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Klaus Holzkamp

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"Lernfabriken … meutern!"

08.10.2016: Szenen einer aktuellen Kampagne zu Bildungsprotesten

  
 

Forum Wissenschaft 3/2016; Foto: Arbeitsstelle Forschungstransfer (Eigenes Werk) CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Alle Jahre wieder: In schöner Regelmäßigkeit finden an Hochschulen studentische Protestbewegungen, Bildungsstreiks, Besetzungen und Demonstrationen statt. Gründe und Ursachen dafür liegen in der Auseinandersetzung mit unbefriedigenden Lern- und Studienbedingungen und haben sich im Lauf der letzten Jahrzehnte kaum zum Besseren verändert. So bleibt das Bedürfnis nach Protest aktuell, wie Thorben J. Witt am Beispiel der Kampagne "Lernfabriken … meutern!" erläutert.

Zuletzt, als an dieser Stelle über größere Bildungsproteste berichtet wurde, ging es vor allem um Abwehrkämpfe gegen drohende massive Kürzungen an Hochschulen. Das betraf 2013/14 insbesondere die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Eine aktuelle Kampagne in der studentischen und teilweise auch schon außeruniversitären Protestlandschaft nimmt jedoch vielmehr die grundsätzlichen und länger bestehenden Funktionen des Bildungssystems in den Blick. Aktuell konkrete Kämpfe werden dabei insbesondere lokal immer wieder als Aufhänger genommen, konsequent mit der Grundsatzkritik kombiniert und unter der Selbstbezeichnung "Lernfabriken …meutern!" zusammengeführt.

Die Formulierung "Lernfabriken" deutet direkt auf die Funktion des Bildungssystems hin, wirtschaftlich verwertbare Objekte zu produzieren. Dabei spielt sie insbesondere mit dem Bild, dass diese Fabrik gleichförmig disziplinierte Schüler*innen, Student*innen und Auszubildende ausspuckt. Die Metapher Lernfabrik macht auf die im Kapitalismus systembedingte Verflechtung von Bildung und Wirtschaft aufmerksam. Damit geht die Kritik aber noch weiter, als lediglich die Intensivierung kapitalistischer Wettbewerbslogiken in die Forschung und Hochschulsteuerung als gescheitert darzustellen. Mit "meutern" fordert der Name zudem dazu auf, diese Zustände aus dem Inneren der verschiedenen Bildungsinstitutionen heraus umzustürzen und Bildung selbst in die Hand zu nehmen.

Kleiner historischer Abriss

Doch wie kam es zu dieser Bündnisbildung, wie hat sich das Bündnis in seiner kurzen Geschichte entwickelt, was erreicht und womit ist insbesondere in der kommenden Zeit zu rechnen?

In den Jahren 2014/15 gab es eine Welle von Hochschulgesetzesnovellierungen. Die niedersächsische Demokratisierung stand gerade noch bevor - im Koalitionsvertrag war sie für Sommer 2015 versprochen. Das wurde von niedersächsischen ASten und anderen studentischen Verbänden als Anlass genommen an die (Hochschul-)Öffentlichkeit zu gehen. Nach längeren Debatten setzte sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass der Transformation von Bildungsinstitutionen im parlamentarisch organisierten kapitalistischen Nationalstaat enge Grenzen gesetzt sind. So stand recht schnell eine grundsätzliche Kritik an Bildungsinstitutionen und ihrer historisch spezifischen Abhängigkeit von den materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen im Vordergrund. Ziele waren dabei, verschiedene soziale Kämpfe miteinander zu verbinden, so auch verschiedene Betroffenengruppen einzubinden, demokratische Praxis zu leben und auch von anderen Beteiligten in Bildungsinstitutionen zu fordern und dabei immer die Verbindungen zwischen gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen und Bildungswesen aufzuzeigen. Diesem breiten Aufruf schlossen sich bald viele Strukturen an, insbesondere auch die großen progressiven studentischen Zusammenschlüsse, vereinzelte Schüler*innengruppen und Jugend-Verbände.

Mit dem Aufruf war direkt ein Aktionsplan verbunden. Aktionswochen und Demonstrationszeiträume wurden festgelegt, damit Strukturen vor Ort auch etwas mit dem Aufruf anfangen und ihre Unterstützung deutlich machen konnten. Während die erste Aktionswoche vor allem noch von den Gründungsstrukturen aus Hannover und Lüneburg genutzt wurde und die zentrale Demo in Hannover recht klein blieb, hatte die Kampagne zum Zeitpunkt des dezentralen Demotages einen solchen Zulauf, dass in zehn Städten (u.a. Wien, Berlin, Marburg, Hamburg) Aktionen und Demonstrationen stattfinden konnten. Bayrische Student*innen hatten in Regensburg ihr eigenes regionales Zentrum gefunden, das direkt ein ganzes Camp auf die Beine stellen konnte.

Die Aktiven in Regensburg waren es auch, die die Proteste des Bündnisses in den Monaten danach noch weiterführten. Während in vielen anderen Städten der Elan zunächst ausgegangen war, fanden dort bis in den Winter hinein noch Aktionen statt, aus denen zuletzt eine studentische Vollversammlung organisiert wurde. Dort war es insbesondere der Auslagenersatz, eine gesonderte Gebühr für Sprachkurse, der für Unmut sorgte. In Landau war es die schlechte Finanzierung der Universität, die zum Anlass genommen wurde, um in Kenntnis der Meutereien anderer Städte einen Protest aufzubauen. Dort entschlossen sich die Student*innen auf einer Vollversammlung, das Verwaltungsgebäude zu besetzen. Mehrere Wochen hielten sie einen Hörsaal besetzt mit einer zwischenzeitigen kompletten Bestreikung des Universitätsbetriebs und einer Demo in der Landeshauptstadt Mainz als Höhepunkte. Meutern-Aktive aus anderen Städten waren auch direkt solidarisch vor Ort.

Parallel zu der Demo in Mainz fanden im Dezember auch Aktionen in Frankfurt statt. Diese hatten das schon länger gärende Thema eines Tarifvertrages für studentische Hilfskräfte als konkrete Forderung. Dort hatte es bereits über das Jahr verteilt verschiedene Streiks durch die Hilfskraft-Initiative gegeben und bundesweit wurde Anfang Dezember ein Aktionstag mit Vollversammlungen studentischer Beschäftigter in zehn Städten angenommen. Unter anderem aus diesem Arbeitskampf hat sich mittlerweile die Basisgewerkschaft unter_bau an der Frankfurter Uni gegründet. Diese schließt sämtliche Mitarbeiter*innen der Universität mit ein. Nicht nur Lohnabhängigkeiten sind für Student*innen häufig ein Problem, sondern auch Wohnungsnot. Besonders angegangen wurde dies Anfang 2015 in Mainz. Für "Lernfabriken …meutern" sind beide Abhängigkeiten vor allem in ihren prekären Formen wichtige Baustellen unserer Gesellschaft. In all diesen Fällen gab es zwischen den Aktiven vor Ort und dem Lernfabriken …meutern!-Netzwerk einen regen Austausch.

Plattformbildung und Vernetzung

Diese Aufzählung verschiedener Proteste verdeutlicht die Hauptfunktion, die das Bündnis zuletzt leisten konnte. Diese bestand vor allem darin, lokale Gruppen und Aktionen zu begleiten und ihnen eine Plattform zu geben. Der eigene Anspruch ist allerdings um einiges größer. Basisgruppen, die die konkreten Kämpfe mit einer grundsätzlichen Kritik am Bildungssystem verbinden, zu gründen und langfristig aufrechtzuerhalten, hat bisher nur in wenigen Fällen geklappt.

Insgesamt hat das Bündnis aber durchaus den Vorteil, dass sich konkrete lokale Probleme und Themen mit einer langfristigen bildungskritischen Perspektive verbinden lassen. Dies wird vor allem deutlich an den Aktionen, wie sie derzeit in Lüneburg gegen eine ungeliebte Änderung der Prüfungsordnung laufen. Anders als die bürokratischen Strukturen einer verfassten Studierendenschaft kann hier durch das Agieren in einer autonomen Meutern-Gruppe die Kritik mitgedacht werden, die eine Auflösung der Uni in die Bildungstransformation miteinbezieht. Die Lüneburger Meutern-Gruppe organisierte mit Unterstützung von studentischen Vertreter*innen eine studentische Vollversammlung zu der Ordnungsänderung. In dieser Zeit entwickelte sich eine Arbeitsteilung, Gremien-Diskussion zu führen und öffentlichkeitswirksame Aktionen durchzuführen. Nach der Vollversammlung und der damit verbundenen Einteilung in Arbeitsgruppen verfestigte sich diese Arbeitsteilung noch weiter. Während Vertreter*innen in Diskussionen um eine Reform der Ordnung eingespannt wurden, hatten die Aktivist*innen Freiheit darin, ihre Kritik weiter in Aktionen zu äußern und in internen Diskussionen zu vertiefen.

Auch der Blick über den Tellerrand der eigenen Statusgruppe ist Anspruch des Programms. Dass auch Schüler*innen Teil von Protesten sind, ist schon länger Tradition bei Bildungsprotesten. Weiter wurde von Beginn an auch die Kritik an (prekärer) Lohnarbeit mitgedacht. Angesichts der Gründung der Hochschulgewerkschaft unter_bau an der Uni Frankfurt sowie anderer aktueller Arbeitskämpfe, wie beispielsweise an der Uni Jena, wird deutlich, dass dies derzeit eines der drängendsten Probleme an Hochschulen ist. Aber das betrifft eben, wie unter_bau das auch deutlich macht, nicht nur studentische Beschäftigte, sondern an den Hochschulen auch die anderen Statusgruppen und im besonderen Maße die outgesourcten Beschäftigtengruppen. Aber auch über die Hochschulen hinaus gibt es Gruppen, die in prekärer Weise sowohl vom Lohn als auch von einer vorgegebenen Form von Bildung abhängig sind. So werden derzeit alle, die in irgendeiner Weise von Bildungsinstitutionen und -maßnahmen betroffen sind, dazu aufgerufen, sich im Bündnis zu organisieren. Das sind beispielsweise Auszubildende, aber zunehmend auch Arbeitslose, die oft zu sinnlosen Weiterbildungsmaßnahmen gezwungen werden.

Neben der ökonomischen Abhängigkeit gibt es aber auch noch weitere Herrschaftsverhältnisse, die "Lernfabriken …meutern!" mit Fragen rund um Bildung verbindet. So ist einerseits feministische und anti-rassistische Bildung für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft essentiell. Andererseits erleben viele von Diskriminierung Betroffene diese auch in den Bildungsinstitutionen tagtäglich, was häufig zu Ausschlüssen führt. Nur ein inklusives Bildungssystem kann zu einer inklusiven und freien Gesellschaft führen. Anspruch an das Bündnis selber ist damit aber ebenso inklusiv zu sein und zu arbeiten und Paternalismus zu vermeiden.

Ausblick

Um diese Ansprüche zu erreichen und insbesondere um die lokalen Aktivitäten zu stärken bzw. die vielen stattfindenden Aktivitäten zu koordinieren und aufeinander zu beziehen, wird eine Bildungsprotestkonferenz stattfinden. Eingeladen sind alle, die vom Bildungssystem betroffen sind und in ihm ein Hindernis zur Emanzipation und einer befreiten Gesellschaft sehen. Dabei soll auf Proteste im Sommer 2017 hingearbeitet werden, aber auch dauerhafte Basisstrukturen aufgebaut werden, die den gemeinsamen Widerstand im Bildungssystem über den singulären Protest hinaustragen. Die Arbeits- aber auch die Lernbedingungen im Bildungssystem machen deutlich, dass hier ein Wandel auch in der Protestlandschaft nötig ist.

Thorben J. Witt studiert Politikwissenschaft und ist aktiv in der Lüneburger Basisgruppe von "Lernfabriken …meutern!".

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