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"Arbeitskraftunternehmer" - Leitbild der neoliberalen Arbeitsgesellschaft?

15.05.2005: Theorie und Empirie eines prognostizierten Wandels

  
 

Forum Wissenschaft 2/2005; Titelbild: Bernhard Edmaier

Mehrere Beiträge im Themenschwerpunkt Managementpolitiken von Forum Wissenschaft 1/2005 bezogen sich auf eine theoretische Figur, die in der Arbeits- und Industriesoziologie weiterhin viel diskutiert wird. Detlef Gerst nimmt sie unter die Lupe.

Die von Pongratz und Voß erstmals 1998 vorgestellte Prognose eines langfristigen Wandels im gesellschaftlichen Leittypus von Arbeitskraft1 prägt noch heute die Debatten um die Zukunft der Arbeitsgesellschaft. Auch wenn die Wandlungsthese umstritten und weit davon entfernt ist, als anerkannter Forschungsstand zu gelten, ist sie nach wie vor einer der zentralen Bezugspunkte aktueller arbeitssoziologischer Diskussionen. Ihre Popularität lässt sich vor allem damit erklären, dass die Figur des Arbeitskraftunternehmers die Aufmerksamkeit auf aktuelle Veränderungen von Arbeitsverhältnissen mit möglicherweise gravierenden Konsequenzen nicht nur für Arbeitskräfte, sondern für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft lenkt. Hierin liegt der analytische Gewinn der Arbeitskraftunternehmer-These. Problematisch daran ist jedoch, dass Pongratz und Voß allzu leichtfertig von einer alternativlosen und unumkehrbaren Entwicklung ausgehen und zudem mit dem Arbeitskraftunternehmer ein positiv konnotiertes Leitbild formulieren, das sich nahtlos in neoliberale Vorstellungen der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen einfügt. Mit dieser Akzentuierung laufen die beiden Autoren Gefahr, die Risiken einer Existenz als Arbeitskraftunternehmer in ihrer ganzen Tragweite zu verkennen und darüber hinaus den Blick auf Alternativen zu einer Gesellschaft der Arbeitskraftunternehmer zu verstellen.

Der von Pongratz und Voß diagnostizierte langfristige Wandel der Arbeitsgesellschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass zunächst der proletarisierte Lohnarbeiter der Frühindustrialisierung vom verberuflichten Arbeitnehmer des Fordismus abgelöst wird, an dessen Stelle im Postfordismus schließlich der Arbeitskraftunternehmer als neuer gesellschaftlicher Leittypus von Arbeitskraft tritt. Der Typus des Arbeitskraftunternehmers bezeichnet keine so genannten "Mitunternehmer", sondern vielmehr "Unternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft" - und dies in drei Dimensionen2: In der Dimension der Selbst-Kontrolle, als "verstärkte selbständige Planung, Steuerung und Überwachung der eigenen Tätigkeit", in der Dimension der Selbst-Ökonomisierung als "zunehmende aktiv zweckgerichtete ‚Produktion’ und ‚Vermarktung’ der eigenen Fähigkeiten und Leistungen - auf dem Arbeitsmarkt wie innerhalb von Betrieben" und in der Dimension der Selbst-Rationalisierung als "wachsende bewusste Durchorganisation von Alltag und Lebensverlauf und Tendenz zur Verbetrieblichung von Lebensführung"3. In der Vorstellung von Pongratz und Voß stimmen hierbei gesellschaftliche Anforderungen im Sinne eines Leitbildes mit dem Selbstverständnis von Arbeitskräften im Sinne eines Idealtypus überein.

Idealtypus?

Auf den ersten Blick scheint die Wandlungsthese beobachtbare Entwicklungen konzeptionell plausibel auf den Punkt zu bringen. Zugleich sind jedoch auch Zweifel an der Vorstellung angebracht, der Arbeitskraftunternehmer könnte sich zu einem dominanten empirischen Typus von Arbeitskraft entwickeln.

  • So stößt sich beispielsweise die zunehmende Bedeutung von Kooperation im Arbeitsprozess mit dem individualistisch gefassten neuen Typus von Arbeitskraft. Der Arbeitskraftunternehmer, definiert als eine Mischung aus Chamäleon und Nomade, wechselt permanent sein Kompetenzprofil, so dass er nicht über einen standardisierten und gesellschaftlich normierten, sondern über einen "individuellen Beruf"4 verfügt, der es ihm ermöglicht, laufend neue Arbeitsverhältnisse einzugehen, ohne sich jemals länger zu binden. Kooperation ist jedoch auf längerfristige Bindungen und darauf beruhende Vertrauensbeziehungen angewiesen.
  • Die ausgeprägte berufliche Mobilität, die Bindungslosigkeit und die fehlende Orientierung an beruflichen Standards sind zudem schwer mit der zunehmenden Bedeutung von Wissen in Produktionsprozessen vereinbar. Es ist unwahrscheinlich, dass der "individuelle Beruf" des Arbeitskraftunternehmers die verlässliche und kalkulierbare berufliche Grundlage des verberuflichten Arbeitnehmers zu ersetzen vermag. Denn während es sich beim Arbeitskraftunternehmer vor allem um einen Spezialisten für die Vermarktung der eigenen Person handelt, wird es in Betrieben vor allem auf vertiefte fachliche und methodische Kompetenzen ankommen, die ohne Bindungen an Institutionen der beruflichen Aus- und Weiterbildung nicht zu entwickeln sind.
  • Darüber hinaus werden Arbeitskraftunternehmer, die sich erfolgreich auf überbetrieblichen Arbeitsmärkten vermarkten, die betrieblichen Transaktionskosten erhöhen. Arbeitskraftunternehmer sind darauf spezialisiert, ihren eigenen Nutzen zu optimieren, was Betriebe dazu drängt, aufwändige vertragliche und organisatorische Arrangements zu treffen, um opportunistisches Verhalten zu begrenzen. Dies verursacht nicht nur Kontrollkosten, sondern führt auch zu einer Unternehmenskultur, die die Bereitschaft von Beschäftigten untergräbt, sich über das vertraglich vereinbarte Mindestmaß hinaus zu engagieren.
  • Ein weiterer Einwand betrifft das Verhältnis von verberuflichtem Arbeitnehmer und Arbeitskraftunternehmer. Um die Überlegenheit des Arbeitskraftunternehmers argumentativ zu begründen, findet sich bei Pongratz und Voß eine eigenwillig verzerrte Darstellung des verberuflichten Arbeitnehmers. Dieser wird als passiv, nur reaktiv tätig und sicherheitsorientiert dargestellt. Die Orientierungen, die Pongratz und Voß dem Arbeitskraftunternehmer zuordnen, finden sich jedoch bereits in der Phase des Fordismus, vor allem beim hoch qualifizierten Angestellten und in Ansätzen auch beim industriellen Facharbeiter. Gerade weil verberuflichte Arbeitnehmer über einen Beruf verfügen, dürften sie sogar in stärkerem Maße als Arbeitskraftunternehmer zur Selbst-Kontrolle und zur Vermarktung ihrer Kompetenzen in der Lage sein.5
  • Schließlich bietet der Typus des Arbeitskraftunternehmers einem Großteil von Arbeitskräften kein attraktives Identifikationsangebot. Denn warum sollten Beschäftigte eine Karriereorientierung mit Blick auf überbetriebliche Arbeitsmärkte entwickeln, wenn sie kaum Chancen sehen, durch die Vermarktung ihrer Arbeitskraft ihre Lebenssituation zu verbessern? Als erklärungsbedürftig hat sich deshalb eine von Pongratz und Voß empirisch festgestellte Diskrepanz zwischen einer deutlich ausgeprägten Orientierung der Leistungsoptimierung und einer von den beiden Autoren als "Absicherungsmentalität" interpretierten fehlenden Orientierung an überbetrieblichen Arbeitsmärkten herausgestellt.

Diese Einwände legen die Schlussfolgerung nahe, dass sich der Arbeitskraftunternehmer vermutlich niemals zu einem dominierenden Arbeitstypus entwickeln wird. Was Pongratz und Voß mit dem Arbeitskraftunternehmer beschreiben, ist jedoch ein Leitbild, dessen gesellschaftliche Akzeptanz, hier ist den Autoren zuzustimmen, in Zukunft vermutlich noch steigen wird. Dieses Leitbild korrespondiert mit einer zunehmenden Bereitschaft in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Formen einer kollektiven Regulierung von Arbeit sowie das Individuum schützende gesellschaftliche Institutionen zugunsten einer stärkeren "Warenförmigkeit" und einer vermeintlichen Aktivierung von Arbeitskräften zu verdrängen. Weil Leitbilder handlungsorientierend sind und als Grundlage der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen dienen, haben Pongratz und Voß, trotz der Einwände gegen ihre Prognose, mit dem Arbeitskraftunternehmer eine für die Auseinandersetzung mit der Modernisierung von Arbeitsverhältnissen ausgesprochen fruchtbare analytische Kategorie entwickelt. In diesem Sinne sieht auch Deutschmann in der Wandlungsthese von Pongratz und Voß eine Alternative zu einem anachronistischen, weil am Taylorismus orientierten Gesellschaftsbild der Industriesoziologie.6

… oder neoliberales Leitbild?

Als Leitbild bündelt der Arbeitskraftunternehmer Anforderungen an eine spezifische Subjektivität von Arbeitskräften, die etwa von Bröckling als unternehmerisches Selbst bezeichnet wird.7 Das unternehmerische Selbst ist flexibel, engagiert und innovativ, es regiert sich selbst und bedarf deshalb keiner detaillierten Anweisung. Stets arbeitet es an der Optimierung seiner eigenen Person, um diese immer besser präsentieren und vermarkten zu können. Laut Bröckling ist das unternehmerische Selbst kein Idealtypus im Sinne Max Webers, sondern vielmehr eine gesellschaftlich definierte Anforderung, die sich durch die Besonderheit auszeichnet, dass sie letztlich unerfüllbar bleibt. Vor diesem Hintergrund befindet sich das unternehmerische Selbst in einem niemals endenden Prozess der Selbst-Optimierung und der Selbstbefragung. Antrieb hierfür ist die persönliche Zuschreibung von Verantwortung, was im Rahmen einer neoliberalen Ideologie bedeutet, dass nicht etwa äußere Umstände über beruflichen Erfolg und Misserfolg (mit)entscheiden, sondern allein das persönliche Engagement.

Das unternehmerische Selbst und der Typus des Arbeitskraftunternehmers stimmen weitgehend mit Zielvorstellungen einer neoliberalen Umgestaltung von Arbeitsverhältnissen überein. Charakteristisch für das neoliberale Leitbild ist die Kritik an einer kollektiven Regulierung von Arbeit und die Deutung einer individuellen Regulierung als Entfesselung von heilsamen Marktkräften und darüber hinaus als Befreiung von Individuen aus hemmenden traditionellen Bindungen und bevormundenden gesellschaftlichen Institutionen.8 Das frei von gesellschaftlicher Einschränkung agierende unternehmerische Selbst dient hierbei als Idealbild, von dem aus sich die kollektive Regulierung von Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsmärkten als problematisch darstellen lässt. Widersprüche und Risiken werden aus diesem Leitbild ausgeblendet. Dies betrifft vor allem die Tatsache, dass sich das Selbst zumeist nicht bezogen auf selbst gesetzte Ziele optimiert. Dass Arbeitskräfte in diesem Prozess unter Umständen sogar an Kontrolle über die Verausgabung ihrer Arbeitskraft verlieren, ist dem Vorstellungshorizont der Befürworter einer neoliberalen Arbeitswelt fremd. Was die Anforderung einer permanenten Rationalisierung der eigenen Arbeitskraft dagegen an problematischen Veränderungen für die Qualität des Arbeitslebens mit sich bringen kann, darauf hat Siegel mit Blick auf das Bild einer "atmenden", nach Bedarf Personal auf- und abbauenden Fabrik hingewiesen: "Letztlich, so das Postulat, müsse jede und jeder damit rechnen, ab und zu ausgeatmet zu werden; daher seien alle dazu aufgerufen, sich selber zu rationalisieren und auf ständig neue Arbeitsbedingungen einzustellen, denn nur so haben sie die Chance, auch wieder eingeatmet zu werden."9 Ohne schützende gesellschaftliche Institutionen, die die Konkurrenz unter den nach Einatmung strebenden Arbeitskräften vermindern, hält die neoliberale Arbeitsgesellschaft neben Aufstiegs- und Entfaltungsmöglichkeiten auch erhebliche Abstiegsrisiken und vor allem das Risiko schwindender Verhandlungsmacht auf internen wie externen Arbeitsmärkten bereit. Was dies für die Zukunft der Arbeitskultur und für das gesellschaftliche Klima bedeutet, beschreibt Bröckling mit den Worten: "Für spielerische Leichtigkeit und noble Fairness bleibt dabei wenig Raum; es herrscht das bedingungslose Diktat des Komparativs"10. Weil sich letztlich niemand den Anforderungen zur Selbst-Optimierung und dem selbst zu verantwortenden Eingehen von Risiken entziehen kann, ist für Bröckling "das unternehmerische Selbst … nicht nur Leitbild sondern auch Schreckbild". Diese Entwicklung ist nicht nur aus der Sichtweise einzelner Arbeitskräfte, sondern auch aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive bedenklich. In diesem Sinne stellt Deutschmann die Frage: "Könnte es in einer Welt, die durch das Modell des Arbeitskraftunternehmers beherrscht wird, noch Menschen in nennenswerter Zahl geben, die Kinder in die Welt setzen und aufziehen, die sich in der Gemeinde, in Vereinen, Bürgerinitiativen oder Parteien engagieren?"11

Auch Pongratz und Voß hätten ihre Prognose als Kritik eines neoliberalen Umbaus der Arbeitsgesellschaft formulieren können. Sie haben aber eine Fassung gewählt, die ihre These anfällig werden lässt für eine Vereinnahmung durch neoliberale Diskurse.

  • Dies betrifft etwa den gesellschaftlichen Zuschnitt von Arbeitskraft und dessen Interessenvertretung. Der Typus des Arbeitskraftunternehmers ist individualisiert, bindungslos, verfügt über individuelle Kompetenzen und vermarktet sich als Individuum erfolgreich auf betrieblichen und überbetrieblichen Arbeitsmärkten. Als neues Ziel gewerkschaftlicher Vertretungspolitik formulieren die Autoren folgerichtig die "individualisierte Beratung". Die Kehrseite dieser Argumentation ist die implizite Zustimmung zu einem beschleunigten Verlust an kollektiver Orientierung.
  • Ebenso wie im neoliberalen Diskurs wird zudem eine Entwicklung beschrieben, die sich alternativlos, unumkehrbar und quasi naturgesetzlich vollzieht. Wer den Arbeitskraftunternehmer als die "entwickeltste Form von Erwerbsarbeit unter kapitalistischen Bedingungen"12 beschreibt, geht von einer Entwicklungslogik aus, in der kein Spielraum besteht für eine mehr als nur reaktive gesellschaftliche Steuerung. Die Verbreitung von Arbeitskraftunternehmern entspringt demzufolge ökonomischen Zwängen und nicht etwa politischer Willensbildung. In dieser Argumentation geraten Alternativen zur Gesellschaft der Arbeitskraftunternehmer und eine mögliche Widerspenstigkeit von betroffenen Arbeitskräften tendenziell aus dem Blick. Folglich setzen sich Pongratz und Voß für die Unterstützung von Arbeitskräften auf dem Weg zum Arbeitskraftunternehmer ein und nicht für deren Schutz vor dieser Entwicklung. Auf diesen Aspekt hat vor allem Drexel mit Blick auf die gewerkschaftliche Bildungspolitik hingewiesen.13
  • Schließlich behandeln Pongratz und Voß den Arbeitskraftunternehmer als eine weitgehend unproblematische Figur. Problematisch ist den beiden Autoren zufolge allenfalls ein unvollständiger Arbeitskraftunternehmer, gekennzeichnet durch eine Absicherungsmentalität und mangelndes Vertrauen in die eigenen Karrierechancen. Bezogen auf den vollständigen Arbeitskraftunternehmer betonen Pongratz und Voß hingegen die besondere Erlebnisqualität und den Spaß, den die Leistungsoptimierung bietet. Der verberuflichte Arbeitnehmer wird dagegen als passiv, sicherheitsorientiert sowie mental festgeklammert am Modell der Beruflichkeit und der Normalarbeit dargestellt.

Zwar bilanziert Pongratz die Folgen einer Verbreitung von Arbeitskraftunternehmern mit Verweis auf die ungleiche Marktmacht von Arbeitskräften als ambivalent: "Chancen und Gefahren des Typus Arbeitskraftunternehmer bleiben eng verknüpft mit den bekannten Ungleichheitsfaktoren, insbesondere mit Bildung, Besitz von sozialen Beziehungen, nationaler oder sozialer Herkunft und Geschlecht."14 In der empirischen Studie von Pongratz und Voß überwiegt jedoch eine weitgehend unproblematische Variante des Arbeitskraftunternehmers. Zusätzlich wird dieser Typus in ein positives Licht gestellt, indem er mit einem überwiegend negativ konnotierten Bild des verberuflichten Arbeitnehmers kontrastiert wird. Was in der Studie fehlt, ist eine systematische Differenzierung von Typen des Arbeitskraftunternehmers, orientiert an den persönlichen Ressourcen und allgemeinen, die Arbeits- und Lebenssituation beeinflussenden Rahmenbedingungen. Für eine nicht prekäre Variante des Arbeitskraftunternehmers ist vor allem entscheidend, dass dieser in einem bestimmten Beschäftigungssegment über außergewöhnliche Kompetenzen verfügt und dass die Nachfrage nach diesen Kompetenzen zumindest in einem ausgeglichenen Verhältnis zum Arbeitsangebot steht. Dies trifft auf hochqualifizierte Wissenschaftler und Fachkräfte in boomenden Branchen zu. In Zeiten der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit, einer harten Arbeitsplatzkonkurrenz selbst im Bereich der sogenannten ‚Wissensarbeit’ fehlt einem Großteil von Arbeitskräften jedoch die Voraussetzung für eine erfolgreiche Selbst-Ökonomisierung. Die Folge ist eine Sicherheitsorientierung, die sich aber nicht auf ein mentales Phänomen reduzieren lässt, wie dies der Begriff der "Absicherungsmentalität" suggeriert.

Im Folgenden soll das Verhältnis von Selbst-Kontrolle und Selbst-Ökonomisierung am Beispiel von Beschäftigten in einer besonders anspruchsvollen Variante der industriellen Gruppenarbeit thematisiert werden. Mit den hierzu herangezogenen Studien lässt sich zudem die empirische Untersuchung von Pongratz und Voß ergänzen.

Beispiel: industrielle Gruppenarbeit

Soll die These einer Verbreitung des Arbeitskraftunternehmers mehr als nur die relative Zunahme anspruchsvoller Tätigkeiten im Bereich der Angestelltenarbeit15 bezeichnen, dann müsste dieser Typus auch in Beschäftigungssegmenten Einzug halten, in denen bislang angelernte tayloristische Produktionsarbeiter und der verberuflichte Arbeitnehmer vorherrschend waren. Im Bereich der industriellen Produktion kommt hierfür vor allem die teilautonome Gruppenarbeit in Frage. Innerhalb der Industrie waren Pongratz und Voß im Rahmen einer empirischen Überprüfung ihrer These jedoch lediglich auf eine restriktive Variante der Gruppenarbeit gestoßen. Vor diesem Hintergrund erwies sich der Arbeitskraftunternehmer lediglich als ein "Angestelltenphänomen".16

Auf der Grundlage einer am Soziologischen Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI) durchgeführten Evaluation von Pilotprojekten teilautonomer Gruppenarbeit lässt sich jedoch auch für eine anspruchsvollere Variante der Gruppenarbeit die Frage beantworten, inwieweit hier mit einer Verbreitung von Arbeitskraftunternehmern zu rechnen ist und was es für die Arbeitssituation der betroffenen Beschäftigten bedeutet, wenn sie sich dem Typus des Arbeitskraftunternehmers annähern. Die Untersuchungen wurden zwar 1996 abgeschlossen, doch sind die damals untersuchten Gruppenarbeitskonzepte mit heutigen weitgehend identisch. Der Begriff der teilautonomen Gruppenarbeit bezeichnet damals wie heute eine Arbeitsform, in der Arbeitskräfte formal zu einer Arbeitsgruppe zusammengefasst werden und zur Ausführung einer als gemeinsam definierten Arbeit miteinander kooperieren. Grundlage einer teilautonomen Gruppenarbeit ist eine Aufgaben- und Funktionserweiterung, die den Gruppenmitgliedern Spielräume eröffnet, in bestimmten Grenzen eigenverantwortlich ihre Arbeitsleistung zu regulieren und die Wirtschaftlichkeit ihrer Produktion zu beeinflussen. Die betriebliche Funktion der Beschäftigten beschränkt sich in dieser Arbeitsform nicht darauf, Arbeiten entsprechend betrieblicher Durchführungsbestimmungen auszuführen und zu kontrollieren, sondern sie erstreckt sich auch auf die Gewährleistung eines reibungslosen Produktionsprozesses sowie die Beteiligung an der laufenden Prozessinnovation.

Mit diesem Funktionszuschnitt gehen hohe betriebliche Anforderungen an die Selbst-Kontrolle einher. Dies gilt insbesondere in einem der untersuchten Fallbeispiele, einer DNC-Dreherei, die eine Vielzahl unterschiedlicher Drehteile auch für externe Abnehmer ganz unterschiedlicher Branchen und in Konkurrenz mit anderen Herstellern produziert. Die Gruppenmitglieder werden konsultativ in die Angebotskalkulation eingebunden und es ist ihre Aufgabe, ihren Arbeitsbereich so zu organisieren, dass die Dreherei kostendeckend arbeitet und langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert oder zumindest erhält. Aufgrund der weit reichenden wirtschaftlichen Verantwortung der Gruppenmitglieder zählt die DNC-Dreherei zu den Produktionsabschnitten, in denen am ehesten eine Verbreitung des Typus Arbeitskraftunternehmer in der industriellen Produktion zu vermuten ist.

In dem Fallbeispiel lässt sich tatsächlich eine qualitative Veränderung in der betrieblichen Nutzung von Arbeitskraft und im Selbstverständnis von Beschäftigten feststellen. Die Gruppenmitglieder entwickeln dem Arbeitskraftunternehmer ähnliche Orientierungen, ohne jedoch ganz dem Leitbild zu entsprechen.17 Am stärksten ausgeprägt ist die für den Arbeitskraftunternehmer typische Orientierung in der Dimension der Selbst-Kontrolle. Die "Leistungsoptimierung" ist nicht nur eine betrieblich geforderte Orientierung, sondern sie entspricht auch dem Selbstverständnis der Beschäftigten. Die Beschränkung ihrer Zuständigkeit auf die Ausführung einer fremdorganisierten Arbeit haben sie immer als mangelnde betriebliche Anerkennung ihrer Kompetenzen empfunden. Vor diesem Hintergrund weisen die Gruppenmitglieder die erweiterten Handlungsoptionen zur Beeinflussung der Wirtschaftlichkeit nicht zurück, sondern greifen sie dankbar als fachliche Herausforderung auf. Die Leistungsoptimierung erweist sich deshalb keineswegs als eine Orientierung allein des Arbeitskraftunternehmers. Sie findet sich auch bei verberuflichten Facharbeitern, kann jedoch in der tayloristischen Arbeitsorganisation nur eingeschränkt handlungswirksam werden. Dies ändert sich in der teilautonomen Gruppenarbeit. Hier sehen die Gruppenmitglieder ihre Arbeitsaufgabe nicht zuletzt darin, eigenverantwortlich das Arbeitsverhalten an wechselnde Anforderungen anzupassen und stets nach Möglichkeiten zur Senkung der Produktionskosten zu suchen. In den Interviews zeigen sie sogar ein ausgeprägtes Bedürfnis, sich gegenüber den Führungskräften und den Kollegen als leistungsfähig und motiviert zu präsentieren.

In der Dimension der Selbst-Ökonomisierung gleichen die Orientierungen der Gruppenmitglieder jedoch nur teilweise dem Arbeitskraftunternehmer. Zwar suchen die Gruppenmitglieder aktiv nach beruflichen Herausforderungen innerhalb ihrer Produktionsbereiche, etwa durch die Bewerbung in Abteilungen mit besonders anspruchsvollen Aufgaben. Um ihre Chancen einer innerbetrieblichen Karriere zu erhöhen, bemühen sich die Gruppenmitglieder intensiv um die Entwicklung entsprechender Kompetenzen. Es entspricht dem Typus des Arbeitskraftunternehmers, dass die interviewten Gruppenmitglieder eine Neustrukturierung ihrer Aufgaben nicht scheuen und deshalb betriebliche und berufsfachliche Herausforderungen annehmen. Lernen betrachten die Gruppenmitglieder vorwiegend nicht nur als Notwendigkeit, um mit wachsenden Anforderungen Schritt zu halten, sondern auch als eine Chance. Die Karriereorientierung bleibt jedoch, anders als beim Arbeitskraftunternehmer, eine innerbetriebliche. Die Gruppenmitglieder orientieren sich kaum am überbetrieblichen Arbeitsmarkt. Gedanklich spielen sie zwar mit dieser Option, doch sehen sie kaum Chancen, von einem beruflichen Wechsel zu profitieren. So kennzeichnet die interviewten Gruppenmitglieder durchaus eine Diskrepanz zwischen einer ausgeprägten Leistungsoptimierung und einer Sicherheitsorientierung. Nur liegt die Begründung hierfür nicht in einer mentalen Fixierung auf das Normalarbeitsverhältnis. Den Gruppenmitgliedern ist vielmehr bewusst, dies zeigen ihre Äußerungen, dass sie neben ihrer fachlichen Ausbildung über zusätzliche Erfahrungen und Kompetenzen verfügen, die sie recht gut auf innerbetrieblichen, aber kaum auf überbetrieblichen Arbeitsmärkten verwerten können. Selbst mit einem Facharbeiterabschluss ausgestattet würden die Gruppenmitglieder bei einem Wechsel des Arbeitgebers riskieren, sich zunächst einmal mühsam die innerbetrieblichen Aufstiegschancen erarbeiten zu müssen, die sie in ihrem alten Betrieb bereits erworben hatten. Vor diesem Hintergrund verhalten sich die Gruppenmitglieder rational, wenn sie ihre Karriereorientierung auf den internen Arbeitsmarkt beschränken.

Zweifelhaftes Leitbild

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass es sich bei dem Arbeitskraftunternehmer um ein gesellschaftliches Leitbild handelt, das Arbeitskräfte mit Anforderungen in den von Pongratz und Voß beschriebenen Dimensionen der Selbst-Kontrolle, Selbst-Ökonomisierung und Selbst-Rationalisierung konfrontiert. Dass Arbeitskräfte im Typus des Arbeitskraftunternehmers ein attraktives Identifikationsangebot sehen, entspricht zwar dem Leitbild, ist aber bei Beschäftigtengruppen ohne entsprechende Karrierechancen auf externen Arbeitsmärkten unwahrscheinlich. Wie das Beispiel der Mitglieder teilautonomer Arbeitsgruppen zeigt, können Beschäftigte bei fehlenden Karrierechancen auf externen Arbeitsmärkten durchaus innerbetriebliche Aufstiegsambitionen entwickeln. Solange sich Arbeitskräfte in relativ gut geschützten Arbeitsverhältnissen befinden und Unternehmen zugleich auf eine loyale Kooperation ihrer Mitarbeiter angewiesen sind, bedeuten betriebliche Anforderungen an eine erweiterte Selbst-Kontrolle vor allem die Chance einer inhaltlich anspruchsvolleren Beschäftigung. Werden Arbeitskräfte dagegen trotz fehlender attraktiver Optionen auf externen Arbeitsmärkten zur Selbst-Ökonomisierung gezwungen, dann tragen sie nicht nur das Risiko einer Abwärtsspirale in zunehmend prekäre Formen der Beschäftigung, sondern sie verlieren auch an Verhandlungsmacht gegenüber ihren Arbeitgebern. Unter dieser Voraussetzung können verstärkte Anforderungen an die Selbst-Kontrolle zu einer erheblichen Intensivierung von Arbeit beitragen. Chancen und Risiken der Arbeitskraftunternehmer hängen weitgehend von persönlichen Ressourcen und der Situation auf den externen Arbeitsmärkten ab. Auf diesen Aspekt sollte sich die weitere Diskussion um den Arbeitskraftunternehmer konzentrieren. Dabei käme es darauf an, auch Sicherheitsbedürfnisse von Beschäftigten anzuerkennen und nach Wegen zu suchen, die prekäre Variante des Arbeitskraftunternehmers zu vermeiden.


Anmerkungen

1) Voß, G. G.; Pongratz, H. J. (1998): Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware

Arbeitskraft? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 50 (1): S. 131 - 158.

2) Pongratz, H. J.; Voß, G. G. (2003): Arbeitskraftunternehmer. Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen. Berlin. S. 23ff.

3) a.a.O., S. 24

4) Voß, G. G. (2002): Der Beruf ist tot! Es lebe der Beruf. In: Kuda, E.; Strauß, J. (Hg.): Arbeitnehmer als Unternehmer? Herausforderungen für Gewerkschaften und berufliche Bildung. Hamburg. S. 100 - 118.

5) Hierzu Faust, M. (2002): Der "Arbeitskraftunternehmer" - eine Leitidee auf dem ungewissen Weg der Verwirklichung. In: Kuda, E.; Strauß, J. (Hg.): a.a.O., S. 56 - 80. S. 86f.

6) Deutschmann, C. (2001): Die Gesellschaftskritik der Industriesoziologie - ein Anachronismus? In: Leviathan, 29 (1): S. 56 - 69.

7) Bröckling, U. (2002): Jeder könnte, aber nicht alle können. Konturen des unternehmerischen Selbst. In: Mittelweg 36 (4): S. 6 - 26.

8) Zum neoliberalen Umbau der Gesellschaft siehe Bischoff, J. (1998): Hegemonie und Bürgergesellschaft. In: Bischoff, J.; Deppe, F.; Kisker, K. P. (Hg.): Das Ende des Neoliberalismus? Wie die Republik verändert wurde. Hamburg: S. 53 - 80.

9) Siegel, T. (2003): Denkmuster der Rationalisierung. Ein soziologischer Blick auf Selbstverständlichkeiten. In: Geideck, S.; Liebert, W.-A. (Hg.): Sinnformeln. Linguistische und soziologische Analysen von Leitbildern, Metaphern und anderen kollektiven Orientierungsrahmen. Berlin/New York: S. 17 - 36. S. 35.

10) Bröckling, U. (2002): S. 25.

11) Deutschmann, C. (2001): Die Gesellschaftskritik der Industriesoziologie - ein Anachronismus? In: Leviathan, 29 (1): S. 56 - 69. S. 68

12) Pongratz, H. J.; Voß, G. G. (2003), S. 249 bzw. S. 244

13) Drexel, I. (2002): Das Konzept des Arbeitskraftunternehmers - ein Leitbild für gewerkschaftliche Berufsbildungspolitik? In: In: Kuda, E.; Strauß, J. (Hg.): a.a.O.: S. 119 - 131.

14) Pongratz, H. J. (2002): Erwerbstätige als Unternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft? In: Kuda, E.; Strauß, J. (Hg.): a.a.O.: S. 8 - 23. S. 17

15) Eine entsprechende Projektion findet sich bei Dostal, W.; Reinberg, A. (1999): Ungebrochener Trend in die Wissensgesellschaft. Entwicklung der Tätigkeiten und Qualifikationen. In: IAB Kurzbericht (10): S. 1 - 5.

16) Pongratz, H. J.; Voß, G. G. (2003). S. 193f.

17) Ich beschränke mich im Folgenden auf die Selbst-Kontrolle und Selbst-Ökonomisierung als die einzigen Dimensionen, in denen sich Gruppenmitglieder in Richtung Arbeitskraftunternehmer entwickeln.


Detlef Gerst ist Dipl. Sozialwirt. Er ist am Soziologischen Forschungsinstitut an der Universität Göttingen tätig und arbeitet dort zu Arbeits- und Organisationssoziologie, insbesondere zu Arbeitspolitik und betrieblicher Weiterbildung.

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