BdWi - Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

Newsletter abonnierenKontaktSuchenSitemapImpressumDatenschutz
BdWi
BdWi-Verlag
Forum Wissenschaft

Neue Chance für Palästina?

15.08.2007: Die Nahostkonferenz und ihre Bedingungen

  
 

Forum Wissenschaft 3/2007; Titelbild: Stefan Knaab

Kaum ein regionaler Konflikt ist so eng mit globalen politischen Konflikten verwoben, kaum ein Konflikt liefert anderen so viel Hintergrund wie der zwischen Palästina und Israel. Kaum einer auch könnte solche Entspannungsfolgen zeitigen, würde er gelindert und entschärft. Die Lage, Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten schildert Norman Paech.

Jede Bewegung im Nahost-Konflikt wird mit Aufmunterung und Hoffnung quittiert, selbst wenn ihr das Scheitern schon vor ihren ersten Schritten anzusehen ist. So ist auch die jüngste Ankündigung von George Bush, eine internationale Nahostkonferenz für den Herbst einzuberufen, mit der Hoffnung verbunden, dass ihm zum Schluss seiner Amtszeit das gelinge, was seinen Vorgängern Clinton und Carter verwehrt blieb: den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern in zwei souveränen Staaten herzustellen. Zugleich haftet aber diesem Projekt die Voraussage des Scheiterns an. Denn vor dem Hintergrund einer 40-jährigen Geschichte der Konfrontation, die immer weniger die Zeichen des Friedens als die der Eskalation der Gewalt, des Hasses und des Krieges hervorgebracht hat, bedarf es eines radikalen Bruchs mit der bisherigen Besatzungspolitik, um der Hoffnung auf Frieden eine begründete Chance zu geben.

Inszenierte Nahost-Konferenz

Kann dieser Bruch von einer Nahostkonferenz ausgehen? Im Prinzip ja, aber wohl kaum, wenn sie mit den Vorgaben belastet ist, die Bush der Konferenz beigegeben hat: Nur gemäßigte arabische Nachbarstaaten sollen teilnehmen dürfen, nur Mahmoud Abbas werde eingeladen und die Palästinenser seien weiterhin eindrücklich gewarnt, Hamas zu unterstützen. Von Israel fordert er einen Siedlungsstopp und die Auflösung sogenannter illegaler Siedlungen, von den Palästinensern die Einlösung der drei obligaten Forderungen des Quartetts: Anerkennung des Existenzrechts Israels, Einhaltung der Verträge und Einstellung aller Gewaltakte. Nichts Neues also und damit keine Umkehr aus einer Sackgasse, in der bereits im Juni 2007 der Nahost-Gipfel von Mubarak, König Abdullah von Jordanien, Olmert und Abbas in Sharm el-Sheik gelandet war. Der Gipfel hätte an die Friedensinitiative der Arabischen Liga von 2002 anknüpfen können, die einen Vorschlag für eine politische Lösung des Konfliktes vorgelegt hatte: Aufgabe aller Siedlungen und der Annexion Ost-Jerusalems, Übereinkunft über die gemeinsame Grenze und Verhandlungen über die Rückkehr der Flüchtlinge.

Doch um eine Beendigung des Konfliktes ging es bei dem Treffen in Sharm el-Sheik offensichtlich nicht. Es wurde über zahllose Fragen der Besatzung gesprochen, die Besatzung selbst aber nicht infrage gestellt. Zur Debatte stand die Funktionsfähigkeit der Besatzung, nicht ihre Beseitigung. Abbas war als Satrap an den Konferenztisch gelassen, Mubarak und König Abdullah verschafften den internationalen Dekor, und Olmert war der Gewinner.

Die Erweiterung einer solchen Konferenz um einige gemäßigte Nachbarn, zu denen Syrien und der Iran nicht gehören werden, obwohl gerade sie für das Gleichgewicht des Nahen und Mittleren Ostens und die ungefährdete Existenz Israels wie auch Palästinas wichtig sind, wird unumgänglich sein. Denn das Quartett aus USA, EU, Russischer Föderation und UN besteht nur als Fiktion der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Genauso wie der von ihnen ausgewählte Nahost-Beauftragte Tony Blair haben sich die übrigen Quartett-Teilnehmer nie aus dem Schatten der US-amerikanischen Israel-Politik herausgewagt. Sie sind, was sie in dieser Frage aus den verschiedensten Gründen immer waren: "lichtscheues Gesindel". Vom Quartett ist keine eigenständige Initiative, kein abweichender Vorschlag, keine grundsätzliche Kritik, geschweige denn je ein definitiver Einspruch gegen den jahrzehntelangen massiven Völkerrechtsbruch ausgegangen. Es hat sich hinter den USA versteckt, die wiederum das Quartett als Strohmann ihrer Politik benutzen - und Tony Blair ist nunmehr der "Pudel" der Truppe1. Um die jetzt auch von Bush propagierte "Zwei-Staaten-Lösung" mit einem lebensfähigen souveränen palästinensischen Staat Realität werden zu lassen, bräuchte er weder das Quartett noch Blair. Allein das US-amerikanische Gewicht zählt, um in der israelischen Politik eine entscheidende Wende zu bewirken.

Besonders die Einflusslosigkeit und Unterordnung der Vereinten Nationen im Palästinakonflikt unter das Diktat der USA ist ein fatales Beispiel ihrer Entmachtung in zentralen Fragen der globalen Friedenssicherung. Dies ist einer der zentralen Kritikpunkte, die der ehemalige Mittelostgesandte der UN, der Peruaner Alvaro de Soto, in seinem Abschlussbericht vom 5. Mai 2007 vorgebracht hat. De Soto, der den internationalen Boykott der Palästinenser nach dem Wahlsieg der Hamas scharf kritisiert und ihn für "verheerende Auswirkungen" für die Bevölkerung verantwortlich macht, wirft sowohl Israel als auch dem Quartett eine verfehlte und kurzsichtige Diplomatie vor. Dies habe dazu geführt, dass vom Westen geleitete Friedensverhandlungen weitgehend irrelevant geworden seien und das Quartett zur Nebenschau verkommen sei2.

Kein Platz für einen palästinensischen Staat

Der Effekt der Konferenz-Inszenierungen ist immer derselbe. Sie verschaffen den israelischen Regierungen Zeit und weiteren Aufschub, ihre Politik der vollendeten Tatsachen mit dem Ausbau der Siedlungen voranzutreiben. Die neuerliche Forderung nach Siedlungsstopp ist ebenso alt wie wirkungslos, da von keiner israelischen Regierung bisher befolgt. Es hat nie eine Sanktion gegeben, und die jetzige Forderung nach Rücknahme der sogenannten illegalen Siedlungen bestätigt die mangelnde Ernsthaftigkeit derartiger Forderungen. Als "illegal" bezeichnen die Israelis jene Container, die immer wieder von radikalen Siedlern auch ohne offizielle Genehmigung aufgestellt werden, um weiteres palästinensisches Land zu enteignen. Illegal sind nach geltendem Völkerrecht jedoch alle Siedlungen, ob von der Regierung genehmigt oder nicht.

Keine israelische Regierung hat bisher ernsthafte Schritte unternommen, die einen unabhängigen und lebensfähigen palästinensischen Staat neben Israel erlauben würden. Die einzige Initiative, die in diese Richtung interpretiert und deswegen gepriesen wurde, der Rückzug der Siedler aus dem Gazastreifen durch Ariel Sharon, hatte ganz andere Ziele. Die Aufgabe des Gazastreifens, welcher nie eine vergleichbare religiöse und mythologische Bedeutung besaß wie Judäa und Samaria, d.h. die Westbank, sollte den Anspruch auf diese Gebiete festigen, anstatt auch ihre Rückgabe an die Palästinenserinnen und Palästinenser vorzubereiten. Die vielfach übersehene Tatsache, dass man zur gleichen Zeit, als ca. 8.000 Siedler aus dem Gazastreifen abgezogen wurden, fast doppelt so viele Siedler auf der Westbank neu ansiedelte, zeigt das strategische Kalkül Sharons. Mit dem heftig umstrittenen Abzug aus dem Gazastreifen glaubte er, sich international wie auch gegenüber der eigenen radikalen Siedlergemeinschaft eine höhere Legitimation zur Annexion weiterer Gebiete der Westbank sichern zu können.

Letztlich hatte auch in Sharons Plänen ein selbstständiger palästinensischer Staat keinen Platz. Alle Versprechen, Gaza durch eine sichere Transferverbindung an die Westbank anzubinden, den zerstörten Flughafen wieder aufzubauen und einen eigenen Mittelmeerhafen zu schaffen, blieben leer. Artikel IV der Prinzipienerklärung von Oslo 1993 lautet vollkommen unzweideutig: "Beide Seiten betrachten die Westbank und den Gazastreifen als eine territoriale Einheit, deren Integrität während der Interimsperiode gewahrt wird". 1994 unterzeichnete Israel das "Abkommen über den Gazastreifen und Jericho". In ihm war der Palestine Authority (PA) die Aufgabe übertragen, die Einheit der beiden Territorien zu sichern. Israel verpflichtete sich, eine "sichere Passage" zwischen dem Gazastreifen und der Westbank auf vier Wegen zu gewährleisten, die auf einer dem Abkommen beigefügten Landkarte vermerkt wurden. Bis heute, 13 Jahre danach, ist keine einzige Passage auch nur für einen Tag geöffnet worden. Gaza war und blieb ein Gefängnis. Israel kontrollierte die wenigen Grenzübergänge, die nunmehr fast vollständig geschlossen sind, erhob Importzoll und verbot den Fischfang "aus Sicherheitsgründen". Die Grundversorgung der palästinensischen Bevölkerung hängt vollständig vom guten Willen israelischer Behörden ab. Ohne die Möglichkeit der Palästinenserinnen und Palästinenser, wie früher in Israel zu arbeiten, und ohne ein eigenes Wirtschaftssystem ist die Arbeitslosenrate auf über 40% und die Armutsrate auf über 75 % angestiegen. Zwei Drittel der palästinensischen Bevölkerung sind von internationalen Hilfslieferungen abhängig.

Olmert hat diese Politik nicht verändert. Sein sogenannter Convergence Plan, den er auf Grund starken Drucks wieder aus der Öffentlichkeit zurückziehen musste, bleibt dennoch nach wie vor die Blaupause seiner Strategie. Sie zielt auf die neue Grenze Israels entlang des Grenzwalls, der teils als Mauer, teils als elektronisch gesicherter Zaun mit breiten Patrouillenstreifen noch einmal 16% des palästinensischen Territoriums abtrennt und weitgehend ungehindert seiner Vollendung entgegengeht. Er integriert vor allem die drei großen Siedlungsblöcke Ariel im Norden, Ma'ale Adumin im Zentrum und Gush Etzion im Süden in das israelische Territorium. Er schnürt aber auch größere Ortschaften wie Kalkilya von ihrem Hinterland ab und bewirkt dadurch die Abwanderung der Bevölkerung, deren Überleben in den abgetrennten Gebieten immer schwieriger wird. Was übrig bleibt, taugt für einen selbstständigen Staat nicht mehr. Denn der Plan beansprucht auch noch aus "Sicherheitsgründen" die Oberhoheit über das westliche Jordanufer. Das, was den Palästinensern dann für ihren "Staat" übrig bleibt, ist für sie nicht akzeptabel, denn es hat allenfalls die Qualität eines "homeland" oder "Bantustan".

Eine neue strategische Möglichkeit zur Verhinderung eines palästinensischen Staates eröffnete sich der israelischen Regierung mit dem für viele überraschenden Ausgang der palästinensischen Wahlen im Frühjahr 2005. Hamas eroberte mit 74 von 123 Sitzen die absolute Mehrheit im Parlament, während Fatah nur auf 45 kam. Obwohl von der siegreichen Hamas in den letzten eineinhalb Jahren zuvor kein Terroranschlag gegen israelische Zivileinrichtungen mehr ausgeübt worden war, wurden die Organisation, ihre Parlamentsabgeordneten und die von ihr gebildete Regierung umgehend aus dem Kreis der politischen Gesprächs- und Verhandlungspartner gestrichen. Es wurde eine vollständige Kontaktsperre verhängt, der sich die EU-Staaten und die USA anschlossen. Die Regierungen nahmen damit ohne Scham und wie selbstverständlich in Kauf, ihre eigenen demokratischen Maximen und politische Glaubwürdigkeit zu desavouieren, indem sie das Ergebnis der von ihnen selbst geforderten und als korrekt und fair gewerteten Wahlen nicht anerkannten.

Politik der Spaltung

Seit dem Wahlausgang wird von Israel und dem Nahost-Quartett daran gearbeitet, die im Wahlergebnis deutlich gewordenen politischen Differenzen zwischen Hamas und Fatah in eine Spaltung bis hin zum Bürgerkrieg zu vertiefen. Das ist ein schwerer Vorwurf. Wer jedoch die Aktivitäten der vergangenen zwei Jahre gegen Hamas nüchtern prüft, kann zu keinem anderen Ergebnis kommen und von der gegenwärtigen Zuspitzung nicht überrascht sein.

Unmittelbar nach der Wahl sperrte Israel die palästinensischen Zölle und Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Was man von der Hamas als eine der drei Bedingungen verlangte, die Einhaltung der geschlossenen Verträge, galt für Israel offensichtlich nicht. Von diesen Beträgen, die sich mittlerweile auf etwa 800 Mio. US-Dollar belaufen, hat Israel erstmals Anfang Juli 2007 eine Tranche in Höhe von lediglich 118 Mio. US-Dollar an die Palestine Authority überwiesen. Gemeinsam mit dem Stopp der europäischen Budgethilfe für die PA und den amerikanischen Finanzsanktionen war damit jeder Regierungs- und Verwaltungstätigkeit bis hinein in die polizeilichen Sicherheitskräfte der Boden entzogen. Die Hamas-Führung hatte sich zwar bemüht, die Fatah in eine Regierung der nationalen Einheit einzubeziehen. Sie scheiterte damit aber und bildete Mitte März 2006 ihre erste Regierung mit Premierminister Ismail Hanieh - ohne ihre Beamten und Angestellten bezahlen zu können.

Nach der Regierungsbildung kam es bereits zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Fatah- und Hamas-Milizen, da die Fatah die Wahlniederlage und den damit verbundenen Machtwechsel nicht akzeptieren wollte. Noch einmal versuchte Hamas nach der Vermittlung des saudischen Königs Fahd im sogenannten Abkommen von Mekka vom März 2007 eine Regierung der nationalen Einheit mit Fatah und Vertretern kleinerer Fraktionen und Parteien zu bilden. Aber auch dieser Versuch musste scheitern, da Israel und die Staaten des Quartetts immer noch nicht bereit waren, mit der ganzen Regierung, also auch mit Vertretern der Hamas, zu kooperieren. Deren Regierungsprogramm war gemäßigt, bezog sich auf die Oslo-Vereinbarungen, orientierte sich auf eine Zweistaatenlösung und bot eine Anerkennung Israels auf der Basis der Friedensinitiative der Arabischen Liga von 2002 an. Eine einseitige Anerkennung der drei Bedingungen des Quartetts lehnte allerdings auch die Koalitionsregierung ab - was fatale Folgen haben sollte.

Denn jetzt begannen Israel und die USA ihre Spaltungspolitik zwischen Fatah und Hamas auch mit militärischen Mitteln voranzutreiben. Parallel zu den Vermittlungsbemühungen von König Fahd bauten sie die Präsidentengarde unter Abbas' Sicherheitsberater Muhammad Dahlan mit Geld, militärischer Ausrüstung und Training für die anstehenden Auseinandersetzungen auf. Von den europäischen Regierungen kam kein Einspruch, sie unterstützten das amerikanische Vorgehen stillschweigend. Allen musste klar sein, dass sie damit nicht nur direkt den Vermittlungen um eine Einheitsregierung entgegenwirkten und dem Abkommen von Mekka den Boden entzogen, bevor es überhaupt in Kraft treten konnte. Sondern sie provozierten geradezu eine gewalttätige Auseinandersetzung bis hin zum Bürgerkrieg.

Politik der "Staatsstreiche"

Die Lage wurde für Hamas ernsthaft bedrohlich, als Israel sich im Juni entschloss, auch schweres Kampfgerät an die Fatah im Gazastreifen zu geben. Hamas entschloss sich, selbst die militärische Initiative zu übernehmen und einem möglichen Angriff von Fatah präventiv zuvorzukommen. Sie nutzte einen günstigen Augenblick, als die Fatah-Führung sich nicht in Gaza aufhielt, und besiegte die Milizen in weniger als zwei Tagen. Wichtig für diesen schnellen Sieg war zweifellos, dass die überwältigende Mehrheit im Gazastreifen auch zwei Jahre nach der Wahl immer noch hinter der Hamas steht. Die Empörung so mancher Regierung aus dem Quartett über diesen "Staatsstreich" ist scheinheilig, da es diese Konfrontation selbst aktiv gefördert, sich allerdings ein anderes Ergebnis erhofft hatte.

Das Quartett nutzte die neue Situation umgehend, um die vollzogene Trennung institutionell auszubauen und durch konzentrierte Unterstützung von Abbas die Spaltung zwischen dem "islamistischen" und weiterhin abgeriegelten Gaza und einer demokratisch organisierten und zukunftsorientierten Westbank zu zementieren. Die Israelis zahlten eine erste Rate der einbehaltenen palästinensischen Zoll- und Steuereinnahmen und entließen 256 vornehmlich der Fatah nahestehende Gefangene von insgesamt etwa 10.000, die USA erhöhten die bereits als allgemeine Hilfe für Abbas zugesagten 150 Mio. US-Dollar um weitere 80 Mio. Die Notstandsregierung mit dem neuen Premier Salam Fayyad - ebenso wie der afghanische Präsident Hamid Karzai ein Staatsbürger der USA - findet die volle Unterstützung der EU und USA, obwohl ihre verfassungsrechtliche Legitimation bei genauerem Studium des palästinensischen Grundgesetzes nicht gegeben ist.

Die Erfahrung lehrt, dass es die Regierungen des Quartetts in ihren Protektoraten mit den demokratischen Regeln und den gesetzlichen Verfahrensfragen rund um Wahlen und Regieren nicht so genau nehmen. Der Haken dabei ist nur, dass juristische und politische Legitimation so eng miteinander verwoben sind, dass man auf die eine nicht verzichten kann, ohne die andere zu beschädigen oder gar zu verlieren. Worauf stützen sich Israel, EU und USA eigentlich, wenn sie jetzt einen verschärften Kurs der Spaltung der Palästinenser fahren? Sie scheinen alle Trümpfe in ihren Händen zu haben: die finanziellen Mittel für das Versprechen "blühender Landschaften" in der Westbank; den exklusiven Einfluss auf Israel, das eingeschnürte Leben der Palästinenser von den mannigfachen Restriktionen, den Straßensperren, Arbeits- und Handelsbarrieren und täglichen Demütigungen zu befreien; eine kooperationswillige Regierung der Fatah, die den Vorwurf der Kollaboration offenbar nicht scheut, und alle Mittel, um die Isolation der Hamas in ihrem Gefängnis Gaza je nach Notwendigkeit zu verschärfen oder zu lockern.

Dem stehen jedoch entscheidende Faktoren gegenüber, die das ganze Projekt genauso unrealistisch erscheinen lassen wie die Politik der vergangenen 40 Jahre. Zunächst ist es eine Illusion, die Westbank als Domäne der Fatah zu betrachten. Hamas hat dort bei den Wahlen 30, Fatah aber nur 11 Sitze erringen können. Schwächer ist auf jeden Fall ihr militärischer Flügel, was durch die jüngsten Überfälle von Fatah auf Hamas-Büros und Stützpunkte deutlich geworden ist. Auch ist ihre politische Repräsentanz durch die Verhaftung von Abgeordneten, Ministern, Bürgermeistern und anderen Führungskräften der Hamas durch Israel zweifellos stark eingeschränkt. Daraus jedoch eine sinkende Zustimmung und Popularität in der Bevölkerung zu folgern, ist reine Spekulation. Viel eindeutiger ist, dass Präsident Abbas und die Fatah ihr negatives Image der Korruption, Ineffizienz und inneren Zerrissenheit, welches ihnen das katastrophale Wahlergebnis eingebracht hatte, bis heute nicht überwinden konnten. Schlimmer noch, ihr politisches Konzept des Entgegenkommens, der Kooperation und des Kompromisses ist von den israelischen Regierungen mit keiner Konzession und nicht dem geringsten Erfolg im Friedensprozess honoriert worden.

Die größte Hypothek dieses Ansatzes ist daher die eingefahrene Haltung der israelischen Regierungen, gleichgültig ob sie von einem starken Kabinett Sharon oder von einem schwachen Olmert vertreten werden. Alle derzeitigen Offerten - die erste Rate aus den einbehaltenen Zoll- und Steuereinnahmen, die Entlassung einiger Gefangener, die Aufhebung einiger weniger von insgesamt 550 Straßensperren, eine Nahostkonferenz ohne Hamas im Herbst - geben keinerlei Hinweise auf ein Umdenken der israelischen Administration.

Das gilt vor allem für die jüngste Offerte, die sogenannte Jordanische Option, die ebenso alt wie vergiftet ist. Sie wärmt die Idee fast aller israelischen Staatsvertreter und -vertreterinnen wieder auf, die Westbank in das Haschemitische Königreich Jordanien zu integrieren, wenn sie schon nicht zu Israel gehören kann. Selbst Sharon erwog diese Idee und wollte sie als Hebel benutzen, das Königreich zu stürzen und Jordanien plus Westbank in einen palästinensischen Staat zu verwandeln3. Sie wurde von Arafat zurückgewiesen und kann auch in der heutigen Situation nur die endgültige Aufgabe der 1,4 Mio. Palästinenser im Gazastreifen und das Ende eines palästinensischen Staates bedeuten. In Jordanien findet dieses Projekt ohnehin keine Gegenliebe, da man von der in Aufruhr befindlichen palästinensischen Bevölkerung zu Recht eher die Destabilisierung des Beduinenstaats als einen Zugewinn erwartet. Über eine Föderation will der König nachdenken, aber erst wenn sich ein freier und selbstständiger palästinensischer Staat gebildet hat.

Rückkehr des Völkerrechts

Schließlich sollte jede Option, die auf den Zerfall und die Spaltung des palästinensischen Volkes zielt, die nun schon über hundertjährige Geschichte der jüdisch-palästinensischen Auseinandersetzungen ins Kalkül ziehen. Die zahlreichen und oft schweren Niederlagen, die die Palästinenser und Palästinenserinnen erfahren mussten, haben gezeigt, dass sie militärisch dennoch nicht zu besiegen sind und ihre Widerstandskraft mit den Niederlagen eher gestiegen ist. In Israel geht das Wort von einem "palästinensischen Bürgerkrieg" um. So sehr dieser vielleicht von einigen gewünscht wird4, in Gaza zumindest hat sich nach dem Eindruck von Haaretz5 die Sicherheitslage offensichtlich verbessert und stabilisiert. Die politischen Differenzen sind bisher noch nicht in einen Bürgerkrieg eskaliert, und die EU, USA und Israel täten gut daran, ihn nicht weiter mit ihrer Politik des divide et impera zu provozieren.

Das führt zu der abschließenden Frage, welche Lehren für welche Politik aus dieser Situation zu ziehen sind. Eines ist sicher: Es muss zu einer radikalen Umorientierung der gesamten Politik kommen, um die Lunte vom Pulverfass zurückzuziehen, die den ganzen Nahen und Mittleren Osten in Brand setzen könnte. So müsste die Isolierung und Boykottierung der gewählten Hamas-Regierung aufgegeben und die Verbindung zur Westbank wieder hergestellt werden. Das heißt: Jede auf Spaltung der palästinensischen Bevölkerung zielende Politik hat zu unterbleiben. Sodann müsste die Garantie des Existenzrechts Israels um eine ebenso ernsthafte Garantie des Existenzrechts des palästinensischen Volkes in einem lebensfähigen, unabhängigen und souveränen Staat ergänzt werden. Das hätte zur Folge, dass die Besatzung definitiv beendet werden müsste und Israel seine Siedler aus den besetzten Gebieten zurückzuholen und die Siedlungen aufzugeben hätte. Obendrein müsste die Annexion Ost-Jerusalems rückgängig gemacht werden. Da es sich sowohl bei der Besatzung wie auch bei der Annexion um eklatant völkerrechtswidrige Zustände handelt, wäre damit gleichzeitig wieder das Völkerrecht in eine Region zurückgekehrt, aus der es seit Jahrzehnten weitgehend verbannt war. Die endgültigen Grenzen und der Status Ost-Jerusalems müssten den Verhandlungen beider Seiten vorbehalten werden. Gleiches gilt für die Rückkehr der inzwischen über 3,5 Mio. Flüchtlinge. Auch diese Frage müsste in Verhandlungen geklärt werden, da es zwar ein auch von der UN in der bekannten Resolution 194 vom Dezember 1948 bestätigtes Recht auf Rückkehr gibt, die Umsetzung und Ausgestaltung jedoch der Übereinkunft beider Seiten vorbehalten bleiben muss.

Alle diese Forderungen sind bereits Kernelemente des Vorschlags der Arabischen Liga von 2002 und der sogenannten Genfer Initiative von 2003 sowie aus zahlreichen UN-Resolutionen geläufig. Daneben gibt es eine Vielzahl wichtiger, zwischen beiden Seiten zu klärender Fragen, von der Verteilung des knappen Wassers oder der Erhaltung der territorialen Einheit zwischen Gazastreifen und Westbank bis zur Regelung der beiderseitigen Sicherheitsinteressen. Doch sind diese Fragen nachrangig und können erst auf die Tagesordnung gesetzt werden, wenn die grundsätzlichen Probleme des Status beider Staaten geklärt sind. Der richtige Ort für alle Verhandlung wäre in der Tat eine internationale Konferenz, wie sie Präsident Bush jetzt angeregt hat. Doch wird auch sie nichts ändern können, wenn nicht die US-Administration den radikalen Bruch mit ihrer Unterstützung der bisherigen Besatzungspolitik vollzieht - das hat die lange Geschichte der Fehlschläge gezeigt.

Anmerkungen

1) Uri Avneri, The Dirty Word, 30.6.07

2) vgl. Alvaro de Soto, End of Mission Report, 5. Mai 2007, New York; Guardian, 13.06.2007

3) Vgl. Uri Avneri, An Israeli Love Story, 7. Juli 2007

4) vgl. Michael Warschawski, The Crisis in Gaza Made in Israel, in: Znet, 24. Juni 2007

5) Haaretz, 17. Juni 2007


Prof. Dr. Norman Paech war Hochschullehrer für Öffentliches Recht in Hamburg. 1969 bis 2001 SPD-Mitglied, ist er seit 2005 Abgeordneter der Bundestagsfraktion Die Linke, seit Juli 2007 Mitglied der Partei Die Linke.

Zum Seitenanfang | Druckversion | Versenden | Textversion