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Außer Kontrolle

15.08.2007: BA-Beratung sorgt für Geschlechterdifferenz

  
 

Forum Wissenschaft 3/2007; Titelbild: Stefan Knaab

Die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist die zentrale Institution in Fragen der Berufswahl. Helga Ostendorf zeigt, wie öffentliche Berufsberatung mit-sorgt für die Erhaltung der Geschlechterungleichheit und des Konstrukts ungleicher Berufszugänge.

Weil die Berufsberatung der BA Teile des schulischen Berufswahlunterrichts übernimmt, erreicht sie alle Jugendlichen. Zudem greifen schulische Lehrkräfte häufig auf Materialien der Berufsberatung zurück. 80% aller SchulabgängerInnen nehmen das Angebot einer persönlichen Einzelberatung in Anspruch. Obgleich die Berufsberatung einen derart großen Einfluss hat, ist das Ergebnis seit Jahrzehnten unverändert: Ein Großteil sowohl der Mädchen als auch der Jungen entscheidet sich für einen geschlechtstypischen Beruf.

Die Berufsberatung ist gesetzlich verpflichtet, „die Gleichstellung von Männern und Frauen als durchgängiges Prinzip zu verfolgen“. Im Arbeitsförderungsgesetz, das bis 1997 galt, stand sogar, die BA habe dazu beizutragen, dass „der geschlechtsspezifische Ausbildungsstellen- und Arbeitsmarkt überwunden wird“.1 Meine Untersuchungen aber besagen: Die Berufsberatung lenkt Mädchen in geschlechtstypische Berufe. Wie sie das tut, stelle ich im folgenden Abschnitt vor. Gegenwärtig wird die Berufsberatung „modernisiert“. Die BA aber ändert nicht etwa ihre Geschlechterpolitik, sondern baut die Berufsberatung ab, ohne dass sie einen politischen Auftrag dazu hätte. Bundestag und Bundesregierung akzeptieren bislang nicht nur die geschlechterpolitische Fehlsteuerung, sondern opponieren auch nicht gegen die Einschränkung ihrer Steuerungsbefugnisse. Aufrufe etwas von PolitikerInnen, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, Mädchen sollten Jungenberufe lernen, sind vor diesem Hintergrund reine symbolische Politik.

Berufliche Orientierung

Bisherige Untersuchungen zur Berufswahl von Mädchen sind meist in der Soziologie und den Erziehungswissenschaften verankert und zentrierten entsprechend auf die Wünsche und Orientierungen von Mädchen. In meiner Untersuchung steht dagegen die Berufsberatung als politische Institution im Mittelpunkt, als „Regelsystem(e) der Herstellung und Durchführung verbindlicher, gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen“.2 Erziehungswissenschaftliche und soziologische Erkenntnisse geben Hinweise auf die Steuerbarkeit von Mädchen. Hervorzuheben ist vor allem die These von Carol Hagemann-White, „dass Frauenberufe Mädchen deshalb anziehen, weil sie Frauenberufe sind, und zwar unabhängig davon, ob sie hausarbeitsnah, sozialkommunikativ oder lukrativ sind.“ Ein Frauenberuf eigne sich „von vornherein für die Konstruktion und Darstellung einer weiblichen Identität“.3 Dieses gender display sei Mädchen in der Adoleszenz übermäßig wichtig, da sie so die Unsicherheit, die mit der Adoleszenz verbunden ist, reduzieren könnten. In dieser Phase aber müssen Mädchen ausgerechnet ihre Berufsentscheidung treffen. Carol Hagemann-Whites These wird mittlerweile u.a. durch Befragungen der Teilnehmerinnen des Girls’ Day bestätigt: Ältere Schülerinnen können sich „Technik“ als späteres Tätigkeitsfeld deutlich seltener vorstellen als jüngere.4 Hinsichtlich anderer Merkmale gibt es bei den Berufswahlpräferenzen kaum Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Beiden Geschlechtern ist ein sicherer Arbeitsplatz sehr wichtig. Aufstiegschancen und ein hohes Einkommen haben ebenfalls eine große Bedeutung.5

Meine Hypothesen gewann ich aus feministischen Staatstheorien, der politikwissenschaftlichen Institutionentheorie und Ansätzen des Neuen Institutionalismus sowie der Politikfeldanalyse. Zentrale Fragen der Untersuchung sind, (1) ob und inwieweit die Berufsberatung der Geschlechtersegmentation in der beruflichen Bildung entgegenwirkt und (2) warum unterschiedliche Berufsberatungen verschieden viele Mädchen in gewerblich-technische Berufe vermitteln. Entsprechend habe ich Statistiken sowie zentrale Veröffentlichungen der Bundesagentur und deren Dienstblätter ausgewertet und in zwölf Berufsberatungen Interviews mit den Abteilungsleitungen sowie den Beauftragten für Chancengleichheit durchgeführt. Außerdem befragte ich schriftlich die dortigen Beratungsfachkräfte. Im Folgenden stelle ich vor, wie und wodurch die Berufsberatung die Geschlechtersegmentation verstärkt.6

Die Betriebe stellen anteilig mehr Mädchen in Jungenberufen ein, als die Berufsberatung vorgesehen hat. In den elektrotechnischen Berufen sieht die Berufsberatung anteilig erheblich weniger Mädchen vor, als von den Betrieben eingestellt werden. In den Metallberufen ist der Mädchenanteil bei der Berufsberatung zwar höher als unter den Auszubildenden, die Berufsberatung versucht aber die Mädchen vornehmlich in Handwerksberufen unterzubringen und nicht in industriellen Berufen. In Handwerksberufen aber haben Mädchen keine Chancen. In den Metallberufen haben sie lediglich einen Anteil von 1,6% an den Auszubildenden, in den Elektroberufen 1,2%. In der Industrie sind die Zahlen mit 3,8% bzw. 4,4% zwar auch nicht gerade hoch.7 Betriebsbefragungen jedoch zeigen deutliche Unterschiede. Während es unter den Industriebetrieben neben „Vorreitern“ eine erhebliche Zahl an „Hoffnungsträgern“ gibt, die bisher nur noch keine Mädchen ausgebildet haben, weil sich keine bewarben, erweist sich das Handwerk als „hoffnungsloser Fall“.8 Auch in andere chancenreiche Berufe schickt die Berufsberatung immer weniger Mädchen. Im Laufe der 1990er Jahre sah sie immer weniger der bei ihr registrierten Ausbildungsplatzbewerberinnen für einen gemischt besetzten Beruf wie z.B. Bankkauffrau oder Technische Zeichnerin vor, immer mehr dagegen für einen typischen Mädchenberuf.

In der BA herrscht die Leitidee der Geschlechterdifferenz. Die Texte der Bundesagentur heben zwar hervor, dass in vielen Frauenberufen schlechte Verdienst- und Arbeitsmarktchancen bestehen. Im gleichen Atemzug verweisen sie aber immer darauf, Frauen mit Männerberufen hätten „besondere Schwierigkeiten“ und fänden nur schwer eine Anschlusstätigkeit. Mit Literaturverweisen belegt werden diese Behauptungen nie. Sie haben sich in der Bundesagentur anscheinend zu sozialen Institutionen verfestigt, die keines Beweises bedürfen. Studien mit anders lautenden Befunden, wonach weniger das Geschlecht als vielmehr der jeweilige Beruf und daneben der Ausbildungsort (betrieblich/außerbetrieblich) die Chancen bestimmen, werden daher nicht zur Kenntnis genommen.

Die Verfahrensweisen lassen keinen Raum, den gender-display adoleszenter Mädchen zu hinterfragen. Die ausführlichen Einzelgespräche finden meist erst kurz vor Bewerbungsschluss statt. Zu diesem Zeitpunkt ist es zu spät, um Mädchen, denen berufliche Chancen wichtig sind, die sich aber gleichzeitig für einen Frauenberuf entschieden haben, auf die Gefahren einer solchen Entscheidung hinzuweisen. Die Berufsberatung könnte prinzipiell ein Praktikum in einem Jungenberuf und auch mehrmalige Gespräche anbieten. Damit aber droht, dass diese Mädchen den Bewerbungsschluss verpassen und letztlich ganz ohne Ausbildungsplatz dastehen. Gleichzeitig ist der Terminkalender der BeraterInnen zu diesem Zeitpunkt sehr voll, so dass wiederholte Beratungen kaum möglich sind.

Resonanzböden

In den Materialien zur Berufsorientierung ist vielfach das Leitbild der Geschlechterdifferenz eingeschrieben. Sie zielen auf den Resonanzboden der Präsentation von Weiblichkeit und lassen die gleichzeitigen Wünsche nach sicheren Beschäftigungschancen, Aufstiegsmöglichkeiten und finanzieller Unabhängigkeit außen vor. Im interaktiven Computerprogramm „Interesse-Beruf“ werden in der Kategorie Arbeitsmittel/-gegenstände nahezu ausschließlich Berufe mit dem Merkmal „Menschen“ versehen, in denen der Anteil der Mädchen hoch ist. Dies ist für die jeweiligen Berufe wie Arzthelferin oder Verkäuferin zwar durchaus zutreffend. Aus der Perspektive der Gleichstellung der Geschlechter ist dieses Menu jedoch geradezu perfide. Mädchen sind Befragungen zu Folge „nette KollegInnen“ sehr wichtig. In den Schülerinnen-Materialien werden sie aber nicht darüber aufgeklärt, dass sie, wenn sie den Button „Menschen“ drücken, keine Berufe mit „netten KollegInnen“ genannt bekommen, sondern vornehmlich Helferinnenberufe mit geringen Verdienst- und Aufstiegschancen.

Ein besonders plakatives Beispiel für das Anknüpfen an der weiblichen Adoleszenz sind folgende Berufsbeschreibungen, die noch in der Ausgabe von 2001/2002 von „Beruf Aktuell“ zu lesen waren. In diesem Buch stellt die BA in Kurzform ca. 500 Berufe vor. Es wird an alle Jugendlichen der Sekundarstufe I verteilt. Zum Beruf Werkzeugmechaniker schreibt die Berufsberatung: „Mit hoher Maßgenauigkeit werden die Produkte in Handarbeit oder maschinell nach Muster oder Zeichnungen hergestellt. Alle Arbeiten werden in Einzelfertigung von den Werkzeugmechanikern selbständig ausgeführt“. Zur Damenschneider/in schreibt sie: „Immer dem jeweiligen Modetrend angepasst, werden Stoffe [...] und zahlreiches modisches Zubehör verarbeitet. Sowohl bei Neuanfertigungen als auch bei Änderungen gehören eine individuelle Kundenberatung, exakt errechnetes Zuschneiden [...] zu den Aufgaben“. 9 Der fast ausschließlich von Mädchen erlernte Beruf Damenschneiderin wird mit den weiblichen Feldern „Mode“ und „Beratung“ in Verbindung gebracht; der fast ausschließlich von Jungen erlernte Beruf Werkzeugmechaniker dagegen mit männlich-technischer Arbeit „nach Mustern oder Zeichnungen“ und „Einzelfertigung“. Aber: Auch Damenschneiderinnen arbeiten nach Mustern und Zeichnungen und in Einzelfertigung, und auch Werkzeugmechaniker beraten Kunden, nämlich Meister und Ingenieure. Diese beiden Berufsbeschreibungen lassen sich problemlos vertauschen!

Wissensdefizite

Die BA monopolisiert das Wissen der Beratungsfachkräfte. Diese haben Defizite hinsichtlich der Zukunftsaussichten von Berufen, der Laufbahn- und Karriereberatung, der Eignung von Mädchen für Jungenberufe und der Wünsche von Mädchen. In meiner Fragebogenerhebung habe ich die BeraterInnen gefragt, für welche Berufe sie eher Mädchen und für welche sie eher Jungen als geeignet ansehen. Dazu hatte ich ihnen eine Liste mit Mädchen- und Jungenberufen vorgelegt. Ein Großteil der BeraterInnen antwortete, beide Geschlechter seien für die meisten Berufe gleich geeignet. Je nach Beruf unterschiedlich viele, meist zwischen 10% und gut 20%, sortieren aber die Eignung von Mädchen und Jungen entlang des Anteils, den Mädchen bzw. Jungen in diesen Berufen bisher haben. Anzunehmen ist daher, dass sie in ihrer Beratungsarbeit die bisherige Geschlechtersegmentation reproduzieren. Darüber hinaus zeigt diese Erhebung, dass den BeraterInnen einschlägige arbeitswissenschaftliche Untersuchungen nicht bekannt sind. Bspw. halten 72% Mädchen für den Beruf der Industriemechanikerin-Betriebstechnik für gleichermaßen geeignet wie Jungen. Dabei sagen arbeitswissenschaftliche Untersuchungen, dass Mädchen bzw. Frauen in diesem Beruf tendenziell körperlich überfordert werden. Mädchen mit diesem Berufswunsch dürften bei den Betrieben kaum Chancen haben.

Auch das Wissen darüber, was Mädchen an einem Beruf wichtig ist, ist defizitär. Ich habe den Beratungsfachkräften Statements vorgelegt, die Daniela Hoose und Dagmar Vorholt bei ihrer Befragung Hamburger Schülerinnen verwendet haben. Ich konnte so die Angaben von BerufsberaterInnen dazu, was den Mädchen ihrer Meinung nach wichtig sei, mit den Angaben von Mädchen vergleichen. Einig sind sich BeraterInnen und Mädchen darin, dass „nette KollegInnen“ relevant sind. Ansonsten aber unterscheiden sich die Annahmen der BerufsberaterInnen deutlich von den Angaben der Mädchen. BerufsberaterInnen meinen im Gegensatz zu ihnen, Kriterien wie Möglichkeiten zum Wiedereinstieg, Aufstiegschancen und finanzielle Unabhängigkeit seien vergleichsweise nebensächlich. Die neuere Literatur zu den Berufswahlmotiven ist den Beratungsfachkräften nicht bekannt.

Gefragt nach den wichtigsten Informationsquellen, gaben die BeraterInnen, neben Zeitungen, Magazinen und Bekanntenkreis sowie Kontakten zu Betrieben und Schulen, nahezu ausschließlich Hausinternes an: Dienstbesprechungen, das Intranet, von der Bundesagentur durchgeführte Fortbildungen sowie Literatur, die vom hauseigenen Forschungsinstitut IAB oder der Zentrale der BA erstellt wurde. Dabei vermitteln BerufsberaterInnen, die angaben, wichtige Informationen aus den Studien des IAB und hausinternen Fortbildungen zu entnehmen, besonders wenige Mädchen in Jungenberufe: Die Leitidee der Geschlechterdifferenz dominiert auch viele Studien des IAB. Durch die hauseigene Ausbildung, hauseigene Fortbildung, hauseigene Literatur und zentral vorgegebene Arbeitsmaterialien hat die Bundesagentur ihr Personal ziemlich „fest im Griff“. Die persönlichen Haltungen und Meinungen der Beratungsfachkräfte spielen daher kaum eine Rolle.10

Eigenmächtigkeit

Die BA reagiert verzögert auf einen Richtungswechsel der Geschlechterpolitik der Bundesregierung – häufig auch entgegengesetzt dazu. Seit 1980 sind geschlechtsspezifische Diskriminierungen bei Bewerbungen verboten. Trotz des gesetzlichen Verbots jedoch sahen die Formblätter der Berufsberatung noch bis 1984 vor, dass Betriebe sich von vornherein entweder für ein Mädchen oder einen Jungen entscheiden mussten. 1990, als die mittlerweile regierende liberal-konservative Bundesregierung längst wieder auf eine Politik der Geschlechterdifferenz, der Zuweisung unterschiedlicher Aufgaben an Frauen und Männer, umgeschwenkt hatte, richtete die BA Beauftragte für Frauenbelange in den Berufsberatungen ein, die sich u.a. um die Erschließung von Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen im gewerblich-technischen Bereich kümmern sollten. 1998 schließlich, als Rot-Grün mit der Devise antrat, sie wollten die Chancengleichheit von Männern und Frauen „wieder“ zu einem wichtigen Thema machen, schaffte die BA diese Beauftragten ab. Eine – wenngleich nunmehr hauptamtliche – Beauftragte soll sich seither um alle Bereiche der Arbeitsverwaltung kümmern. Der Aufgabenkatalog von 1990 zentrierte auf Wiedereinsteigerinnen. Die berufliche Beratung von Mädchen kam nur ganz am Rande vor. Schon damals stand nicht im Vordergrund, Arbeitslosigkeit von Frauen durch eine tragfähige Erstausbildung zu vermeiden. In der neuen Dienstanweisung aus dem Jahr 2005 ist hiervon ebenfalls nicht die Rede. Das Wort „Berufsberatung“ taucht gar nicht erst auf.

Die Berufsberatung ist eine verselbstständigte Organisation, die keiner demokratisch legitimierten Kontrolle unterliegt. Die Aufsicht haben die Verwaltungsausschüsse der jeweiligen Agenturen. Sie setzen sich aus VertreterInnen tariffähiger Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und öffentlicher Körperschaften zusammen. Diese aber entsenden ExpertInnen für Arbeitsmarktfragen, nicht für solche der Berufsberatung. Ihnen geht es darum, möglichst viele Mittel der aktiven Arbeitsförderung in die Region zu holen. Qualitative Fragen der Berufsberatung stehen in diesen Gremien so gut wie nie auf der Tagesordnung. Das Bundesarbeitsministerium hat – obwohl für die Berufsberatung zuständig – seit Jahrzehnten keine Evaluation in Auftrag gegeben. Die Frage, ob politische Institutionen „actors in their own right“ sind, lässt sich hinsichtlich der deutschen Berufsberatung eindeutig mit Ja beantworten.

Dem verordneten wissenschaftlichen Wissen der Beratungsfachkräfte steht allerdings das Erfahrungswissen aus Schulen und Betrieben gegenüber. Hieraus erklärt sich, warum einige Agenturen mehr Mädchen in geschlechtsuntypische Berufe vermitteln als andere. Überdurchschnittlich häufig werden dort Mädchen in gewerblich-technische Berufe vermittelt, wo die Beratungsfachkräfte besonders oft Betriebe aufsuchen und ihre Erfahrungen besonders häufig untereinander austauschen. Der Austausch ist wichtig, weil jede/r BerufsberaterIn nur für bestimmte Betriebe und Schulen zuständig ist (bzw. war; s.u.). Ursache sind also organisatorische Besonderheiten der Agenturen, nicht etwa die Aufgeschlossenheit oder Verschlossenheit der BeraterInnen.

Selbstentledigung

Die Arbeitsagenturen haben sich neu organisiert. Der Anfang 2002 aufgedeckte Skandal, dass die Arbeitsvermittlung ihre Statistiken fälschte und insgesamt ineffektiv war, führte zur Einsetzung der Hartz-Kommission und letztlich zur Beauftragung der Beratungsunternehmen McKinsey und Roland Berger. Die Leitidee ist nunmehr die Konzentration der Kräfte auf Arbeitsvermittlung mit dem Ziel, sowohl deren Geschwindigkeit als auch die Ausgaben-Einnahmen-Situation der Bundesagentur zu verbessern. Die Reformmaßnahmen folgen einer „betriebswirtschaftlich geprägte(n) Versicherungslogik“.11 Entgegen den Empfehlungen der Hartz-Kommission12 und ohne entsprechende Verordnungen des Bundes wurde die Berufsberatung in die Reform einbezogen. Sie ist nun in die Arbeitsvermittlung integriert und dort drei unterschiedlichen Organisationseinheiten zugeordnet: die allgemeine Berufsberatung kam zu „U25“ (für alle unter 25-Jährigen), die BerufsberaterInnen für AbiturientInnen und HochschülerInnen kamen zum „Team Akademische Berufe“ und die Reha-BeraterInnen beider Gruppen zum „Team Reha“. Selbst der Name „Berufsberatung“ wurde abgeschafft.

Die BA „hat keinen sozialpolitischen Auftrag“, meinte ihr Vorstandsvorsitzender Frank-Jürgen Weise13, und sein direkter Mitarbeiter Sven Schütt konkretisierte bereits vordem, Berufsberatung werde zum „Luxus“, den wir uns „nicht mehr leisten können“.14 Presseberichten zu Folge hat die BA im letzten Jahr 11,2 Mrd. Euro „erwirtschaftet“. Günther Schmid, ein Mitglied der Hartz-Kommission, bemerkte dazu: „... als ob die BA ein Profitcenter der Bundesregierung wäre“. Für ihn berichtenswert war eher, dass die BA die Mittel, die für Arbeitsförderung und Eingliederung zur Verfügung standen, nicht ausgeschöpft hat.15

Unter beruflicher Beratung versteht die BA tendenziell nur noch Ausbildungsvermittlung. Analog zur Arbeitsvermittlung werden die so genannten Kunden neuerdings in „Markt-“, „Beratungs-“ und „Betreuungskunden“ unterteilt; ihnen werden – wie bei Banken und Versicherungen üblich – standardisierte, adressaten„gerechte“ Pakete angeboten. „Marktkunden“ müssen sich selbst etwas suchen, wie bereits der Bundesrechnungshof monierte, und „Betreuungskunden“ fallen durchs Raster: Es wäre zu viel Aufwand, sie in Arbeit oder Ausbildung zu vermitteln. Schon kurz nach Einrichtung der Jobcenter verfügte die BA, dass Jugendliche, deren Eltern ALG II beziehen, nicht mehr von der Berufsberatung betreut werden dürfen. Diese Anordnung führte zu erheblichen öffentlichen Protesten; die BA musste sie zurücknehmen. Seit September letzten Jahres ist nun eine Regelung in Kraft, wonach die berufliche Beratung dieser Jugendlichen zwar weiterhin kostenfrei ist, die Jobcenter müssen jedoch der BA pro Monat, in dem diese Jugendlichen in der Vermittlungskartei stehen, 77 Euro erstatten. Da bis zum Abschluss eines Ausbildungsvertrages in aller Regel einige Monate ins Land gehen, verdient die BA kräftig daran. Besonders lukrativ sind Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz finden und es zum nächsten Ausbildungsjahr wieder versuchen. Sie stehen mindestens bis zum nächsten Jahr in der Kartei. Vermutlich geht es der BA aber nicht ums Geld, sondern sie will AusbildungsplatzbewerberInnen loswerden, die möglicherweise aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen und schwer unterzubringen sind.

Gemessen an der neuen Philosophie sind die bisherigen BerufsberaterInnen trotz ihrer Wissensmängel überqualifiziert. Entsprechend hat die BA die Anforderungen auf einen Bachelor-Abschluss reduziert und auch die tarifliche Eingruppierung nach unten angepasst. Nach einer Übergangsphase finden sich FachhochschulabsolventInnen, die bereits für die Zulassung zum Studium eine mehrjährige Erwerbstätigkeit hatten vorweisen müssen, in einer Eingruppierung wieder, die gerade mal eine Stufe über der von SachbearbeiterInnen liegt. Auch dürfen BerufsberaterInnen keine Betriebe mehr aufsuchen. Ihr Wissen über den lokalen Ausbildungsmarkt dürfte schnell schrumpfen, ihre berufskundlichen Kenntnisse werden sich (weiter) reduzieren. Bereits heute mehren sich Berichte, dass Betriebe der BA ihre freien Ausbildungsplätze nicht mehr melden und eher auf die Werbewirksamkeit von Websites ihrer Kammern und persönliche Kontakte zu Schulen vertrauen.

Exemplarisch für den neuen, begrenzten Beratungsbegriff der BA ist ein im Mai 2007 eingerichtetes Callcenter. Auf einem seitdem in den Agenturen aushängenden Plakat heißt es: „Sie brauchen eine Berufsberatung und möchten sich deswegen an die Agentur für Arbeit wenden? Dann brauchen Sie nur noch eine Nummer: die neue Service-Nummer Arbeit. Hier können über 80% aller Anliegen direkt am Telefon erledigt werden.“ Die Berufsberatung hat – laut einer EU-Ratsentschließung vom Mai 2004 – „sicherzustellen, dass Einzelpersonen ihre Bildungs- und Laufbahnentscheidungen auf einer fundierten Grundlage treffen können und dass sie bei der Entwicklung der Fähigkeit, ihren Bildungs- und Berufswerdegang effizient selbst in die Hand zu nehmen, unterstützt werden“.16 Wie diese pädagogisch anspruchsvolle Aufgabe zu „80%“ mit den eingeschränkten methodischen Möglichkeiten eines Callcenters erfüllt werden soll, weiß wohl nur die BA.

Ministerielles Desinteresse

Kürzlich fragte die Linksfraktion im Bundestag die Bundesregierung, wie diese es bewerte, dass die BA die ehedem selbstständige Abteilung Berufsberatung in die Arbeitsvermittlung integriert und zudem noch drei unterschiedlichen Organisationseinheiten zugeordnet habe. Die Bundesregierung antwortete lapidar, die BA habe „eigenständig über ihre Organisation zu befinden“.17 Zwischen dem Beratungsjahr 2002/03 und 2005/06 ist die Zahl der Ratsuchenden um fast ein Viertel von 2,1 Mio. auf 1,6 Mio. gefallen. Mit der geringfügig gesunkenen Zahl an SchulabgängerInnen lässt sich dieser Rückgang nicht erklären, wohl aber mit den Organisations„reformen“. Zeitweilig durften Beratungsfachkräfte den Jugendlichen nicht einmal ihre Telefonnummer aushändigen, und an die Stelle eines/r festen AnsprechpartnerIn trat immer die Person, in deren/dessen Kalender eine zentrale Terminvergabestelle gerade eine Lücke entdeckt hatte. Die BA entledigt sich des „Luxus“ Berufsberatung, und die Bundesregierung schaut desinteressiert zu. Den diesjährigen Aufruf zum Girls’ Day haben zwar die Bundesbildungs- und die -familienministerin unterschrieben, nicht aber der Arbeitsminister. Herr Müntefering scheint bereits vergessen zu haben, dass Berufswahl und berufliche Beratung in sein Ressort fallen. Für die Jugendlichen bleibt nur zu hoffen, dass der Deutsche Verband für Bildungs- und Berufsberatung (dvb) Erfolg hat. In ihm ist ein Drittel aller BerufsberaterInnen organisiert. Der Verband wehrt sich heftig gegen die Maßnahmen des Vorstands der BA. Meines Erachtens ist es an der Zeit, dass die öffentliche Berufsberatung aus der BA herausgelöst und einer demokratisch legitimierten Kontrolle unterstellt wird.

Anmerkungen

1) SGB III § 1 bzw. AFG § 2, Abs. 5

2) Gerhard Göhler: Politische Institutionen und ihr Kontext. Begriffliche und konzeptionelle Überlegungen zur Theorie politischer Institutionen. In: Ders. (Hrsg.): Die Eigenart der Institutionen. Baden-Baden 1994, 22

3) Carol Hagemann-White: Berufsfindung und Lebensperspektive in der weiblichen Adoleszenz. In: Flaake, Karin/King, Vera (Hrsg.): Weibliche Adoleszenz. Frankfurt a.M./New York: Campus 1992, 72f.

4) Vgl. Wenka Wenzel: Girls’ Day – Mädchen-Zukunftstag und mehr Projekte zur Berufsorientierung von Mädchen. Bielefeld 2006, 23

5) Angela Buschbeck/Andreas Krewerth: Kriterien der Berufswahl und der Ausbildungsplatzsuche bei Jugendlichen. In: Krewerth, Andreas u.a. (Hrsg.): Berufsbezeichnungen und ihr Einfluss auf die Berufswahl von Jugendlichen. Bielefeld 2004, 75-87. Waltraud Cornelißen/Martina Gille: Lebensentwürfe jungen Menschen und die Bedeutung geschlechterstereotypischer Muster. In: Zeitschrift für Frauen- und Geschlechterforschung 4/2005, 52-68. Einstieg: Berufswahl in Hamburg 2006. www.einstieg-hamburg.de/fileadmin/documents/pdf/studie2006.pdf . Daniela Hoose/Dagmar Vorholt: Sicher sind wir wichtig – irgendwie!? Hamburg 1996 (Senatsamt für die Gleichstellung)

6) Ausführlich: Helga Ostendorf: Steuerung des Geschlechterverhältnisses durch eine politische Institution. Die Mädchenpolitik der Berufsberatung. Opladen 2005

7) Statistisches Bundesamt: Fachserie 11, Reihe 3. Wiesbaden 2006; eigene Berechnungen. Einbezogen wurden mit Ausnahme der Behindertenberufe alle Berufe, die 1977 zu den Jungenberufen zählten und eine mindestens dreijährige Ausbildungsdauer hatten.

8) Adelheid Bonnemann-Böhner u.a.: „Wo gehobelt wird, fallen Späne“. Kiel (Fachhochschule) 1992, 74ff.

9) Bundesanstalt für Arbeit: Beruf Aktuell. Ausgaben 2001/2002, 73 und 159

10) Die mittlere Altersgruppe, die zwischen 1948 und 1958 Geborenen, ist aufgeschlossener als die jüngere und die ältere. Männer segregieren nicht häufiger als Frauen. BeraterInnen, deren Väter Angestellte oder Arbeiter waren, sind aufgeschlossener als BeraterInnen aus Beamtenhaushalten. Westdeutsche BeraterInnen sind aufgeschlossener als ostdeutsche.

11) Daniel Bieber u.a.: Organisatorischer Umbau der Bundesagentur für Arbeit. Evaluation der Maßnahmen zur Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission. Arbeitspaket 2. Bericht 2005. Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA). Berlin 2005, 207

12) Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt: Bericht der Kommission. Berlin 2002. Die Kommission maß dem „qualifizierten Beratungsangebot der Berufsberatung“ einen „weiterhin hohen Stellenwert“ bei (S.106f.) und wollte sie gemeinsam mit der Reha-Beratung, dem Psychologischen und dem Ärztlichen Dienst bei den „internen Diensten“ angesiedelt wissen (S.193ff.).

13) „Baustelle Bundesagentur“, Fernsehreportage von Thomas Leif (SWDR) von 2006

14) Regionalinfo Nord des Deutschen Verbandes für Bildungs- und Berufsberatung (dvb) Nr. 3, Dezember 2004, 2

15) Günther Schmid: Evaluation der Arbeitsmarktpolitik – Ein Schritt vor und zwei zurück? In: WSI Mitteilungen 3/2007, 106

16) Entschließung Nr. 9286 des Rates der Europäischen Union und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 28.05.2004. Ausbau der Politiken, Systeme und Praktiken auf dem Gebiet der lebensbegleitenden Beratung in Europa

17) Gerd Andres: Antwort namens der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Cornelia Hirsch u.a. und der Fraktion DIE LINKE betreffend „Zukunft der Bildung[s-] und Berufsberatung, BT-Drs 16/4273, 27.2.2007.



Helga Ostendorf ist Politikwissenschaftlerin und lehrt als Privatdozentin an der Freien Universität Berlin. helgaostendorf.homepage.t-online.de

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