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Klaus Holzkamp

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Identitäre Arrangements

15.05.2005: Aufklärungskritik als Analyse der Fremdenfeindlichkeit

  
 

Forum Wissenschaft 2/2005; Titelbild: Bernhard Edmaier

Je nachdem, welche theoretischen Ansätze der Analyse und Erklärung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismustheorien zu Grunde gelegt werden, resultieren aus ihnen unterschiedliche Handlungsorientierungen für die politische Auseinandersetzung. Angelika Magiros hält nichts von der Annahme, Fremdenfeindlichkeit sei ein ideologisches Relikt der Vormoderne. Sie stellt Handwerkszeug für die Analyse von Rassismen als Produkt der zeitgenössischen Gesellschaft vor.

In politischen Verlautbarungen und Alltagsdiskursen ist es nicht unüblich, Rassismus und Antisemitismus, die Gewalt gegen Behinderte und Obdachlose, die Ablehnung anderer Religionen oder "Kulturen" - kurz: den Hass auf das, was fremd erscheint - als randständige Reste überholter Irrationalität inmitten unserer eigentlich toleranten modernen Gesellschaft zu bezeichnen. Eine anspruchsvolle kritische Analyse der Fremdenfeindlichkeit, die jeglicher Verharmlosung vorbeugen und wirklich weit reichende Strategien gegen sie ermöglichen möchte, muss jedoch ganz anders auf ihren Gegenstand zugehen. Ihre Aufgabe ist es, die Abwehr des Fremden so zu beschreiben, dass ihre Verankerung in der Mitte der Gesellschaft sichtbar wird und sie als genuiner Teil des modernen gesellschaftlichen Allgemeinen erscheint. Sie muss, anders formuliert, eine unbequeme Nähe des Objekts herstellen.

Die großen kritischen Theorien der aufgeklärten, modernen Rationalität haben hier einiges zu bieten - natürlich nur die, die selbst rational und der Aufklärung verpflichtet sind; und natürlich nur, wenn man ihre "Größe" nicht gläubig-exegetisch und schulentreu versteht, sondern rein handwerklich: als Quelle kühner, verallgemeinernder Thesen, die, wenn man sie arrangiert, anpasst, neu konstruiert und kombiniert, gerade dort gut zu benutzen sind, wo ein Phänomen in eine gesellschaftliche Totalität gestellt werden soll.1

Foucaults theoretische Instrumente

Michel Foucaults theoretische "Werkzeugkisten"2 sind schon auf den ersten Blick die richtigen, um genau das zu analysieren, was auch der Alltagsverstand schon als Charakteristikum moderner Fremdenfeindlichkeit wahrnimmt: ihren Biologismus, ihre Art, sich regelmäßig als naturwissenschaftlich, ja medizinisch geleitetes Handeln darzustellen. Ob Foucault nun den Umgang mit dem Wahnsinn, die Konstruktion der "sexuellen Perversion", den Begriff der Delinquenz oder die Geschichte des Rasse-Begriffs beschreibt3- immer steht im Zentrum seiner Genealogien, wie das vormoderne juridisch-religiöse Denken über Fremdheit an der Schwelle zur Moderne zu einem pathologisierenden Denken wird. Wo der Fremde früher Gesetzesbrecher, "Böser", Störenfried und politischer Feind war, da wird er in der Moderne mit Krankheit identifiziert. Foucault weist nach, wie diese moderne, pathologisierende Rationalität - die nicht mehr einfach nur Macht, sondern die Macht des Guten, eine heilende, schützende Macht sein will - abwehrend, unterdrückend und gewalttätig bleibt.

Vor allem aber hat Foucault Konzepte zu bieten, die die moderne Fremdenabwehr in der Tat in Allgemeineres einbinden können. Zunächst den Begriff der Bio-Macht, der in Der Wille zum Wissen4 als Synonym für die moderne politische Rationalität überhaupt fungiert. Moderne Macht, so die These dort, zielt direkt auf die Lebensfunktionen der Gesellschaftsglieder. Im Namen der "Sicherheit", des "Kampfes gegen Krankheit" und der "Verbesserung der vitalen Konstitution" kontrolliert, bewertet, formt und diszipliniert sie sowohl die individuellen Körper als auch das "bio-psychologische Niveau" ganzer Bevölkerungen. In der Moderne funktioniert das Recht zunehmend als Norm und die Politik als eine verallgemeinerte Medizin. In eine solche Bio-Macht jedoch passt die Behandlung des Fremden als Krankem oder Krankheitserreger - vom Therapiezwang gegen ihn bis hin zu den Vernichtungspolitiken der Nazis -, zynisch gesprochen, nur zu gut.

Viele Interpreten und Interpretinnen sehen in diesen in den siebziger Jahren entwickelten Thesen den Schlüssel zu Foucaults Werk. Als Theoretiker der Macht scheint Foucault ihnen - im Guten oder im Schlechten - zu sich gekommen zu sein.5 Doch nach meiner Lesart ist der Begriff der Bio-Macht nicht Foucaults letzte Instanz. Vielmehr stößt man in den früheren Büchern, insbesondere in "Die Ordnung der Dinge",6 auf die Analyse einer noch zentraleren Struktur moderner Ratio: auf die Kritik des modernen Humanismus.7 Sobald die Humanwissenschaften, so Foucaults These dort, sich in Bezug auf die Formen der menschlichen Existenz nicht mehr nur als ordnende Tätigkeit verstehen, sondern als "tiefe" Wissenschaften, die dem Ursprung, der Entwicklung, den Kausalitäten seines Seins auf der Spur sind, setzt eine perfide, typisch moderne Hoffnung ein: dass der Mensch irgendwann seine eigentliche Wahrheit finden und ein souveränes, seinem Wesen angemessenes, von keiner entfremdenden Endlichkeit verzerrtes Leben führen kann. Natürlich wird diese Hoffnung immer wieder enttäuscht, doch niemals so gründlich, dass der moderne Mensch von ihr ablassen könnte. Foucault spricht von einem "Imperativ, der das Denken von innen heimsucht",8 von einem regelrechten Drang des modernen Menschen, sich aus seinen Entfremdungen zu befreien, dereinst seine Endlichkeit für immer in seiner Souveränität aufgehen zu lassen und mit sich selbst identisch zu werden. Und wäre es nicht die perfekte Überwindung der Endlichkeit, wenn der Mensch seine Krankheiten, seine Schwäche, seine Dysfunktionen und schließlich seine Sterblichkeit in den Griff bekommen und loswerden würde? "Die Gesundheit tritt an die Stelle des Heils", denn keine der Humanwissenschaften ist "der sie alle tragenden anthropologischen Struktur so nahe" wie die Medizin:9 Ist nicht das bio-mächtige Ideal des gesunden Menschen die Inkarnation des perfekten, identischen, sozusagen großbuchstabierten Menschen?

So wie die moderne Pathologisierung des Fremden in die Bio-Macht passt, so passt diese nur zu gut in die humanistische Logik. Verknüpft man Foucaults Thesen mithilfe dieses Doppelfadens, so kann man tatsächlich moderne Fremdenfeindlichkeit auf eine interessante Art als Teil einer modernen Totalität beschreiben: als Versuch, Endlichkeit zu überwinden innerhalb einer Rationalität, die ganz allgemein und im Kern einen gefährlich-utopistischen Traum von vollendeter Identität verfolgt.

Kultureller Rassismus

Doch muss man den Foucaultschen Interpretationsrahmen an dieser Stelle mit einer bestimmten, höchst aktuellen Form der Fremdenfeindlichkeit konfrontieren: mit dem Neo-Rassismus. Wie immer er genannt wird - differentialistischer Rassismus, kultureller Rassismus, Rassismus ohne Rassen - sein Kennzeichen ist, dass er die Menschen nicht mehr in biologisch Höher- bzw. Minderwertige einteilt, sondern in verschiedene Kulturen, die sich gerade aufgrund ihres je eigenen irreduziblen Werts nicht über Gebühr vermischen dürften.10

Diese neo-rassistische Variante bleibt Abwehr des Fremden, denn politisch entpuppt sich "Nicht-Vermischung" als Programm gegen "ungeregelte Einwanderung", für Ghettoisierung und Stigmatisierung von Abweichung im gesellschaftlichen Inneren. Doch sind die diskursiven Veränderungen im Vergleich zu dem, was noch Foucault als moderne Fremdenabwehr galt, sehr deutlich. Dieser Neo-Rassismus ist nicht, zumindest nicht in erster Linie, biologistisch-medizinistisch, sondern kulturalistisch. Er reklamiert auch nicht für sich, objektive Wahrheit über den Menschen zu verkünden oder auch nur zu suchen. Im Gegenteil, seine Rede ist in gewissem Sinn "leer" oder "dünn" geworden: Kaum findet man in ihr noch ein konkretes Chakteristikum der eigenen oder fremden Kultur, die er da anruft; sein Metier ist nicht die inhaltliche Bestimmung seiner Objekte, sondern die rein relationale Aussage. Ja, schließlich trifft man gar auf eine Art offenen Subjektivismus, der geradezu stolz auf das konstruierte Moment, auf das Selbstgemachte seines Diskurses verweist. Man wisse doch, "dass das Ding an sich dem Verstand und der Wahrnehmung gleichermaßen unzugänglich" sei, dass es aber für beide genüge, "wenn sie sich als die Gegebenheiten eines Subjektes aufbauen" könnten, "dass man, gerade weil die reine Wahrheit unentscheidbar" sei, "mehr denn je ‚heroisch’ schaffen, aufbauen und gestalten" müsse.11 Und so sei eben auch die eigene Kultur allein dadurch definiert, dass man selbst sie definiere: "Unterscheiden zu können, zwischen ‚Wir’ und ‚Die’, das macht ‚kulturelle Identität’ aus."12

Wie soll man mit Foucaults Begriffen diese neue Form des Phänomens analysieren können? Ist nicht das Konzept der Bio-Macht machtlos gegenüber Diskursen, in denen sich das "Bio" zugunsten der "Kultur" zurückzieht? Und ist nicht der Standpunkt des offenen Subjektivismus und Konstruktivismus, den der neue Rassismus vertritt, eben jener, den Foucault selbst einnimmt, um gegen die objektivistischen Wahrheitsdiskurse theoretisieren zu können? So dass also nicht nur seine Instrumente, sondern auch die Positionen, von denen aus sie geführt werden, fraglich geworden waren? Man sieht die wissenschaftlichen Probleme, die vom Neo-Rassismus ausgehen. (Doch in einem Nebensatz sei gesagt: auch die politischen, ja geradezu moralischen. Es ist durchaus eine Art ethischer Schock, diese Ähnlichkeit zwischen der Epistemologie hochgeschätzter Werkzeugkisten und der des aktuellen Rassismus zu bemerken. Da ist sie wieder, die Nähe des Objekts - an diesem Punkt aber ist sie nicht Ziel der Analyse, sondern sie stellt sich her, sie spricht einen sozusagen von der Seite an!)

An dieser Stelle kommen die Kritischen Theoretiker Max Horkheimer und Theodor W. Adorno ins analytische Spiel. Es gilt, die Kritik der Identität weder aufzugeben noch hinter sie zurückzufallen (denn ein Zurück hat der Wissenschaft noch immer geschadet); vielmehr muss sie weiterentwickelt werden, exakt sie ist auszudehnen auf das Objekt, an das sie in ihrer bisherigen Form nicht heranreicht. Ein Ansatz für eine alternative, doch Foucault-kompatible Identitätskritik ist gefragt, und diese ist in der Tat in der These von der "Dialektik der Aufklärung"13 zu finden.

Kritische Theorie des Widerspruchs

Diesmal allerdings nicht auf den ersten Blick. Immerhin sprechen die Frankfurter Philosophen dort von einer "verkannten Wahrheit aller Kultur"14 - und warum nicht gleich: des Menschen - , machen gerade diese Verkennung und Verdrängung für die Herrschaft in der Gesellschaft verantwortlich und bieten ihre Theorie damit, so der Eindruck, doch eher als Objekt einer Identitätskritik à la Foucault an denn als deren Fortführung. Doch der zweite Blick lohnt sich. Oft ist die "Dialektik der Aufklärung" als eine mehr oder weniger offene Naturromantik vorgestellt worden.15 Doch weit gefehlt. Nicht die Natur ist jene verkannte Wahrheit des Menschen, auf die sich Horkheimer und Adorno positiv beziehen, sondern das widersprüchliche Verhältnis des Menschen zu ihr. "Der herrschenden Praxis und ihren unentrinnbaren Alternativen ist nicht die Natur gefährlich, mit der sie vielmehr zusammenfällt, sondern daß Natur erinnert wird."16 Nicht von ungefähr ist an dieser Stelle explizit von der "Erinnerung" die Rede, denn sie - jener merkwürdige Zustand, in dem etwas da und doch nicht da ist, präsent und doch entfernt - drückt präzise die Konstellation aus, auf die es den Kritischen Theoretikern hier ankommt: Der Mensch ist das Wesen, das in einer Art double bind zur Natur lebt. Und dieser double bind ist schärfer zu fassen als eine vergleichsweise schlappe Ambivalenz. Der Mensch ist zugleich abhängig, den Bedingungen der Natur unterworfen, und unabhängig, indem er sich ihrem direkten Zugriff und Kommando entziehen kann. Er ist souverän gegenüber der Natur und ihr als endliches Wesen unterworfen. Er kann Entscheidungen treffen und sie können die falschen sein. Es ist ein nicht zu kittender Riss, eine schmerzende und aufregende Gleichzeitigkeit des Gegensatzes, es ist ein veritabler Widerspruch, und er ist es, der in der herrschaftlichen Gesellschaft verleugnet wird.

Der Mensch ist "Widerspruch", "Inkongruenz", "Nicht-Identität". Horkheimer und Adorno haben also eine wahre Aussage über den Menschen, vielmehr die einzige wahre Aussage über den Menschen zu bieten, die mit Foucaults Identitätskritik zu vereinen ist. Ihr Denken über die Endlichkeit und die Souveränität - dass der Mensch inmitten seiner beiden Seiten lebt und keine von ihnen dauerhaft loswerden kann - ist das einzige, das nicht in den von Foucault beschriebenen Imperativ hineingezogen wird, sondern diesen sogar als sinnlos entlarvt. Anders gesagt, Horkheimer und Adorno führen Foucaults Kritik der Identität in der Tat fort (wenn man es einmal so technisch und unabhängig vom höheren Alter der "Dialektik der Aufklärung" formulieren will), nur führen sie sie auf eine Art fort, wie Foucault selbst sie nie hätte bringen können: als Kritik am "Verkennen", am Verschweigen einer den Menschen betreffenden wesentlichen Wahrheit.

Und eine solche Theorie des Verschweigens ist wirklich besser für die Aufgabe gerüstet, diese neuesten, eben immer schweigsamer, leerer werdenden, sich vom Objektivismus entfernenden fremdenfeindlichen Diskurse zu analysieren. Nicht, dass Horkheimer und Adorno in der "Dialektik der Aufklärung" bereits selbst einen kulturalistischen Neo-Rassismus vor Augen haben; vielmehr analysieren sie hier bevorzugt den Positivismus als den Prototyp moderner Rationalität. Doch die Art, wie sie ihn beschreiben, ist das Interessante. Im Vergleich zu den vormodernen religiösen Systemen erscheint der Positivismus ihnen nämlich als bereits sehr "dünne" Ideologie. Sie sehen in ihm einen selbsternannten "Triumph subjektiver Rationalität",17 der keine höhere Ordnung mehr, nichts mehr gelten lässt als die bloßen Fakten - und just der Biologismus und Sozialdarwinismus gelten ihnen als Paradebeispiele eines solchen Positivismus: Das Gesetz, dass das Starke und Gesunde sich durchsetzen und das Schwache, Kranke, Alte und Fremde untergehen wird, ist nichts Anderes als die bloße ideologische Verdopplung dessen, was in einer herrschaftlichen Gesellschaft tatsächlich geschieht. Die Ideologie wiederholt nur noch die Welt und geht keinen Deut mehr über sie hinaus; sie ist deckungsgleich, immanent, identisch mit ihr geworden. Doch für die Kritischen Theoretiker ist diese moderne Ratio der Faktizität eben kein Triumph, sondern ein besonders ängstliches, besonders stark den Widerspruch verdrängendes Denken. Denn anders als in den alten veritablen Glaubenssystemen und transzendenten Ideologiegebäuden - die die empirische Welt ausdrücken und gleichzeitig auch "mehr" sein wollten als sie, die also selbst ein widersprüchliches Verhältnis etablierten und damit ungewollt an den ursprünglichen Widerspruch des Menschen anknüpften - anders also als in diesen "vermittelten" Überbauten ist in der ideologischen Immanenz, in der eine totale Geist-Welt-Gleiche herrscht, auch noch die kleinste Erinnerungsspur an den double bind, an das vermittelte Wesen des Menschen ausgemerzt.

Diese Aussage Horkheimers und Adornos muss man nur noch zuspitzen, um sie für die Analyse des Kulturalismus nutzbar zu machen. Wenn ihnen schon der Positivismus, die ideologische Wiederholung des Faktischen, als immanent erschien, dann muss man sagen: Nichts gegen den Neo-Rassismus! Der nämlich - Kultur als "Gegebenheit des Subjekts" war ja sein Credo - ist noch immanenter; er wiederholt ideologisch nicht mehr nur noch die Welt, sondern nur noch seine eigenen Konstruktionen, sein Geist sieht in der Welt nicht mehr nur nicht "mehr" als diese, sondern schon nicht mehr "mehr" als sich selbst. Kurz gefasst: Nach der Geist-Welt-Gleiche des sozialdarwinistischen Biologismus herrscht nun, im neuen Rassismus, die Geist-Geist-Gleiche.

Man sieht sofort den ersten Ertrag einer solchen Interpretation. Wenn sich der Neo-Rassismus als jüngste, radikalste Form der Verdrängung des Widerspruchs abzeichnet, dann lässt er sich - entgegen seinen "heroischen" Selbstbeschreibungen - als inkarnierte Furcht verstehen: Neo-Rassisten - das sind die wahren Jammerlappen vor der Nicht-Identität des Menschen!

Im täglichen politischen Geschäft ist es schon ganz günstig, den neuen Rassismus auf diese Weise blamieren zu können, doch kann man - zweiter Ertrag - die Ängstlichkeit der Fremdenfeinde auch noch analytischer fassen und einen Begriff der Fremdenabwehr vor dem Hintergrund einer mit Horkheimer und Adorno verlängerten Foucaultschen Identitätskritik entwickeln.

Wandel der Arrangements

Man würde die Abwehr des Fremden als Arrangement definieren, dessen (fauler, aber sehr funktionaler) "Trick" darin besteht, die beiden Seiten des Menschen so zu verwandeln, dass sie nicht mehr als unlösbarer Widerspruch erscheinen, sondern als die Aspekte einer einzigen Handlungsanweisung zum - vermeintlichen - Glück. Abhängigkeit und Sinnlichkeit, d.h. die Tatsache, dass der Mensch nicht ohne Umgebung existiert, modelt sich das identitäre Bewusstsein um in die gehorsame Teilhabe an einem "Ganzen"; und die Fähigkeit des Menschen, sich über die Bedingungen zu erheben, hat in diesem Arrangement die Form des Hochmuts und der Abwehr gegen alles angenommen, was dieses Ganze stört. So ziehen in der Tat die Endlichkeit und die Souveränität an einem Strang, und das, was das Wesen dieses menschlichen Pärchens ausmacht - ihre aufregende und schmerzhafte Nicht-Identität - ist bis zur Unkenntlichkeit "wegarrangiert".

Das wäre eine sehr allgemeine, quasi transepochale Definition, doch mithilfe der These von der zunehmenden Immanenz lässt sich aus ihr eine historische Reihe der Fremdenfeindlichkeiten formulieren. Es ist nämlich dieses vom identitären Denken beschworene Ganze, das sich durch die Zeiten hindurch verändert: War es in vormodern-religiösen Zeiten die gültige, göttliche Ordnung (die gegen den Bösen und Sündigen verteidigt wurde), so in der Moderne die aufstrebende Bewegung der Materie (aus der das Kranke ausgeschieden werden musste). Wo die Identität des Menschen mit sich selbst vormals den Weg über den Himmel nehmen musste, musste sie in der Moderne, immanenter, nur noch den über eine irdische, geschichtliche Teleologie gehen. Jetzt aber, in der Postmoderne, muss sie gar keinen Umweg mehr nehmen. Die Identität des Menschen mit sich selbst ist jetzt direkt, unvermittelt, gänzlich immanent geworden, das Ganze - eben wie die "Kultur" der Neo-Rassisten - wird völlig ohne objektives Kriterium, und das heißt: als einfache Verdopplung des Subjekts konstruiert; das Ganze, das das Subjekt umgibt, ist nicht mehr "mehr" als es selbst, es ist nichts weiter als ihm ähnlich. Es ist seine künstliche Verlängerung, das geklonte Subjekt in Überdimension. Und so kommt es, dass die postmoderne Abwehr des Fremden aggressiv bleibt, aber mit äußerst "dünnen" Beschreibungen ihres Objekts einhergeht: Ein Ganzes, das nicht mehr, aber auch nicht weniger sein soll als der Klon seiner Teile, produziert automatisch das Fremde als seine äußere Begrenzung, doch muss andererseits dieses Fremde nur "da" und darüber hinaus gar nichts sein - nicht erst "böse" oder "krank" -, um als störend zu erscheinen. Die Leere des Neo-Rassismus wäre demnach keine marginale Merkwürdigkeit und erst recht kein Zeichen für die Rückkehr uralter, hohler Stammespolitik. Sie ist dann vielmehr ein Hinweis darauf, dass die Fremdenfeindlichkeit auch die jüngste der "epochalen" Entwicklungen der Rationalität und ihrer identitären Arrangements mitvollzogen hat - von der Formation der Gültigkeit über die der Geschichtlichkeit zu einer der Künstlichkeit - und sich wiederum auf der Höhe unserer Zeit bewegt.

Hat man den Neo-Rassismus auf diese Weise analytisch im "Allgemeinen verankert", so fangen die Fragen allerdings erst an, vor allem die politischen. Wenn die neuen identitären Arrangements der Künstlichkeit folgen, sollten wir - d.h.: die Antirassisten und Antirassistinnen - dann einen anti-künstlichen Standpunkt vertreten? Uns vielleicht auf ein Bewusstsein besinnen, das noch der Geschichte vertraut oder gar noch auf der Gültigkeit bestimmter Werte besteht? Doch ein Zurück schadet nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Politik. Wenn wir uns in die Tradition der vorangegangenen linken, demokratischen, aufgeklärten sozialen Kämpfe einreihen wollen, dann sollten wir "Tradition" etwas abstrakter verstehen. Wir sollten nicht das denken, was sie dachten, sondern so wie sie. So wie sie sollten wir versuchen, die Prinzipien der identitären Rationalität umzudrehen, zu besetzen, für uns zu benutzen. So nämlich machten es die frühen Aufklärer, als sie der autoritären, gesetzten Gültigkeit eine andere Gültigkeit entgegensetzten: die der empirischen Erkenntnis, die die Gehorsam fordernde Autorität zersetzte. So machten es auch die späteren kritischen Modernen und Kritiker der Moderne, als sie einer evolutionistischen Geschichtlichkeit, die nur dem Starken eine Zukunft versprach, ihre Geschichtlichkeit entgegenhielten: die der politischen Genealogien, die die angeblich natürliche Stärke der Starken dekonstruierte. Das hieße, dass es nun an uns wäre, die Künstlichkeit zu erobern. Im Neo-Rassismus ist sie ein Synonym für Abschottung: Selbstherrlich werden die Kollektive kraft heroischer Subjektivität erschaffen, doch was dabei herauskommt, ist die Beschränktheit in Reinform, denn sie erlaubt sich nur das Ähnliche. Unsere Künstlichkeit wäre genau andersherum gelagert: Wir würden sagen, dass die Vielfalt der Lebensweisen, denen man folgen kann, prinzipiell unbegrenzt ist, dass es aber bestimmter Dinge und Möglichkeiten bedarf, um sie zu erfinden und ausprobieren zu können - dass man materielle Ressourcen, Chancen, Sicherheit und nicht zuletzt den Fremden braucht, der uns das "lebendige Material" der Kreativität liefern kann. In unserer - gleichzeitig unbegrenzten und bedürftigen - Künstlichkeit wäre der souverän-abhängige, widersprüchliche Mensch sehr gut aufgehoben.

Und schon zeichnet sich die Nähe des Objekts zum dritten Mal ab, doch diesmal hat sie die Gestalt einer politischen Herausforderung: Können wir es schaffen, dem Gegner in dieser Nähe seine eigenen Mittel zu entreißen, um sie für uns zu verwenden?


Anmerkungen

1) Vgl. für eine längere Version des Folgenden: Angelika Magiros: Kritik der Identität. ‚Bio-Macht’ und ‚Dialektik der Aufklärung’: Werkzeuge gegen Fremdenabwehr und (Neo-)Rassismus, Münster 2004.

2) So möchte Foucault selbst seine Texte verstanden wissen. In: Michel Foucault: Von den Martern zu den Zellen. Ein Gespräch mit Roger-Pol Droit, in: ders.: Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin, Berlin 1976, S. 48-53, hier: S. 53.

3) Vgl. besonders Foucaults Texte: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft, Frankfurt/Main 1973 (Erstveröffentlichung 1961); Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/Main 1977 (EV 1975); Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt/Main 1983 (EV 1976); zum Rasse-Begriff: In: Verteidigung der Gesellschaft. Vorlesungen am Collège de France 1975-76, Frankfurt/Main 1999.

4) a.a.O.; im Zusammenhang mit dem Begriff der Bio-Macht ist das letzte Kapitel das wichtigste: Recht über den Tod und Macht zum Leben, S. 159-190.

5) Eine Konzentration auf Foucaults Machtbegriff "im Guten" ist insbesondere in empirischen Untersuchungen zu finden. Nützlich erscheint dort - etwa in der feministischen Forschung, bei der Frage der Formierung von Geschlechteridentitäten - die "konkretistische" Konzeption von Macht, die auch die alltäglichen und direkten, auf die Körper und Selbstdefinitionen ausgeübten Disziplinierungen in den Blick nehmen kann. "Im Schlechten" wird argumentiert, die "Aporien" und "performativen Widersprüche", die Foucaults Werk von Anfang an durchzogen hätten, seien schließlich in seinem "totalen" Machtbegriff kulminiert. In Deutschland ist Jürgen Habermas der prominenteste Vertreter dieser Kritik, vgl. Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt/Main 1985, S. 297-343.

6) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt/Main 1974 (EV 1966).

7) Der in Die Ordnung der Dinge formulierte anti-humanistische Standpunkt hat manchen Kritiker (unnötigerweise) zweifeln lassen, ob Foucault auf der Seite der Emanzipation und der Freiheit steht. Krudestes Beispiel in diesem Zusammenhang: Deleuze erwähnt einen Psychoanalytiker, der Foucaults Buch "in die Nähe von ‚Mein Kampf’ rückte." (Gilles Deleuze: Ein neuer Archivar, in: ders.: Foucault, Frankfurt/Main 1992, S. 9-36, hier: S. 9).

8) Die Ordnung der Dinge, a.a.O., S. 394/395.

9) Michel Foucault: Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks, Frankfurt/Main 1988 (EV 1963), S. 208.

10) Vgl. aus der langen Reihe der Texte, die sich mit dem neuen Rassismus beschäftigen, die "Klassiker": Etienne Balibar: Gibt es einen ‚Neo-Rassismus’?, in: ders./Immanuel Wallerstein: Rasse Klasse Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg u. Berlin 1990, S. 23-38. Pierre-André Taguieff: Die Metamorphosen des Rassismus und die Krise des Anti-Rassismus, in: Uli Bielefeld (Hg.): Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der Alten Welt?, Hamburg 1992, S. 221-268.

11) Alain de Benoist: Kulturrevolution von rechts. Gramsci und die Nouvelle Droite, Krefeld 1985, S. 32, Hervorhbg. i.O.

12) Marcus Bauer: Vielfalt gestalten. Rechte Perspektiven zum Projekt ‚multikulturelle Gesellschaft’, in: Stefan Ulbrich (Hg.): Multikultopia. Gedanken zur multikulturellen Gesellschaft, Vilsbiburg 1991, S. 137-157, hier: S. 138 (Komma i. Orig.; d. Red.).

13) Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt/Main 1971 (EV 1947).

14) Ebd., S. 39.

15) Wieder ist hier Habermas’ Interpretation exemplarisch zu nennen, vgl. etwa folgendes Zitat: "Im Gesang der Sirenen lockt eine amorphe Natur den Menschen zur unvermittelten Rückkehr, bietet ihm ein Entrinnen aus der Zivilisation an, die Erleichterung, sich seiner Identität zu entledigen. Gelegentlich will es scheinen, als ob Adorno selbst diesem Gesang erliege." (Jürgen Habermas: Theodor W. Adorno. Ein philosophierender Intellektueller, in: ders: Philosophisch-politische Profile, Frankfurt/Main 1971, S. 176-184, hier: S. 182). Doch Habermas’ Auseinandersetzung mit seinen intellektuellen "Vätern" ist, auch wenn ich ihr nicht zustimmen kann, sehr fesselnd. Bis zur Langweiligkeit grobschlächtig dagegen wirkt Sibylle Tönnies’ Missverständnis über die angebliche Naturnähe der Dialektik der Aufklärung, wie sie es in ihrem Buch Die Feier des Konkreten. Linker Salonatavismus, Göttingen 1996, äußert.

16) Dialektik der Aufklärung, a.a.O., S. 227.

17) Ebd., S. 27.


Dr. Angelika Magiros, Politikwissenschaftlerin, ist als Sachbearbeiterin bei der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. beschäftigt.

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