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Widersprüche der "Vermarktlichung"

15.03.2005: Marktsteuerung in der Arbeitsorganisation von Dienstleistungen1

  
 

Forum Wissenschaft 1/2005; Titelbild: Museum der Arbeit/Reemtsa Fotoarchiv

Wer im Kontext von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsorganisation von Markt spricht, hat die Chance, reale gesellschaftliche Veränderungen präziser zu erfassen - oder läuft Gefahr, auf der Welle zeitgenössischer Dogmen mitzureiten. Die Karriere des umstrittenen Wortes "Arbeitskraftunternehmer", das, obwohl als analytische Kategorie ernst zu nehmen, von konservativen Ratgebern unschwer in Dienst genommen werden konnte, ist ein prominentes Beispiel.2 Steffen Lehndorff arbeitet heraus, welche Elemente und Formen von Marktsteuerung sich bisher identifizieren lassen und welche Widersprüche in ihrer Praktizierung auftreten. Nicht zuletzt entmystifiziert er den "Markt", dem die hegemoniale Erzählung nachsagt, es ließe sich nicht an ihm rütteln.

Seit dem Frühkapitalismus haben Unternehmen zunehmend Unsicherheiten - und Markteinflüsse sind Unsicherheiten - aus internen Arbeitsabläufen herausgedrängt. Mittels des command and control-Systemswurden "Inseln der Ordnung in Meeren der Markt-Unordnung"3 geschaffen und Organisationsroutinen zur Einschränkung schwer planbarer Prozesse auf den Gütermärkten entwickelt.

Zugleich schufen die Gewerkschaften im 19. und 20. Jahrhundert ein gewisses Gegengewicht zur unternehmerischen Befehlsgewalt, mit dem sie das Einwirken von Kräften des Arbeitsmarkts auf den Betrieb eindämmten. Die Arbeitskraft blieb Ware, aber die Kopplung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen, denen sie gehört, an Schwankungen auf Gütermärkten und Arbeitsmarkt wurde eingeschränkt ("Dekommodifizierung"). Dies hatte auch Konsequenzen für die Arbeitsorganisation: Sie blieb Ergebnis unilateraler Entscheidungen des Managements, wurde jedoch Gegenstand von Verhandlungen mit der Interessenvertretung der Beschäftigten. Versuche seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, dies durch individualisierte Aushandlungsprozesse mit einzelnen Beschäftigten zu ergänzen oder gar zu ersetzen, gingen stets von der Verhandelbarkeit der Arbeitsorganisation aus, was ihre Marktferne zur Voraussetzung hat.

Der Prozess der Dekommodifizierung mit dem Höhepunkt in den dreißig Jahren nach dem 2. Weltkrieg scheint nun auf dem Rückzug, und "Rekommodifizierung" ist angesagt. Wir verstehen sie nicht als "Erosion des Normalarbeitsverhältnisses", d.h. als Verschwinden gesetzlich und tarifvertraglich abgesicherter unbefristeter Vollzeit-Beschäftigungsverhältnisse. Empirisch ist diese These, auch international, vielfach widerlegt: Weitreichende Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt bestehen weniger im Verschwinden von etwas als im Hinzutreten von Neuem, vor allem des Anstiegs der Frauenerwerbstätigkeit, vielfach als Teilzeitarbeit, und verschiedener Formen befristeter Beschäftigung. Radikale Veränderungen vollziehen sich innerhalb des Normalarbeitsverhältnisses. Sie bestehen darin, abhängig Beschäftigte explizit mit Anforderungen zu konfrontieren, die sich aus dem "Markt"geschehen ergeben, die Erhaltung des Arbeitsplatzes mit der Bewältigung dieser Anforderungen zu verknüpfen und Ungewissheiten der Marktkonkurrenz so vom Management an die Beschäftigten weiterzureichen - zusammengefasst: ein "abstrakter Kontrollmodus"4 gegenüber bisherigen Vorgesetzten-Anordnungen wird etabliert.

Elemente der Marktsteuerung

Während die Maxime der Unternehmensführung in den Blütezeiten der industriellen Massenproduktion darin bestand, die Arbeitsabläufe so weit wie möglich von der Unruhe der Marktschwankungen abzuschirmen, wird diese Unruhe nun begrenzt, dosiert und gezielt in das Innere der Organisation hereingelassen, um sie als Impuls für eine weitere Erschließung von Produktivitätspotenzialen zu nutzen. Die Formen, in denen dies geschieht, können zu drei "K"s gebündelt werden: Die Beschäftigten werden konfrontiert mit (1) strategischen Kennziffern, in denen die betriebswirtschaftlichen Ziele zusammengefasst sind und die vom Management auf einzelne Organisationsbereiche heruntergebrochen werden, (2) mit der Konkurrenz auf den Gütermärkten und auf dem Arbeitsmarkt mit Hilfe von Benchmarks und tatsächlichen oder potentiellen Auslagerungen, und (3) mit den Kunden, die nicht allein bis zu einem gewissen Grad an der Leistungserbringung mit- und auf diese einwirken, sondern zugleich eine Kontrollinstanz gegenüber den Beschäftigten darstellen.

In unseren Projekten waren Formen der Marktsteuerung in sehr verschiedenen Branchen zu beobachten, von der Softwareschmiede über die Altenpflege bis zum Warenhaus. Marktsteuerung ist nicht an bestimmte Tätigkeitsstrukturen geknüpft, ist also nicht etwa gleichzusetzen mit einer Ablösung zum Beispiel von standardisierten Arbeitsprozessen. Ebenso wenig bedeutet sie, dass bislang vorherrschende bürokratische, technische oder direkte persönliche Kontrollformen keine Rolle mehr spielten. Eher wird sie herkömmlichen Kontrollformen hinzugefügt. Ob diese Vermischung längerfristig Bestand hat oder nur ein Übergangsphänomen darstellt, wie die verschiedenen Kontrollformen aufeinander einwirken und in Konflikt miteinander geraten, all dies betrachten wir als offene Forschungsfragen. Zunächst geht es hier darum, das "Paket" Marktsteuerung aufzuschnüren und seine wichtigsten Bestandteile vorzustellen, die wir in verschiedensten Dienstleistungstätigkeiten beobachten konnten.

Konfrontation mit Kennziffern

Hintergrund der Veränderungen auf der Ebene der unmittelbaren Arbeitsprozesse sind die Umbrüche im zeitgenössischen Kapitalismus, über deren Tiefe seit Jahren eine intensive sozialwissenschaftliche Diskussion geführt wird. In Abgrenzung zum sogenannten goldenen Zeitalter der 50er und 60er Jahre werden sie teilweise als ein grundlegender Wandel des Wachstumstyps in Richtung auf ein neues "Akkumulationsregime" analysiert, dessen treibende Kraft die Vermehrung der auf Finanzmärkten erzielten Gewinne ist. Wenn man sich dieser Einschätzung mit allen ihr innewohnenden Unsicherheiten anschließt, dann folgt aus ihr zumindest, dass Marktorientierung in der Unternehmensführung nicht mehr allein Orientierung auf den jeweiligen Gütermarkt bedeutet, sondern zunehmend auch auf den Kapitalmarkt.

Es liegt nahe davon auszugehen, dass derartige Veränderungen "im Großen" auf die inner- und zwischenbetrieblichen Arbeitsprozesse durchschlagen. Von der Orientierung an den Finanzmärkten bis zur Finanzialisierung der internen Unternehmensstrukturen ist es nur ein kleiner Schritt. Die Logik der Unternehmensfinanzierung wird zum Bewertungsmaßstab der internen Prozesse. Die Zentrale hat zum Beispiel die Möglichkeit, die von ihr prognostizierten Anforderungen der Kapitalgeber in Rentabilitätsziele zu übersetzen und diese zu verbindlichen Vorgaben für die ganze Organisation und deren Untergliederungen zu machen. Sie hat ebenso die Möglichkeit, Geschäftsfelder zu definieren, deren Verbleib im Unternehmen davon abhängt, wie sie sich in der Konkurrenz mit externen Dienstleistern bewähren. Das Herunterbrechen von Profitabilitätsansprüchen auf die einzelnen Teile der Unternehmen ist ein wesentliches Moment der neuen Ausrichtung strategischer Unternehmensführung.

Derartige Eckdaten werden vom Management zu Kennziffern und Zielmarken für Unternehmensbereiche, Abteilungen, Teams oder Projekte verdichtet. Ihr Erreichen entscheidet letztlich über die Bemessung der den dezentralen Einheiten zur Verfügung gestellten Budgets. Zugleich werden die einzelnen Abteilungen oder Glieder in der Wertschöpfungskette wohldosiert mit größerer Verantwortung - insbesondere für die Kosten - ausgestattet und "verselbständigt". Eindrucksvoll lässt sich dieses Benchmarking an Banken studieren, die völlig neue Zielmarken für die Profitabilität einzelner Unternehmensbereiche setzen; auch bei IT-Dienstleistungen spielt es im Produktivitäts- und Preiswettbewerb eine entscheidende Rolle. Im Einzelhandel, der neben Call Centern eher als Prototyp der "Taylorisierung" von Dienstleistungsarbeit gilt, zeichnet sich Vergleichbares ab.

Kennziffern für einzelne Organisationsbereiche spielen auch bei öffentlichen Dienstleistungen eine Schlüsselrolle. Grundsätzlich geht es zunächst um die Definition der zur Verfügung gestellten Budgets. Privatisierungen, Konkurrenz zwischen öffentlichen und privaten Anbietern und die Anwendung von Controllingverfahren bewirken den Einzug von immer mehr Konkurrenzprinzipien in die Welt sozialer Dienstleistungen. So sollen Marktpreise gefunden werden für Güter, die in der Vergangenheit teilweise ausschließlich staatliche Angebote waren.

Je konsequenter Kennziffern auf die Arbeitsebene einzelner Abteilungen heruntergebrochen werden, desto stärker bestimmt dieser "abstrakte" Kontrollmodus den Arbeitsalltag der Beschäftigten. Der entscheidende Punkt dabei ist, dass solche Kennziffern nicht etwa als Herrschaftswissen des Managements betrachtet werden. Im Gegenteil: das Management betrachtet es als seine Aufgabe - und muss es, bei Strafe des Misserfolgs -, dass alle Beschäftigten diese Kennziffern ständig vor Augen haben. Dies versucht es durch die Verbindung des Erreichens der Kennziffern mit der weiteren Existenz der Organisationseinheit zu garantieren.

… mit Konkurrenten

Einige Benchmarks dienen dem direkten Kosten- und Leistungsvergleich mit Konkurrenten. Ab und zu werden Vergleiche zwischen den Arbeitskosten an deutschen Standorten öffentlich mit denen in ausländischen Werken öffentlich betont - ein äußerst wirkungsvolles Druckmittel gegen Beschäftigte und Betriebsräte deutscher Standorte. Falls in großen Unternehmen eine Kooperation zwischen Betriebsräten über Ländergrenzen zu Stande kommt, wird den Beteiligten meist schnell klar, dass der Konkurrenzdruck auch in anderer Hinsicht funktioniert: Die Senkung eines Mindestsozialstandards in Deutschland begrenzt die Möglichkeiten zur Anhebung von Standards für Beschäftigte in ausländischen Werken. In dieser Konfrontation von Beschäftigten mit der Konkurrenz fallen zwei Aspekte zusammen: Die Konkurrenz mit den Leistungen anderer Unternehmen(-steile) und die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.

Eine spezifische Form, diese Konkurrenzsituation herzustellen, ist das Outsourcing. Mit dem Outsourcing können verschiedene Ziele verfolgt werden: So kann es mit Hilfe befristeter Beschäftigung oder Leiharbeit der Erhöhung der externen quantitativen Flexibilität dienen, oder es wird mittels Outsourcens von Kompetenzen die externe qualtitative Flexibilität erhöht. Letzteres wird im IT-Bereich teilweise so weit getrieben, dass Teams innerhalb eines Unter nehmens untereinander und mit externen Bewerbern um Aufträge konkurrieren. Ein damit vergleichbares Vorgehen ist in einigen Großunternehmen des Einzelhandels anzutreffen, wenn das Vertreiben bestimmter Warengruppen an Konzessionäre innerhalb von Warenhäusern delegiert wird ("shop in shop"). Auch hier wird innerhalb des auftraggebenden Unternehmens ein interner Wettbewerb installiert.

Gleich welche Vorteile durch Outsourcing im einzelnen von den Unternehmen angestrebt werden, der für unser Thema wichtige Punkt dabei ist stets, dass diese Praxis die unmittelbare Konfrontation der Beschäftigten im vergebenden Unternehmen mit der Konkurrenz auf dem Güter- und dem Arbeitsmarkt verstärkt. Die unausgesprochene Botschaft: "Was du kannst, können andere auch." Auf diese Weise werden Organisationen "geöffnet", Marktdruck und Konkurrenz können in das Innere von Organisationen hinein verlängert werden. Die Internalisierung ist insofern zugleich eine Instrumentalisierung der Konkurrenz durch das Management.

mit Kunden

Marktsteuerung im Arbeitsalltag von Dienstleistungsbeschäftigten wird im Dreiecksverhältnis Management - Beschäftigte - KundInnen praktiziert. In den KundInnen hat der Markt für viele Dienstleistungsbeschäftigte ein Gesicht. Unter diesen Bedingungen kann ihnen die Steigerung ihrer individuellen Arbeitsleistung ebenso als sachliche Notwendigkeit mit Blick auf die Konkurrenz wie als professionelle Verpflichtung gegenüber KundInnen erscheinen.

Die KundInnen-"Rolle" in diesem Dreiecksverhältnis hängt in hohem Maße von der Art der Dienstleistung ab. So sind z.B. in vielen IT-Dienstleistungen, insbesondere dort, wo kundenspezifische Lösungen entwickelt oder existierende standardisierte Lösungen in spezifische Umgebungen eingepasst werden (etwa Software-Beratung und-Entwicklung), die Kunden nicht beschränkt auf die Entgegennahme der Dienstleistungen. Zunehmend arbeiten Beschäftigte selbst direkt mit KundInnen zusammen; und nur noch zu einem Teil sind Vorgesetzte daran beteiligt - zumal dann, wenn die Dienstleistung im Betrieb der Kundinnen erbracht wird. Manchmal besteht dann über längere Zeiträume hinweg kein unmittelbarer Kontakt zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten. Schon dies erschwert eine direkte Managementkontrolle des Arbeitsprozesses. Auch der inhaltliche Verlauf eines Projekts kann vom Management nur begrenzt überblickt oder gar antizipiert werden. Statt dessen ist der formelle oder informelle Austausch unter Teamkollegen eine wichtige Voraussetzung für den Projekterfolg. Aus Management-Sicht ist es daher sinnvoll bzw. sogar unvermeidlich, Verantwortung für die Durchführung von Projekten an Beschäftigte zu delegieren: Das Management ist weit, die KundInnen jedoch sind nah. Zugleich sind die Beschäftigten ihrerseits mit den Kennziffern des Unternehmens konfrontiert, also eingezwängt zwischen Kunden und Kennziffern.

Dies ist widersprüchlich nicht allein für die Beschäftigten, sondern auch für das Unternehmen. Denn Kunden sind nicht nur ein Kontroll-, sondern zunächst und vor allem ein Unordnungsfaktor. Einem Management, das den Kundenkontakt in erster Linie seinen Beschäftigten überlässt und sich bei der Projektdurchführung aus dem direkten KundInnen-Kontakt vornehm heraus hält, kann diese besonders raffiniert erscheinende indirekte Steuerung durchaus auf die Füße fallen.

Auch bei vermeintlich "einfachen" Dienstleistungen wie im Einzelhandel entscheidet der KundInnenkontakt über die Dienstleistungsqualität wesentlich mit, allerdings auf andere Weise. Verkaufsbeschäftigte müssen auch bei eng definierten Verhaltensregeln als Persönlichkeit präsent sein. Sie müssen, um die ökonomischen Ziele erreichen zu können, eine gute Dienstleistung erbringen und die Kundenorientierung ernst nehmen. Dazu müssen sie damit rechnen, dass KundInnen von ihnen und über ihre Köpfe hinweg per Management eine hohe Servicequalität einfordern. Im Zweifel werden die Kunden gegen sie instrumentalisiert, denn "der Kunde hat immer recht".5 Kontrolle erfolgt hier also auch über den Umweg der Kunden. Ein eigenes Beschäftigten-Interesse an einer guten Dienstleistung macht es ihnen nicht einfacher: Sie haben vielleicht bei knapper Personallage keine ausreichende Möglichkeit dafür, und die ökonomischen Kennziffern ihres Arbeitsbereich zwängen auch Verkaufskräfte im Einzelhandel zunehmend zwischen Kunden und Kennziffern ein.

Die Beziehungen innerhalb des "Dienstleistungs-Dreiecks" zwischen Management, Beschäftigten und Kunden zeigen, dass die Instrumentalisierung der KundInnen durch das Management die Beschäftigten in die Situation bringen kann, die Kundenorientierung - ob im Zeichen des "Kunden-Kults" oder aus eigenem professionellem Antrieb - nur unter Verstoß gegen interne Regeln und ökonomische Kennziffern praktizieren zu können. Das bringt den Kern jeder Marktsteuerungsform zum Vorschein: Probleme der Organisation werden zu Problemen der einzelnen Beschäftigten gemacht.

Die Delegation von Ungewissheit

Wenn sich das Management zur Kontrolle des Arbeitsprozesses auf den "Umweg" einer Nutzung von Marktmechanismen begibt und die Beschäftigten insofern einer "indirekten Steuerung"6 unterwirft, ist dies Ausdruck von Widersprüchen, denen sich Dienstleistungsorganisationen ausgesetzt sehen. Es bringt aber auch neue Widersprüche hervor.

Werden Organisationsprobleme nicht mehr in erster Linie vom Management gelöst, sondern an Beschäftigte weitergereicht, bekommen diese nicht notwendigerweise zugleich Ressourcen für deren Lösung in die Hand gereicht. Unternehmen schaffen zwar Arbeitsbedingungen, die dem Anspruch nach das "empowerment" ihrer Beschäftigten zum Einsatz kommen lassen sollen, und reduzieren zu diesem Zweck möglicherweise direkte Arbeitsanweisungen und -kontrolle. Umso wichtiger werden aber harte ökonomische Vorgaben, um den Arbeitsprozess indirekt zu steuern.

Historisch betrachtet ist dies ein weiterer Versuch, das "Rationalisierungsdilemma der Angestelltenarbeit"7 zu bewältigen: Die Dienstleistungsorganisation muss vorbereitet sein auf Ungewissheiten verschiedenster Art, die sich aus ihren Aufgaben und ihrem Marktumfeld ergeben, und für die Bewältigung dieser Ungewissheiten Dispositionsspielräume und Reservekapazitäten vorhalten, zugleich aber diesen Reservekapazitäten kostenbedingte Grenzen ziehen. Unter diesem unauflöslichen Widerspruch zwischen Gewährleistungsfunktion und Effizienzsteigerung ist das Neue der Marktsteuerung der Versuch, die Gewährleistungsfunktion der Dienstleistungsarbeit durch Ressourcenverknappung zu erreichen. Das Motto: Wenn beide Seiten sich wie Feuer und Wasser zueinander verhalten, muss eben das Wasser zum Kochen gebracht werden.

Letztlich haben wir es hier mit dem Problem der Transformation von Arbeitskraft in ein Arbeitsergebnis zu tun, mit dem sich schon Marx beschäftigte. Das Transformationsproblem bedeutet, auf eine einfache Formel gebracht: Unternehmen kaufen auf dem Arbeitsmarkt lediglich Arbeitskraft; sie "[kennen] gewöhnlich zwar den Preis der Arbeitskraft […], [wissen] aber nicht genau […], was sie dafür bekommen,"8 denn ein Arbeitsergebnis entsteht erst in dem durch das Unternehmen zu organisierenden Prozess der Verausgabung und Anwendung dieser Arbeitskraft. Ein Teil des Risikos, das in der Umwandlung von Arbeitskraft in Arbeitsergebnis liegt, wird deshalb mittels Marktsteuerung auf die Beschäftigten übertragen. Marktsteuerung ist demnach nichts anderes als die Delegation eines Teils dieser Ungewissheit, also des Unternehmerrisikos, an die Beschäftigten selber.

Damit dies gelingt, werden die Beschäftigten mit dem Markt in Form von Kennziffern, Konkurrenz und Kunden konfrontiert - vor allem dadurch, dass Momente des externen Drucks auf die Organisation nach Management-Maßgaben an die Beschäftigten weiter geleitet werden. Diese Art der "Öffnung" der Organisation, die mehr oder weniger planmäßig dosierte Hereinnahme von Unsicherheit, soll die Problemlösungspotentiale der Beschäftigten mobilisieren. Dazu werden Sicherheiten aus dem Arbeitsprozess heraus genommen: insbesondere Personal-Ressourcen werden verknappt, KundInnen-Interventionen zugelassen, externe Bewerber zum Mitbieten bei internen Projektaufgaben eingeladen u.a.m. - nicht etwa Schönheitsfehler oder Unzulänglichkeiten eines "high performance culture"-Programms, sondern dessen notwendiger Bestandteil.

Last und Lust

Dies führt die Beschäftigten in eine ambivalente Arbeitssituation. Auf der einen Seite wird "die Überlastung der Organisation zunehmend als individuelle Überlastung und individueller Arbeitsdruck wirksam",9 auf der anderen Seite wird dies mit dem Angebot "der Übernahme von Verantwortung, von Gestaltungs- und Entscheidungskompetenz, […] der Möglichkeit, sich auch in der Arbeit subjektiv ‚einzubringen’, […] erweiterten Entfaltungsspielräumen in der Arbeit und erweiterten beruflichen Alternativen" verknüpft. Dies bewerten viele Beschäftigte als Chance, oft auch als Befreiung aus einem vormals engen Aufgabenzuschnitt. Die Zweischneidigkeit lässt sich in der alten Weisheit zusammenfassen, Not mache erfinderisch - ohne die Illusion jedoch, damit verschwände die Not. Sie bleibt - ebenso wie die Herausforderung - im Wortsinne Notwendigkeit, subjektive Potentiale zu entwickeln und zu nutzen, um wachsende Anforderungen im Arbeitsprozess bewältigen zu können.

Viele Erhebungen und Studien der letzten Jahre stimmen im Ergebnis darin überein, dass zunehmende Intensität der Arbeit der vorherrschende Trend in der heutigen Arbeitswelt ist. In den meisten Fällen nimmt der Zeitdruck innerhalb weitgehend festgelegter, wenn auch leicht schwankender Arbeitszeiten zu. Wo dagegen der Arbeitszeit keine Grenzen gezogen sind und sich die Beschäftigten auch nicht interessiert an solchen Grenzen zeigen, verbindet sich Intensivierung der Arbeit mit deren Extensivierung, also Arbeitszeitverlängerung. In welchem Maße dies geschieht, hängt u.a. davon ab, wie unmittelbar die Beschäftigten externen Anforderungen ausgesetzt sind. Ob "nur" Intensivierung oder aber Intensivierung und Extensivierung - beides wird von den Beschäftigten, unter mehr oder weniger restriktiven Rahmenbedingungen, in eigener Regie organisiert.

Die Rückkehr der Organisation

Mit seiner teilweisen Weitergabe an die Beschäftigten ist das Rationalisierungsdilemma jedoch nicht gelöst, denn die meisten Individuen benötigen einen "sicheren Rahmen […], um Marktrisiken als positive Handlungsanreize entschlüsseln zu können".10

Damit rückt die Verantwortung der Organisation erneut ins Blickfeld. Der Glaube, das Rationalisierungsdilemma an die Beschäftigten weiterreichen zu können, indem sich das Management diskret hinter vermeintliche Zwänge des Marktes zurückzieht, ist letztlich eine Illusion. Denn ungelöste Qualitätsprobleme fallen in letzter Instanz immer auf die anbietende Organisation zurück. Ebenso sind Versuche, solche Probleme durch Arbeitsintensivierung wettzumachen, eine Sackgasse: auf Dauer nimmt das Vertrauen in die Organisation ab, das ursprünglich Voraussetzung der hohen Leistungskraft war. Nicht besser steht es bei Intensivierung der Arbeit, die Hand in Hand geht mit Extensivierung. Probleme der Organisation bleiben ungelöst, wenn sie in Arbeitszeitverlängerungen ein zunächst kostenloses Ventil finden. Der Verzicht auf die Lösung von Organisationsproblemen aber kann auf mittlere und längere Sicht für jedes Unternehmen zum Verhängnis werden. Das erste und längerfristig bedrohlichste Symptom: der Verlust des Vertrauens der Beschäftigten in die Organisation.

Dass diese ihrer Verantwortung für die Arbeitsorganisation nicht entfliehen kann durch Delegation des Rationalisierungsdilemmas an die Beschäftigten, ist Ausdruck der Tatsache, dass Marktsteuerung selber ein Ergebnis von Gestaltung ist - der Gestaltung interner Märkte. Innerhalb von Unternehmen gilt, was auch im Großen zutrifft: In der Wirklichkeit gibt es keinen Markt ohne Regulierung, und jede "Gesellschaft hat die Märkte, die sie sich gibt" (Gadrey 2003). Märkte sind stets soziale Konstruktionen, gleich, ob es sich um einen Gütermarkt, einen Arbeitsmarkt oder einen unternehmensinternen Markt der Ausschreibung eines Entwicklungsprojekts geht. Auch in einem Unternehmen herrscht der Markt, den "es" sich gibt. Unternehmensinterne Märkte werden geschaffen und funktionieren nach Regeln, die die Führung der Organisation etabliert hat.

Wenn Unternehmen ein bestimmtes System hierarchischer Kontrolle durch ein System der Marktsteuerung, also der Konfrontation der Beschäftigten mit Konkurrenz, Kennziffern und Kunden ergänzen oder ersetzen, etablieren sie eine bestimmte Form des Marktes: "Die Rede von der ‚Internalisierung des Marktes’ wird oft als Kürzel für das traumatische Aufbrechen zuvor fest strukturierter Beschäftigungsbedingungen verwendet. Was aber gebraucht wird, ist, sich kritisch Rechenschaft darüber abzulegen, auf welche Weise das Management des Beschäftigungswandels entworfen wird, ausgehend von der offensichtlichen Notwendigkeit, den Marktbedingungen gerecht zu werden ".11

"Markt" als Politikum

Keineswegs also ist Marktsteuerung eine Inszenierung des Marktes. Die Konkurrenzsituationen, die in das Unternehmen hereingelassen werden, sind in der Außenwelt des Unternehmens tatsächlich vorhanden. Aber wie und in welcher Form sie in das Unternehmen hereingelassen wird, ist eine strategische Entscheidung des Managements. Hinter der vermeintlichen Anonymität des Marktes, mit dem Beschäftigte konfrontiert werden, steht als Akteur stets die Führung des Unternehmens. Ihre Funktion ist es, Gegenwarts- und Zukunftsanforderungen von Märkten zu interpretieren, zu beeinflussen und in Strategien zu übersetzen. Die "Markt"steuerung dezentraler Einheiten oder einzelner Beschäftigter durch die Unternehmensführung kann deshalb nur darauf beruhen, den Beschäftigten solche Rahmenbedingungen vorzugeben, die sie aus Konkurrenzbedingungen auf dem Markt und dem angestrebten Betriebsergebnis in eigenständiger Interpretation aus der obersten Managementorientierung ableiten. Dies bleibt Führung und Herrschaft, auf welche Weise auch immer sie realisiert wird.

Aus dieser Überlegung folgt auch, dass es für die Verhältnisse innerhalb eines marktgesteuerten Unternehmens nicht gleichgültig ist, wie die Welt außerhalb des Unternehmens beschaffen ist. Denn internalisieren und instrumentalisieren können Organisationen letztlich nur das, was sie in der externen Welt als Möglichkeit oder Angebot vorfinden. Die konkreten Formen der Internalisierung von Märkten, ihre Folgen für die Beschäftigten, die Unternehmen und die Kunden hängen in hohem Maße davon ab, wie die betreffenden Produkt- und Arbeitsmärkte in einer Gesellschaft organisiert sind. Hier kommt ein Zusammenhang zum Tragen, den man auf folgen de Formel bringen kann: Je geringere Möglichkeiten den Unternehmen zugestanden werden, Kosten zu externalisieren und mangelnde Vorsorge auf die Gesellschaft abzuwälzen, desto besser wird es auch innerhalb der Unternehmen möglich sein, den Druck abzufedern oder zu puffern, der von der Internalisierung des Marktes auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in diesen Unternehmen ausgeht.

Mit der "Marktsteuerung" sind - wie immer, wenn es um Markt geht - Realität und Mythos ein weiteres Mal gemeinsam auf der Bühne. Allerdings hat die Etablierung von Märkten für die Steuerung von Arbeitsprozessen zwei Seiten: Einerseits bedeutet die Internalisierung von Märkten deren Instrumentalisierung. Andererseits ist sie Teil sozialer Prozesse und hat die Resultate sozialer und politischer Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb der Unternehmen notwendig zur Voraussetzung. Innerhalb der Unternehmen sind es vor allem das System und die Praxis industrieller Beziehungen, die beeinflussen, in welchem Maße und in welcher Weise Marktsteuerung eingeführt wird. Ebenso entscheidend ist es für das Management, welche Signale der Außenwelt es für die Gestaltung der Innenwelt empfängt. Die politische Frage lautet also, welche gesellschaftliche Verfassung von Märkten die Unternehmen vorfinden. Unternehmen werden zwar stets versuchen, diese gesellschaftliche Verfassung zu beeinflussen - aber umgekehrt wird es für die Innenwelt von Organisationen immer wichtiger, wie die Rahmenbedingungen auf den Güter- und Arbeitsmärkten politisch geordnet sind. Ebenso wie Märkte etabliert werden, ist Marktsteuerung politisch beeinfluss- und gestaltbar. Durch die Hintertür kehrt die Organisation zurück - und mit ihr die Politik.


Anmerkungen

1) Der folgende Beitrag beruht auf gemeinsamen Arbeiten im Forschungsschwerpunkt Arbeitszeit und Arbeitsorganisation des IAT und ist eine stark gekürzte und überarbeitete Fassung des Aufsatzes von Lehndorff, Steffen und Voss-Dahm, Dorothea (2005): The delegation of uncertainty: flexibility and the role of the market in service work. In: Bosch, Gerhard/Lehndorff, Steffen (eds.): Working in the service sector - a tale from different worlds. London and New York (im Erscheinen). Die Arbeit beruht auf qualitativen, also nicht repräsentativ aussagekräftigen Untersuchungen in unterschiedlichen Bereichen der Dienstleistungsarbeit zu Veränderungen von Beschäftigungs- und Arbeitszeitformen, Arbeitsbedingungen und Arbeitsorganisation. Die Studien wurden zumeist gemeinsam mit PartnerInnen in anderen EU-Ländern realisiert, insbesondere im Rahmen eines vom IAT geleiteten Kooperationsprojekts im Auftrag der Europäischen Kommission mit Fallstudien in IT-Dienstleistungen, Banken, Krankenhäusern, häuslichen Pflegediensten und dem Einzelhandel: Bosch, Gerhard/Haipeter, Thomas/Lehndorff, Steffen/Voss-Dahm, Dorothea/Wagner, Alexandra (2001): Beschäftigungswandel in Dienstleistungen: Befunde aus fünf Branchen und zehn Ländern. Brüssel: Europ. Gewerkschaftsinst. (EGI). Für nähere Quellen- und Literaturangaben wird auf diese beiden Veröffentlichungen verwiesen.

2) Die nächste Ausgabe von Forum Wissenschaft wird den "Arbeitskraftunternehmer" näher beleuchten. Zur Kontroverse vgl. u.a. Voß, Günter G./Pongratz, Hans J. (1998): Der Arbeitskraftunternehmer - Eine neue Grundform der "Ware Arbeitskraft"? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Heft 1: 131-158; Bosch, Gerhard (2000): Entgrenzung der Erwerbsarbeit - Lösen sich die Grenzen zwischen Erwerbs- und Nichterwerbsarbeit auf? In: Minssen, Heiner (Hrsg.): Begrenzte Entgrenzungen. Wandlungen von Organisation und Arbeit. Berlin: 249-268; Deutschmann, C. (2001): Die Gesellschaftskritik der Industriesoziologie - ein Anachronismus?, in: Leviathan, 29. Jg., Heft 1: 58-69

3) Whitley, Richard (2004): Project-based Firms: New organisational form or variations on a theme? Paper for presentation at the 2thEGOS Colloquium, Lubljana, 1-3 July, 2004-08-23

4) Dörre, Klaus (2001): Das deutsche Produktionsmodell unter dem Druck des Shareholder Value. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 53, Heft 4: 675-704.

5) Voss-Dahm, Dorothea (2003): Zwischen Kunden und Kennziffern - Leistungspolitik in der Verkaufsarbeit des Einzelhandels. In: Pohlmann, Markus, et al. (Hrsg.), Dienstleistungsarbeit: Auf dem Boden der Tatsachen. Befunde aus Handel, Industrie, Medien und IT-Branche. Berlin

6) Peters, Klaus, (2001): Die neue Autonomie in der Arbeit. In: Glißmann, W./Peters, K.: Mehr Druck durch mehr Freiheit. Die neue Autonomie in der Arbeit und ihre paradoxen Folgen. Hamburg, S. 18-40

7) Berger, Ulrike/Offe, Claus (1984): Das Rationalisierungsdilemma der Angestelltenarbeit. Arbeitssoziologische Überlegungen zur Erklärung des Status von kaufmännischen Angestellten aus der Eigenschaft ihrer Arbeit als ‚Dienstleistungsarbeit’. In: Offe, Claus: "Arbeitsgesellschaft": Strukturprobleme und Zukunftsperspektiven. Frankfurt/Main und New York: 271-290

8) Sengenberger, Werner (2002): Globalization and Social Progress: The Role and Impact of International Labour Standards. A Report Prepared for the Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn: 48

9) Kratzer, Nick (2003): Arbeitskraft in Entgrenzung. Grenzenlose Anforderungen, erweiterte Spielräume, begrenzte Ressourcen. Berlin: 198, 202

10) Dörre, Klaus (2003): Das flexibel-marktzentrierte Produktionsmodell - Gravitationszentrum eines "neuen" Kapitalismus? In: Dörre, Klaus/Röttger, Bernd (Hrsg.): Das neue Marktregime: Konturen eines nachfordistischen Produktionsmodells. Hamburg (VSA): 7-34: 27. - In den öffentlichen DL Großbritanniens z.B. hat die "Vermarktlichung" durch Privatisierung eine Flut neuer Regulierungsversuche etwa zur Neudefinition und -messung von Leistung ausgelöst, indem etwa bei der Ausschreibung sozialer Dienstleistungen durch die Kommunen nicht mehr das preisgünstigste Angebot, sondern das ausgewählt werden soll, das den "best value" bietet.

11) Beynon, Huw/Grimshaw, Damian/Rubery, Jill/Ward, Kevin (2002): Managing Employment Change. The New Realities of Work. Oxford: 241 (Hervorhebung SL)


Dr. Steffen Lehndorff ist Forschungsdirektor im Forschungsschwerpunkt Arbeitszeit und Arbeitsorganisation im IAT (Institut Arbeit und Technik im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen) Gelsenkirchen. Er arbeitet insbesondere zum Wandel von Arbeitsorganisation, Arbeitszeiten, Beschäftigungsstrukturen und Arbeitsbeziehungen im internationalen Vergleich (iat-info.iatge.de/index.html?personal/lehndorf.html ).

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