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Klaus Holzkamp

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Studiengebühren und Generationenvertrag

  
 

Forum Wissenschaft 3/2006; Titelbild: Thomas Plaßmann

In der Begründungsrhetorik der Studiengebühren-Protagonisten wird das Modell, nach dem Kredite zur Vorfinanzierung der Studiengebühren erst und nur dann zurückzuzahlen sind, wenn eine bestimmte Einkommenshöhe erreicht ist, als besonders „sozialverträglich“ und als „neuer oder umgekehrter Generationenvertrag“ dargestellt. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Modell jedoch um ein schlichtes Darlehensgeschäft mit Rückzahlungsverpflichtung derer, die das Darlehen für eine Studiengebührenfinanzierung in Anspruch genommen haben. Damit wird diese Finanzierung sowohl gesellschaftlich als auch familiar aus der Systematik der Übernahme von finanziellen Leistungen einer Generation für eine andere herausgenommen. Sie wird privatisiert und individualisiert.

In der ursprünglichen Konzeption umfasste das Generationenvertragsmodell Kinder, Eltern und Großeltern. Es sollte eine Rentenkasse und eine Kinderkasse eingerichtet werden, so dass beide Generationen, die nicht zur Wertschöpfung beitrugen, Rentner und Kinder, kollektiv abgesichert werden konnten. Mit der Rentenreform von 1957 wurde lediglich das Risiko der Alterserwerbslosigkeit nach dem Generationenvertragsmodell von der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten übernommen. Die finanziellen Risiken des Kinderaufziehens blieben weiterhin der Familiensolidargemeinschaft überantwortet. Mit der Studiengebührenfreiheit wurden die auf Seiten der Ausbildungsinstitutionen entstehenden Kosten zur gesamtgesellschaftlichen Finanzierung durch den Staat übernommen. Die Lebenshaltungskosten Studierender blieben grundsätzlich Privatsache und über das Unterhaltsrecht eine finanzielle Verpflichtung der Eltern gegenüber ihren Kindern. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz machte unter der Voraussetzung geringer Familieneinkommen auch die Lebenshaltungskosten nach dem Modell der Sozialhilfe zum Gegenstand gesamtgesellschaftlicher Finanzierung. Mit der Umstellung von Stipendien auf Darlehen wurde die Finanzierung des Lebensunterhaltes (teilweise) wieder privatisiert und darüber hinaus individualisiert. Die Einführung von Studiengebühren reprivatisiert nun grundsätzlich auch die institutionellen Kosten des Studiums.

Die Auffassung, die Risiken des Kinderaufziehens bedürften keiner solidargemeinschaftlichen Absicherung, hat sich als trügerisch erwiesen. Der Geburtenrückgang findet vor allem in der Mittelschicht statt, in der die nicht vergütete Familienarbeit mit relativ hoch vergüteter qualifizierter Erwerbstätigkeit konkurriert. In Verbindung mit den Kosten des Kinderaufziehens ergibt sich für diese Gesellschaftsschicht das Risiko der Herabstufung des durch berufliche Tätigkeit und Konsumpartizipation definierten sozialen Status. Auch soziologische Erklärungsversuche, die das „Opportunitätskostenkalkül“ nicht als ausschlaggebend bei der Entscheidung für oder gegen ein Kind erachten, sondern die Herausbildung einer „Kultur der Kinderlosigkeit“ bzw. einer „Kultur des Zweifelns“ über den Sinn des Kinderkriegens als Grund der Abstinenz erachten, konstatieren, dass diese Irritationen gerade unter Akademikerinnen stärker verbreitet sind als in der übrigen Bevölkerung. In Deutschland werden bisher zwar keine verlässlichen Daten über die Kinderlosigkeit erhoben. Schätzungen weisen aber bis zu 40 und sogar 50% bei Naturwissenschaftlerinnen als kinderlos aus.

Mit dem Einbruch der Geburtenraten in der bildungsbürgerlichen und aufstiegsorientierten Mittelschicht trocknet das traditionelle Reservoir für HochschulbewerberInnen aus. Kindern aus einkommensschwachen Schichten, auf die nolens oder volens zukünftig bei der „Akquisition“ Studierender abzustellen sein wird, können die für eine Studienaufnahme relevanten Verhaltensmuster der bildungsbürgerlichen Mittel- und der Oberschicht realistischerweise nicht unterstellt werden. Hier bedarf es – neben der Beseitigung schichtspezifischer Selektionsmechanismen im deutschen Schulsystem, die dazu führen, dass nur etwa sechs bis acht Prozent der Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Elternhäusern die Hochschulen erreichen – ökonomischer Entlastung und Förderung, um diese Bildungspotenziale zu erschließen. Nach der Verbesserung der Vergabebedingungen und der Erhöhung der BaföG-Sätze 1999 stieg der Anteil der StudienanfängerInnen pro Altersjahrgang von 31,3 auf 37,1%. Nach der Einführung von Studiengebühren sanken in Österreich die Zahlen der StudienanfängerInnen um 15%. In den skandinavischen Ländern ist das Studium nicht nur gebührenfrei, sondern es wird auch durch eine elternunabhängige Beilhilfe gefördert. Dort liegt die Studierendenrate zum Teil weit über 50% eines Altersjahrgangs (Finnland und Schweden 70%, Norwegen 60%). Der Grundsatz ökonomischer Theorie, dass der Preis eines Gutes die Nachfrage bestimmt, bestätigt sich allem Anschein nach auch beim Gut der Hochschulausbildung.

Es ist die gegenwärtige Generation berufstätiger AkademikerInnen, die ihr Studium gebührenfrei durch die steuerzahlende vorhergehende Generation finanziert bekommen hat, die sich dieser Verpflichtung gegenüber der nachfolgenden entzieht, und zwar sowohl auf der Ebene gesellschaftlicher als auch familiarer Solidarität, indem die Finanzierung der Studiengebühren über deren Rückzahlung zur Sache der Studierenden selbst gemacht wird. In Verbindung mit einer Rentenpolitik, die über das Sozialversicherungssystem künftig nicht mehr das (volle) Alterseinkommensrisiko abdeckt, wird die nachfolgende Generation der wertschöpfend Tätigen sogar in zweifacher Hinsicht aus dem Generationenvertragssystems „entlassen“ und mit individualisierten Leistungen belastet: Indem sie den Kredit zur Finanzierung der Studiengebühren abzutragen und gleichzeitig zur Absicherung vor der Altersarmut in eine private „Riester-Rentenversicherung“ einzuzahlen hat. Diese negativen Effekte verschärfen sich noch, wenn Studienzeiten bei der Berechnung der Rentenhöhe nicht mehr berücksichtigt werden und das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht wird. Zusätzlich hat diese Generation dann mit ihren Beiträgen zur Sozialversicherung weiterhin die Renten der Elterngeneration zu finanzieren.

Es gibt also viele gute Gründe der Studierenden und StudienaspirantInnen, sich gegen die einseitige Aufkündigung des „Generationenvertrages“ im Bezug auf die Finanzierung der institutionellen Kosten des Studiums durch die vorhergehende Generation zu wehren.

Bildung und Ausbildung haben über den individuellen Nutzen hinaus weit reichende Auswirkungen (externe Effekte) nicht nur auf die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch auf die soziale Integrationsfähigkeit und die politische Verfassung einer Gesellschaft. Es bedarf deshalb einer Repolitisierung der Frage der Finanzierung der Hochschulausbildung. Nicht nur, um zu gesellschaftlich vernünftigen Ergebnissen zu kommen, sondern auch um zu klären, welche Rolle bei der Entwicklung des Hochschulsystems ökonomisch-marktwirtschaftliche Steuerungsformen spielen und welchen Einfluss zukünftig noch demokratisch legitimierte Entscheidungen haben sollen.


Dr. jur. Werner Hoffacker arbeitete bis 2005 als Akademischer Direktor im Arbeitsbereich Hochschulorganisation, -entwicklung und -recht der Universität Bremen.

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