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Kein Ende des Anachronismus

19.03.2015: Zum Streit um die Bekenntnisschulen in NRW

  
 

Forum Wissenschaft 1/2015; Foto: Sönke Rahn / Wikimedia Commons

Im Streit um nordrhein-westfälische Bekenntnisschulen, in Forum Wissenschaft 3/2013 von Adeline Duvivier vorgestellt, gibt es nunmehr einige Bewegung. Eine Abschaffung der religiösen Durchdringung in der Grundschullandschaft ist allerdings durch eine neue Gesetzesänderung vorerst verhindert. Christoph Horst erläutert die jüngsten Entwicklungen.

Zur Erinnerung: Bekenntnisschulen sind öffentliche und somit vollständig aus öffentlichen Mitteln finanzierte Schulen (hauptsächlich Grundschulen, nur vereinzelt Hauptschulen), an denen die Kirchen - überwiegend die katholische - die Hoheit haben. Das bedeutet im Alltag, dass religionsferne oder andersreligiöse Kinder, Lehrer_innen und Eltern in ihrem Recht auf negative Religionsfreiheit verletzt werden, indem christliche Lieder gesungen, Gebete gesprochen und Gottesdienste abgehalten werden, kirchliche Funktionäre regelmäßig die Klassen besuchen, Missionsschriften verteilt, christliche Botschaften über verschiedene Kanäle transportiert werden und vieles mehr. Besonders gut war die Profilbildung wieder zu Weihnachten zu erkennen. Die christlichen Weihnachtslieder sind ja im Empfinden der meisten längst säkularisiert, somit kaum ein Problem. An katholischen Bekenntnisschulen ist man aber dazu übergegangen, eine Kampagne gegen den Weihnachtsmann durchzuführen, weil dieser kein rein christliches Symbol ist. Zugleich wurde kindgerecht um Spenden für den Weltkindermissionstag geworben ("Power of Jesus"), Kirchenbesuche und deren Vorbereitungen fanden während des Regelunterrichts statt etc. Dies sind kleine Auszüge aus dem christlichen Alltag an Bekenntnisschulen, dem alle nicht der Schulkonfession Angehörigen ungewollt ausgesetzt sind - sowie die nur auf dem Papier konfessionell gebundenen Schüler_innen. Durchschnittlich gehören etwa 50% der Kinder der Herrschaftskonfession an. Denn in vielen Städten, besonders in ländlichen Gegenden, gibt es im erreichbaren Umfeld ausschließlich Bekenntnisschulen.

Religiöse Diskriminierung

Ganz besonders problematisch sind Bekenntnisschulen, wenn sie Lehrer_innen, die nicht dem Schulbekenntnis angehören, ausschließen und somit religiös diskriminieren. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz lässt dies zu, da es in ihm eine Sonderregelung für Kirchen gibt, die diesen Selbstbestimmung garantiert (§9AGG). So bleiben viele Rektorenstellen unbesetzt, weil sich keine katholischen Bewerber_innen finden. Im schlimmsten Fall werden auch Schüler_innen von der Schule abgelehnt, wenn sie keinen Religionsunterricht besuchen wollen. Die Aufnahme an einer kath. Bekenntnisschule setzt voraus, dass die Erziehungsberechtigten unterschreiben, ihr Kind im katholischen Glauben erziehen lassen zu wollen. Die meisten Eltern unterschreiben dies pragmatisch losgelöst von ihrer weltanschaulichen Überzeugung. Ein besonders schwerer Fall religiös motivierter Ausgrenzung hat 2013 für viel Aufsehen gesorgt: der muslimische Junge Bülent wurde von der katholischen Bonifatiusschule in Paderborn nicht aufgenommen und muss nun mit einiger Schulwegzeit an mehreren Bekenntnnisschulen vorbeifahren, um zu einer Gemeinschaftsschule zu gelangen. Am 28.02.2014 urteilte dazu das VG Minden, dass der Schulleiter der Bonifatiusschule juristisch korrekt gehandelt habe, verlangte aber von der Stadt Paderborn eine Anpassung der Schullandschaft an die realen Gegebenheiten. Im Schuljahr 2011/2012 waren laut IT.NRW 47% der Paderborner Schüler_innen katholisch, zugleich hat die katholische Kirche an 14 von 23 Schulen im Stadtgebiet die Hoheit. Der Schulausschuss der Stadt Paderborn hat dem Urteil entsprechend auf Antrag der SPD die Verwaltung mit einer Modernisierung beauftragt. Dies wurde jedoch vom Schuldezernenten, einem katholischen Theologen, mit der Begründung abgelehnt, die juristische Situation sei noch zu unsicher, da Bülents Eltern Berufung eingelegt hätten. Ohnehin ist die Umwandlung einer Bekenntnisschule durch die Kommune juristisch schwierig. Bisher galt, dass umgewandelt werden kann, wenn in einem Elternvotum, das von 20% der Eltern angestoßen werden muss, 2/3 für eine Umwandlung stimmen. Eine grundsätzliche Abkehr von Bekenntnisschulen landesweit, so wie in den anderen Bundesländern - ausgenommen kleinen Teilen Niedersachsens - längst geschehen, verhindert der Verfassungsrang der Schulen, der nur mit einer 2/3-Mehrheit im Parlament gekippt werden kann. Grüne, Piraten und SPD haben sich nach entsprechenden Beschlüssen auf ihren Parteitagen 2014 für eine Verfassungsänderung ausgesprochen, FDP und CDU sind weiterhin für die Bekenntnisschule - die FDP argumentiert mit dem Wettbewerb der Schulen untereinander, die CDU verteidigt sie aus konservativ-religiösen Wertüberzeugungen. Die Piraten sind konsequent für ein säkulares Bildungswesen. Am 18. Dezember 2014 hat der Landtag mit rot-grüner Mehrheit das 11. Schulrechtsänderungsgesetz1 verabschiedet, nach dem nur noch 10% der Eltern nötig sind, um eine Elternbefragung zur Umwandlung anzustoßen, bei der 50% für eine Umwandlung stimmen müssen. Auch die Kommune als Schulträger kann ein solches Verfahren anstoßen, aber weiterhin Schulen nicht von sich aus zu Gemeinschaftsschulen erklären. Diese Regelung wird zu der ein oder anderen Umwandlung führen. Mehr aber nicht, denn nicht überall werden sich Eltern finden lassen, die aktiv und mutig genug sind, sich gegen die Schule ihrer eigenen Kinder zur Wehr zu setzen. Auch wird das Quorum nicht immer erreicht werden, da davon ausgegangen werden muss, dass sich einige Eltern nicht interessieren und viele katholische Eltern ihre Hoheit nicht aufgeben wollen. Nicht zuletzt zeigt die Anmeldepraxis der letzten Jahre auch, dass einige Eltern ihre Kinder an einer Bekenntnisschule anmelden, weil es dort vermeintlich weniger Muslime gibt, denen pauschal zugeschrieben wird, das Schulklima negativ zu beeinflussen. Es gibt an NRWs Grundschulen etwa 15% Muslime. So wie viele Kinder aus Tradition getauft werden und nicht als Bekenntnis, gilt für die Muslime, dass sie nicht unbedingt religiös sind, wenn sie muslimisch erfasst werden. Erst recht nicht, da es keine formale Mitgliedschaft zum Islam gibt, die statistisch erfasst werden könnte. So werden auch Laizist_innen aus muslimischen Ländern hier als Muslime mitgezählt.

Unzureichende Gesetzesreform

Die Gesetzesänderung sieht vor, dass im Ausnahmefall und zur Sicherung des Unterrichts auch bekenntnisfremde Lehrer_innen an Bekenntnisschulen unterrichten dürfen. Was sich nach einer Lockerung anhört, hat allerdings für viele Lehrer_innen den Charakter einer Duldung: Sie sind zwar nicht erwünscht, wenn es aber nicht vermieden werden kann, dürfen sie bleiben. So ist auch weiterhin zu erwarten, dass es in den primarpädagogischen Lehrerausbildungsseminaren an nordrhein-westfälischen Unis zu Zwangskonfessionalisierungen kommt. Die Schulleitung muss weiterhin zwingend dem Schulbekenntnis angehören. Das ist besonders folgenreich, da ohnehin viele Leitungsstellen an Grundschulen kaum besetzt werden können.

Dass die Gesetzreform nicht konsequenter ausgefallen ist, liegt auch daran, dass sie im Einvernehmen mit den Kirchen verhandelt wurde. Die grüne Landtagsabgeordnete Sigrid Beer beispielsweise hat das Problem der Bekenntnisschulen erkannt und sich stark für eine Änderung eingesetzt. Die aktuelle Novelle wurde von ihr mitinitiiert, sie hat den Gesetzesantrag für die Grünen unterschrieben. Neben ihrer politischen Karriere ist sie aber zugleich Funktionärin der evangelischen Kirche und freut sich, bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs mit den Kirchen an einem Strang gezogen zu haben. So verwundert es auch nicht, dass der Text die Zustimmung der Kirchen findet, da sie kaum Machtverlust zu befürchten haben. Dass nicht alle Christ_innen ihre Privilegien machtpolitisch durchsetzen wollen, zeigt die sehr aktive Initiative "Kurze Beine - Kurze Wege", in der nach Selbstdarstellung auch Christ_innen beider Konfessionen vertreten sind. Sie ist laut Homepage nicht vom Gesetzentwurf überzeugt: "Es ist erfreulich, dass die Umwandlung erleichtert wird. Dennoch stellt sich die Frage, ob eine solche halbherzige Reform in der Lage ist, die bestehenden Probleme zu lösen."2 Die Piraten und auch die Linken in NRW werten die Gesetzesänderung als eine vertane Chance, die religiösen Diskriminierungen im Schulwesen zu beenden. Die GEW hält das Gesetz für grundsätzlich gut, sieht aber noch Verbesserungsbedarf bei der Anstellung anderskonfessioneller Lehrer_innen.

Der Anachronismus religiöser Selektion an NRWs Grundschulen bleibt also bis auf weiteres erhalten. Dies wird auch von der International Humanist and Ethical Union, dem internationalen Dachverband der Humanisten, im aktuellen Report über die weltweite negative Religionsfreiheit kritisiert: "In two states, North Rhine Westphalia and Lower-Saxony, there are (public) ›denominational schools‹ run by the state, which are allowed to reject and discriminate employees (based on exemptions in labour and anti-discrimination laws)."3

Anmerkungen

1) Landtag NRW, DS 16/7544.

2) www.kurzebeinekurzewege.de.

3) International Humanist an Ethical Union, The freedom of thought report 2014, freethoughtreport.com/2014/12/10/third-edition-published-today-and-its-personal/. In Niedersachen gibt es Bekenntnisschulen nur im Raum Oldenburg.


Christoph Horst arbeitet als Sozialarbeiter in Paderborn.

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