wenn die PDS in Mecklenburg-Vorpommern sich nun verstärkt für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer einsetzen und sich gegen Verschlechterungen für Arbeitslose durch die Umsetzung der Ergebnisse der Hartz-Kommission wehren will, so ist das schön und gut. Aber bundespolitische Signale ersetzen nicht die viel wichtigere Korrektur eigener Fehler in der Landespolitik.

Noch wichtiger ist das für Berlin. Das jetzt vorgebrachte Argument, in Berlin habe die PDS gegenüber 1998 weniger Stimmen verloren als in anderen ostdeutschen Ländern, ist nicht überzeugend. Erstens hat die PDS in Berlin praktisch nur im Osten verloren, nicht im Westen. Zweitens hatte die PDS in Berlin schon bei der letzten Bundestagswahl 1998 - im Unterschied zu anderen ostdeutschen Ländern - weniger Stimmen erhalten als 1994. In Berlin hat die PDS also zwei Mal nacheinander bei Bundestagswahlen Stimmen verloren. Drittens strahlt die PDS-Landespolitik in Berlin wegen der größeren Beachtung in der Öffentlichkeit auch bundesweit ganz anders aus.

Wenn in Berlin die Ausstattung der Kitas drastisch verschlechtert wird, wenn Schwimmbäder geschlossen werden und die Gewerkschaften von SPD und PDS mit dem Vorwurf konfrontiert werden, faktisch aus dem Flächentarifvertrag im öffentlichen Dienst auszusteigen, dann ist das mit linker Politik und unserem Anspruch, wir wollten eine "soziale und solidarische" Gesellschaft, unvereinbar.

Fordern wir nicht seit Jahren eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung? Wie ist das mit den enormen Kürzungen vereinbar, die der SPD-PDS-Senat den Berliner Bezirken aufdrückt? Ich fürchte, wenn die PDS in Berlin so weitermacht, wird sie bei den nächsten Abgeordnetenhauswahlen noch ganz andere Stimmenverluste erleben. Wenn die PDS ihre reale Politik - in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und sicher auch anderswo - nicht gründlich und sichtbar korrigiert, dann können wir uns alle Grundsatz- und Personaldebatten sparen. Schließlich ist die Regierungspolitik der Maßstab unserer Glaubwürdigkeit.

Ausdrücklich zurück gewiesen werden muss auch nach Gera weiter jeder Versuch, die Ablehnung von Bundeswehreinsätzen im Ausland in Frage stellten. Ich erinnere mich noch genau, wie zum Beispiel Roland Claus nach dem Parteitag, auf dem Gabi Zimmer zum ersten Mal zur PDS-Vorsitzenden gewählt wurde, von JournalistInnen zitiert wurde, er sei für UN-mandatierte Einsätze, aber das könne er in dieser Partei nicht offen sagen. Von Außenminister Fischer wurde er deswegen im Bundestag öffentlich vorgeführt. Für mich ist eine solche Revision unserer Ablehnung von Bundeswehreinsätzen im Ausland - gleichgültig, ob mit UN-Mandat oder ohne - kein Gewinn an Politikfähigkeit, sondern eine Preisgabe elementarer Grundsätze.

Bürger- und Menschenrechtsfragen

Gerade bei der Frage: "Wie hältst du’s mit den Mächtigen in diesem Land?" und in der Friedensfrage kneifen immer noch viele in der PDS. Auch die aggressive Großmachtpolitik der rot-grünen Regierung auf dem Balkan, gegenüber Osteuropa (Stichwort "Zentrum gegen Vertreibung" und die Gelder für "Vertriebenenverbände") und anderswo wurde und wird weiterhin gerne ausgeblendet. Die in Gera vorgelegten Papiere zeigten auch - wie im Wahlkampf - dass eine Debatte um die Rechtsentwicklung in der Gesellschaft und über den Widerstand gegen Repression in der kritischen Selbstreflexion der PDS noch immer weitgehend ausgeblendet wird.

Die PDS-Fraktion und die Parteiführung hatten hier schon lange vor den Bundestagswahlen immer wieder geschwankt und sind Konflikten ausgewichen. Ein Forum Bürgerrechte und Demokratie - von Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bundestagsfraktion und Parteivorstand gemeinsam getragen - wurde erst ganz abgelehnt und war dann unter Verantwortung von Petra Pau bis auf eine Rechtsextremismus-Veranstaltung faktisch untätig. Ob wir im Zusammenhang mit der Osterweiterung der EU für Freizügigkeit eintreten und wie wir uns zu der zunehmenden internationalen Migration verhalten, ist bis heute offen.

Das Thema Bürgerrechte und Demokratie zu einem Wahlkampfschwerpunkt zu machen, wurde trotz erheblicher Eingriffe in Grundrechte durch die Politik Schilys abgelehnt. Die Kritik am Ausbau von Repression und Überwachungsstaat unter der rot-grünen Bundesregierung, an der Fortsetzung der Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge und MigrantInnen (Stichwort "Festung Europa"), an der Bagatellisierung von Rechtsextremismus und dem Ausbau der Geheimdienste war kein Schwerpunkt im Wahlkampf.

Die Geringschätzung solcher Bürger- und Menschenrechtsfragen, ihre Abwertung, Herabsetzung als eine Frage des "Gestus", also als Marginalie, ist vermutlich einer der wirklichen Gründe für die Schwierigkeiten der PDS, auch und besonders beim Aufbau im Westen.

Taktische Spielchen mit solchen Grundsätzen, das "vor-den-Kopf-hauen" von Mitgliedern und sozialen Bewegungen sind katastrophal. Ich erinnere noch, wie nach der Entschuldigungsarie für die SED-Vergangenheit in der Zuwanderungsdebatte die strikte Ablehnung der Abschiebung von Flüchtlingen in Frage gestellt wurde. Kurz danach entdeckten einige an Geheimdiensten gute Seiten. So etwas unterminiert jede Glaubwürdigkeit und erinnert an die negative Erfahrung West-Linker mit den Grünen.

Etwas mehr linker Liberalismus, also mehr Respekt und Eintreten für die Würde und die Rechte jeder einzelnen Person - auch im innerparteilichen Umgang - täte der PDS gut.

Öffnung zu sozialen Bewegungen

Die Erneuerung der PDS zu einer alternativen, sozialistischen Opposition bedarf m.E. einer Programmdebatte, eines Dialoges mit sozialen Bewegungen und anderen Linken über neue Entwicklungen und einen gemeinsamen Widerstand.

Dabei muss kritisch angemerkt werden, dass es auch der radikalen Linken in der PDS bisher nicht gelungen ist, sich zusammenzuschließen und überzeugende inhaltliche und personelle Konzeptionen vorzulegen und so Einfluss zu erreichen. In der jetzigen Debatte der PDS spielen radikale linke Positionen deshalb keine nennenswerte Rolle. Entwicklungen wie die zunehmende Globalisierung, der Ausbau von Geheimdiensten, der Abbau von Datenschutz und anderer persönlicher Rechte, die Repression und Militarisierung auch auf EU-Ebene durch den Ausbau von Europol, die neue Anti-Terror-Konvention und der Aufbau militärischer EU-Einsatzkräfte, aber auch die wieder zunehmende internationale Migration und die anscheinend unaufhaltsame Ausbreitung prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse in Form von "Ich-AGs", Teilzeitjobs oder Leiharbeit - solche und andere Entwicklungen müssen gemeinsam mit außerparlamentarischen Organisationen analysiert werden.

Der mit fortschreitender Globalisierung und sozialer Polarisierung von Konservativen, Grünen und Sozialdemokraten fast gleichermaßen weiter betriebene Ausbau von Repression und Abschottung, von Geheimdiensten und Militär, die zunehmende Gewaltförmigkeit von Politik nach innen und außen und die Beantwortung der Frage, wie wir dagegen gemeinsam mit den Opfern dieser Politik einen gesellschaftlich wirksamen Widerstand aufbauen können, ist ein Großproblem jeder linken Partei. Auch die PDS muss sich hier eindeutig positionieren - gegen jede Repression.

Die PDS muss unbedingt weg kommen vom Katzbuckeln und Anbiedern an Konzerne, Regierungen und Machtapparate und die Partei weit öffnen zu den sozialen Bewegungen und zum gesellschaftlichen Widerstand. Dazu gehört mehr Einfluss für Ehrenamtliche ebenso wie mehr Einfluss sozialer Bewegungen in der Partei. Im Westen wird das schon lange gefordert und zum Teil auch praktiziert, vor allem dort, wo die PDS kommunale Positionen errungen hat. Die "Regenbogenkoalition" in den USA - BürgerrechtlerInnen, MigrantInnen, UmweltschützerInnen, Schwule und Lesben, Gewerkschaften - kann da Vorbild sein. In einer imperialistischen Gesellschaft mit ihren vielen verschiedenen Milieus ist eine kluge Bündnispolitik, ein solidarischer Umgang mit solchen Bewegungen unverzichtbar.

Eine Öffnung der Partei zu den sozialen Bewegungen muss deshalb verbunden sein mit einer Wiederherstellung innerparteilicher Demokratie. Die PDS hatte nie zu viel, sondern zu wenig Pluralismus. Gleichzeitig sollte es bei dieser Debatte darum gehen, die Kluft zwischen Programm und Praxis, zwischen Worten und Taten der PDS wieder zu schließen - nicht durch Preisgabe linker, oppositioneller Grundsätze, sondern durch deren Konkretisierung und Umsetzung in reale Politik. Eine linke Partei, die Phrasen vor sich her trägt und im Konfliktfall vor den Mächtigen einknickt, ist überflüssig. Durch den Ausgang des Parteitags in Gera besteht jetzt eine Chance, dass die PDS sich ihr Profil in Richtung auf eine linke, alternative Kraft, zu einer sozialistischen Oppositionskraft in dieser Gesellschaft entwickelt.

Ob das gelingt, hängt auch davon ab, ob sich die außerparlamentarischen Bewegungen und Organisationen, mit denen die PDS Verbindungen hat, an dieser Debatte beteiligen. Ihr Sachverstand, ihre Ratschläge sind jetzt für die PDS wichtiger denn je.

Am Ende einer solchen Debatte muss eine inhaltliche Korrektur der Politik, aber auch eine personelle Erneuerung der PDS stehen - mit linken, kritischen Kräften aus Ost und West, die glaubwürdig für eine andere Politik stehen.


Ulla Jelpke war innenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Bundestag

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