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Forum Wissenschaft

Die große Integration

15.08.2007: Gleichstellung unter neoliberaler Globalisierung

  
 

Forum Wissenschaft 3/2007; Titelbild: Stefan Knaab

Nicht nur die Bundesrepublik weist heute viel Reden von Geschlechtergleichheit bei gleichzeitiger Stagnation und Umorganisierung der realen alten Geschlechterverhältnisse auf. Christa Wichterich untersucht die Widersprüche, die daraus entstehen - und fatale (Schein-) Konsense.

Die politische Gemengelage könnte unübersichtlicher nicht sein: In internationalen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, die seit den 1970er Jahren Vorreiter für frauenpolitische Maßnahmen waren, hat sich eine Gender-Fatigue breitgemacht. Das Gender Mainstreaming als Strategie, um einen geschlechterdifferenzierenden Ansatz in alle Institutionen und politischen Ressorts zu verankern, hat Geschlechterpolitik als technisches Verfahren institutionalisiert und gleichzeitig entpolitisiert. Frauenbewegungen sind fragmentiert und meist leise geworden. Ihr Fazit zur Umsetzung der Beschlüsse der 4. Weltfrauenkonferenz von Peking ist ambivalent: Während viele Länder zivile und politische Rechte von Frauen, vor allem auch den Schutz vor Gewalt, in ihrer Gesetzgebung festschrieben, gerieten soziale und wirtschaftliche Rechte zunehmend unter Druck durch die global verschärfte Standortkonkurrenz, Sparzwänge im öffentlichen Sektor und Finanzmarktkrisen. Trotzdem werden Frauen immer wieder als die Job-Gewinnerinnen der Globalisierung gefeiert. Tatsächlich verändert die globale Restrukturierung der Ökonomien die Geschlechterrollen. Empirische Daten über Geschlechterunterschiede stellen jedoch in Zweifel, ob dies einen signifikanten Mehrwert für Geschlechtergerechtigkeit gebracht hat.1

Antizyklisch zu der geschlechterpolitischen Flaute lancierte die Weltbank - assistiert von BMZ-Ministerin Wieczorek-Zeul - im letzten Herbst eine smarte Initiative, nämlich ihren neuen Geschlechter-Aktionsplan mit dem Titel "Gender Equality as Smart Economics".2 Gleichzeitig werden transnationale Frauennetzwerke, die versuchen, makro-ökonomische Politiken zu "engendern", von neoklassischen Ökonomen und Politikmachern mit dem Hinweis abgeschmettert, die Makro-Ökonomie sei geschlechtsneutral. Ist nun ausgerechnet die Weltbank so smart, die Anliegen feministischer Ökonominnen und Aktivistinnen zu verstehen und ein neues geschlechtergerechtes Ökonomiemodell vorzulegen?

Verschiebebahnhöfe

In den 1990er Jahren erzielte die transnationale Frauenbewegung, die sich um die Achse einer Serie großer UN-Konferenzen formiert hatte, politische Erfolge mit ihrem Konzept "Frauenrechte sind Menschenrechte". Es fungierte als Instrument, um Frauenpolitik in die UN-Menschenrechtspolitik zu integrieren und einen normativen Bezugsrahmen in UN-Programmen zu verankern. Einige Frauennetzwerke wie WIDE (Women in Development Europe) und WWW (Working Women Worldwide) versuchten zunächst, den Rechtsansatz auf die multi-laterale Wirtschafts- und Handelspolitik und die Welthandelsorganisation WTO zu übertragen, indem sie soziale Mindeststandards in den globalen Wertschöpfungsketten einforderten. Seit die sogenannte "neue internationale Arbeitsteilung" Frauen in der arbeitsintensiven Exportproduktion, Exportlandwirtschaft und boomenden Servicesektoren als komparativen Vorteil der Länder des Südens nutzte, war die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Löhne dieser Billigarbeitskräfte ein Brennpunkt frauenpolitischer Forderungen.3

Doch die WTO erklärte, dass Menschenrechte nicht zu ihrem Mandat gehören. Zwar beschäftigt auch sie sich mit multilateralen Regeln, Rechten und Freiheiten, doch bei ihr haben unternehmerische Freiheiten und Handelsrechte Vorrang vor allen anderen Rechten. Menschenrechte verweist sie deshalb zurück an die UN-Organisationen, so z.B. Arbeitsrechte an die ILO.

Auch die weitergehende Forderung feministischer Ökonominnen, die Makro-Ökonomie zu "engendern", sprich: die geschlechtsspezifischen Implikationen makro-ökonomischer Politiken offenzulegen und diese an der Norm von Geschlechtergerechtigkeit zu orientieren4, wurde zunächst von Handelspolitikern und Ökonomen zurückgewiesen. Die soziale Kategorie Gender habe nichts in makro-ökonomischen Regelwerken zu suchen, weil diese sich mit aggregierten Daten wie Handelsbilanzen, Zöllen und Zinsen beschäftigten, die nun einmal kein Geschlecht hätten. Geschlechterfragen wurden zum einen auf die mezzo- und mikro-ökonomische Ebene von Arbeitsmärkten, Wirtschaftssektoren, Unternehmen und Privathaushalten verschoben. Zum anderen soll die Innenpolitik in jedem Land mit Gesetzen zu Lohn- und rechtlicher Gleichstellung und Fördermaßnahmen dafür sorgen, dass Frauen gleiche Chancen bekommen.

Überdies wird die soziale Kategorie Geschlecht in das neoliberale Credo eingepasst, dass Liberalisierung und Wettbewerb Effizienz steigern, wodurch Wachstum erzeugt und neue Jobs geschaffen würden, die wiederum zu Einkommensanstieg, Armutsreduktion und mehr Wohlstand führen. Es wird ein positiver Effekt auf Geschlechtergleichstellung konstruiert, weil - so eine Argumentation - der Produktionsfaktor "weibliche Billigarbeitskräfte" Auslandsinvestitionen und den Ausbau von Exportproduktion stimuliere. Diese erzeuge Wachstum, und Wachstum fördere wiederum Geschlechtergleichstellung durch mehr Investitionen in die Bildung für Mädchen, mehr Jobs usw.5 Der Ökonom Jagdish Bhagwati, GATT-Berater während der Uruguay-Runde, behauptet zudem, die Öffnung der Märkte und die Konkurrenz zwischen ausbeuterischen lokalen Firmen und vorgeblich sozial verantwortlicheren transnationalen Konzernen beseitige in Ländern des Südens Frauendiskriminierung und Ausbeutung in den Exportindustrien.6

Die soziale Verantwortung für Geschlechtergleichheit wird zwischen transnationalen Konzernen, lokalen Zuliefererfirmen, nationalen Regierungen und internationalen Organisationen munter hin und her verschoben. Zwar haben Unternehmen inzwischen tausende maßgeschneiderte Verhaltenskodices auf freiwilliger Basis formuliert, einer unabhängigen Überprüfung entziehen sie sich jedoch. Dem entspricht, dass die deutsche Privatwirtschaft lediglich eine "freiwillige" Regelung, nicht aber ein Gleichstellungsgesetz akzeptierte und dass in China die Handelskammern der USA und der EU in der derzeitigen Diskussion über ein neues Arbeitsrecht auf "flexiblen" Beschäftigungsverhältnissen beharren.

Eine Erklärung für die globalen Muster geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Ausbeutung bleibt die neoklassische Ökonomie schuldig oder entzieht sich mit dem Verweis auf patriarchale Kulturen und lokale Traditionen. Der Kernkritik feministischer Ökonomie ist es, dass alle orthodoxe Ökonomie über die unbezahlte Versorgungsarbeit und über die Verflechtung von Produktion und sozialer Reproduktion "strategisch schweigt",7 gleichzeitig aber die unbezahlte Sorge- und Reproduktionsarbeit von Frauen, ohne die die Marktsphäre nicht funktionieren kann, als unendlich dehnbar voraussetzt.

"Making it work" - what?

Feministischen Ökonominnen und Gender-Aktivistinnen gelang es, bei einigen UN-Organisationen Geschlechterfragen in den Verhandlungen zu Entwicklung und Handel zu thematisieren und ein Mainstreaming einzufordern.8 Neben UNIFEM setzten vor allem UNDP, ILO, FAO, UNCTAD und UNRISD das "Engendern" der Makro-Ökonomie auf ihre Agenda, alles Organisationen, die Gender zuvor bereits auf der mikro-ökonomischen Ebene als bedeutende Analyse- und Handlungskategorie anerkannt hatten. 2003 entstand unter Leitung von UNCTAD eine Inter-Agency-Task Force zu "Gender und Handel" in Genf. Sie führte eine Gender-Analyse der verschiedenen WTO-Abkommen mit der Fragestellung durch, ob Handelsliberalisierung die Gleichstellung der Geschlechter voranbringt oder Geschlechterunterschiede reproduziert, bestärkt oder neu konstruiert.9

UNCTAD kam zu dem Fazit, dass Geschlechterunterschiede weiter bestehen, dass Menschen unterschiedlich von der Handelsliberalisierung profitieren und Frauen häufiger von negativen Auswirkungen betroffen sind als Männer. Der Schluss, den die AutorInnen aus dieser Analyse ziehen, ist, dass "Wege gefunden werden müssen", damit Frauen mehr Nutzen von der Liberalisierung haben.

So ist zum Beispiel für den UNCTAD-Agrar-Experten Ralf Peters die Ungleichverteilung der Gewinne aus der Handelsliberalisierung in der Landwirtschaft empirisch eindeutig: Exportorientierte Länder und Großbauern profitieren, während die Nachteile für importorientierte Länder und kleinbäuerliche Produktion überwiegen. Da in großen Regionen des Südens eine Feminisierung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft stattgefunden hat, während Männer immer noch das Sagen in der Exportproduktion haben, leiden vor allem die einheimischen Kleinbäuerinnen und -händlerinnen unter dem Verdrängungswettbewerb. Geschlechterungleichheiten werden bestärkt. Peters folgert daraus, dass die Liberalisierung "sich für Frauen auszahlen soll" ("make it work for women"): Frauen sollen durch mehr Zugang zu Exportproduktion, Ressourcen, Mikrokredit und Training mehr Früchte aus der Exportorientierung und Liberalisierung ernten. Ein In-Frage-Stellen der Liberalisierung des Agrarhandels lehnt Peters ab.10

Die Formel "Freihandel soll sich für Frauen auszahlen" nimmt die alte Forderung nach Geschlechtergleichstellung in der Ökonomie auf. Diese Aufgabe wird nun wiederum von der Ebene makro-ökonomischer Politik durch Handelsabkommen verschoben und nationalen Regierungen überantwortet, die Gesetze zur Chancengleichheit, Lohngleichheit und gleiche Ressourcenrechte einführen sollen. So soll z.B. der Nutzen des Handels mit Dienstleistungen für Frauen letztlich davon abhängen, "wie effektiv Regierungen ihre Service-Industrien regulieren" und Chancen eröffnen, dass mehr Frauen Unternehmerinnen werden.11

Mikrokredite - Entlastung - für wen?

Der Topos der Unternehmerin und die Denkfigur der Unternehmensgründung nehmen zum einen das alte emanzipatorische Ziel ökonomischer Selbstständigkeit von Frauen auf und zum anderen Bezug auf eine starke aktuelle Strömung in Frauenpolitiken, aber auch in einigen Frauenbewegungen: die berechtigte liberale Forderung nach Gleichstellung von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. In jüngster Vergangenheit wurde diese Forderung von einer Vielzahl von Frauenorganisationen vor allem in Ländern des Nordens zum prioritären frauenpolitischen Programm erhoben und damit Feminismus von einem Konzept sozialer Gerechtigkeit für alle auf die Chancengleichheit von Aufstiegs- und Karrierewilligen verkürzt. Inzwischen wird dabei der frühere Anspruch der Repräsentation und der sozialen Gleichheit durch einen offensiv elitären Anspruch ersetzt (in Deutschland Thea Dorn "Die neue F-Klasse"). Gleichzeitig hat eine jahrelange Kampagne in führenden westlichen Medien von Time bis FAZ, die erfolgreiche, führungsstarke, nicht-korrupte Unternehmerinnen und Chefinnen porträtieren und Talkshow-Moderatorinnen als die wahren Mächtigen in Politik und öffentlicher Meinungsmache präsentieren, den Mythos befördert, jede Frau sei ihres Glückes Schmiedin und Leistung zahle sich auch für Frauen in Macht aus, wenn sie sich nur genug anstrengen.

Das Ziel ökonomischer Selbstständigkeit und Eigeninitiative umrankt auch das ökonomische Instrument der Mikrokredite für Frauen. Die gesamte Entwicklungsindustrie mit der Weltbank an der Spitze bietet sie als universelles Rezept der Selbstbefreiung aus Armut und des ökonomischen Empowerments von Frauen an. An die Stelle der sonst üblichen Sicherheiten für die kreditgebende Bank tritt die hohe Rückzahlungsmoral der Frauen als Sicherheit. Zwillingshaft verkoppelt mit dem Konzept der Mikrofinanzierung ist das Konzept der "einkommenschaffenden Aktivitäten", Selbstbeschäftigung oder Kleinunternehmertum, d.h. der wirtschaftlichen Eigeninitiative. Deshalb nannte der ehemalige Chef der Weltbank Wolfensohn Kleinkreditprogramme den "Business-Ansatz zur Armutsbekämpfung".

Die Kleinkreditprogramme mögen einige Frauen aus den Fängen lokaler Wucherer befreien, verdrängen aber vielerorts überbrachte informelle Formen des kollektiven Sparens von Frauen - von den Tontine in Westafrika, den merry-go-round in Ostafrika bis zu den dörflichen Spargenossenschaften in Südasien - und integrieren Frauen und ihre informellen Finanztransaktionen stattdessen in die modernen Finanzdienstleistungssysteme. Längst sind die Milliarden kleiner Kredite für die Banken, darunter auch immer mehr private, zu einem großen Geschäft und aus den von der Basis und den Dörfern her konzipierten Projekten gigantische top-down-Programme geworden. Das Wall Street Journal jubelte, sie seien zu einem Symbol geworden, "dass der Kapitalismus ebenso für die Armen funktionieren kann wie für die Reichen" (27.11.2001).

Regierungen übernahmen das Konzept freudig als Entlastungsprogramm, um sich aus der Verantwortung für soziale Aufgaben, Umverteilung und direkte Armutsbekämpfung zurückziehen und ein Gros der Verantwortung an die hochgradig motivierten Frauen und ihre "Eigeninitiative" übergeben zu können.

In Indien zum Beispiel sind Mikrokreditprogramme der neue flächendeckende Prototyp von "Selbsthilfe". Früher stellten Frauen in den Selbsthilfegruppen die politischen Überlebens- und Geschlechterfragen: Wem gehört das Land, das Wasser, das Saatgut, der Körper der Frauen, ihre Arbeit, die Macht im Dorf? Jetzt dreht sich alles ums Geld: Wer bekommt einen Kredit, für welche "einkommensschaffende Tätigkeit" wird er genutzt, wie wird er zurückgezahlt? Der Kredit entpolitisiert die existentielle Frage des Überlebens und ökonomisiert sie in marktangepasster Form.

Längst satteln findige Unternehmen ihre Verwertungsinteressen auf die existentiellen Bedürfnisse der Frauen drauf. Sie bieten den "Selbsthilfe"-Frauen ein Franchise-System an: Mithilfe des Kredits sollen sie im Dorf einen Kiosk eröffnen und die Industrieprodukte verkaufen. Eine Selbsthilfegruppe im südindischen Tamil Nadu machte einen "Mini-Supermarkt" am Rande einer Kleinstadt auf, mit "modernen" Produkten, sauber verpackt und verschweißt, darunter Zahnpasta von Henkel, gesundheitsschädliche Bleichcreme, um die Haut aufzuhellen, und Mineralwasser von Coca Cola, wofür der Konzern den Dörfern unweit vom Supermarkt das Grundwasser abpumpt.

Dagegen nehmen die Jungunternehmerinnen die Gewürze, Öle und Heilmittel, die die Dorffrauen nebenan herstellen, nicht ins Sortiment auf, weil sie nicht "richtig" verpackt sind. So führt die Selbsthilfegruppe den freien Wettbewerb ein: Konzernwaren gegen die Produkte der Kleinbäuerinnen und Straßenhändlerinnen.

Gewiss ist der Supermarkt ein Erfolgsbeispiel für das "ökonomische Empowerment" der Frauen. Gleichzeitig fungiert er als Außenposten der neoliberalen Ökonomie. Die unternehmungsfreudigen Frauen erschließen den Konzernen neue Märkte und übernehmen Umsatzrisiken. Dabei drängen sie die dörfliche Ökonomie ins Abseits und werten die Frauenarbeit als nicht marktfähig ab. Die Interessenunterschiede zwischen den Frauen wachsen.

Gleichstellung à la mode

Auch am smarten neuen Aktionsplan der Weltbank fällt auf, dass er eine Reihe von Gleichstellungsforderungen aufnimmt und sie in das alte frauen- und geschlechterpolitische Konzept der Bank einspeist. Seit die Weltbank Frauen als die "Unsichtbaren" und "Untergenutzten" Anfang der 1970er Jahre entdeckte, ist sie sich in ihrem zentralen frauen- und geschlechterpolitischen Handlungsmotiv treu geblieben: Ihre "Investitionen in Frauen" und in weibliches Human- und Sozialkapital sind ihr allesamt Mittel zum Zweck, Wachstum und Effizienz zu steigern und dadurch Armut zu reduzieren.12

Die Defizite, die die Weltbank bei Frauen analysierte - es fehlt ihnen an Bildung, Gesundheit, Einkommen, produktiven Ressourcen, Geburtenkontrolle, Krediten - wurden als Hindernisse für ihre Marktintegration und für Produktivitäts- und Effizienzsteigerung definiert. In dieser ökonomistischen Logik muss dann z.B. Gewalt gegen Frauen beseitigt werden nicht etwa, weil sie eine Menschenrechtsverletzung ist, sondern weil sie der Volkswirtschaft durch den Wegfall produktiver Arbeitstage schadet. Die Kluft zwischen den ökonomischen Möglichkeiten und den Fähigkeiten von Frauen - so heißt es im neuen Aktionsplan nun im Jargon von Nobelpreisträger Amartya Sen - sei ineffizient und muss durch Partizipation überwunden werden. Als Kronzeugen zitiert die Bank den Economist, der Marktintegration und Wettbewerbsfähigkeit von Frauen als universelles Wachstumsrezept behauptet: "Vergesst China, Indien und das Internet: das Wirtschaftswachstum wird von Frauen vorangetrieben" (15.4.06). Zunehmend würde deutlich, so die Bank, dass "die Erweiterung der wirtschaftlichen Chancen von Frauen für die Bankgeschäfte sinnvoll ist", sprich: sich rechnet. Genau dies sei "smarte Ökonomie".

Dieses smarte ökonomische Modell basiert zwar auf liberalen Forderungen nach Geschlechtergleichheit, instrumentalisiert sie aber für das Wachstumsziel der neoliberalen Globalisierung. Um effizienz- und wachstumshinderliches "Marktversagen" zu überwinden, sollen die Konkurrenzfähigkeit der Ressource Frau gesteigert und "Wettbewerbsverzerrungen" der Märkte wie die Diskriminierung von Frauen beseitigt werden ("make markets work for women").

So richtig und wichtig Chancengleichheit auf den Märkten ist, so eindimensional weist der Aktionsplan der Bank Frauen bestimmte Rollen als selbstständige Akteurinnen im neoliberalen Marktmodell zu, nämlich vor allem als Unternehmerin, als Landbesitzerin, als Kreditnehmerin bei Privatbanken oder als flexible Teilzeitarbeiterin. Sie bezieht sich nur dort auf Rechte, wo es um Eigentum an Produktionsmitteln geht und Frauen durch individuelle Rechte als homo oeconomicus vor allem als Unternehmerinnen marktfähiger werden können.

Hinter den Marktrollen verschwinden die konkreten ökonomischen Tätigkeiten von Frauen als Bäuerin, Kleinhändlerin, Dienstleisterin oder Exportarbeiterin. Selbsthilfegruppen und informelle Tätigkeiten sollen gezielt marktintegriert werden. Alle Formen nicht-marktvermittelter oder moralischer Ökonomie, Elemente von Reziprozität, sozialer Verpflichtung und gesellschaftlicher Reproduktion, die die ökonomischen Zusammenhänge von Frauen an den Rändern oder außerhalb der Märkte kennzeichnen, sind völlig ausgeklammert.

Auch die konkreten Armutsbedingungen, die Frauen in marginalen, niedrigentlohnten, unsicheren und ungeschützten Jobs und obendrein durch eine Überlastung mit unbezahlter Arbeit binden, bleiben ausgeblendet - obwohl der Aktionsplan das Empowerment von Frauen in den Zielrahmen der Millennium-Entwicklungsziele stellt. So bleibt es ein Rätsel, wie die geplante Beseitigung von Markthindernissen, z.B. "Verringerung des Zeit- und Finanzaufwands bei der Unternehmensregistrierung", die Armut von 100 Millionen von Kleinbäuerinnen reduzieren soll.

Die "smarte Ökonomie" der Weltbank ist keineswegs ein anderes, geschlechtergerechtes oder engendertes makro-ökonomisches Modell, sondern nur die universelle Anwendung des "eindimensionalen Denkens" des neoliberalen Projekts (Bourdieu), nämlich der Wachstums- und Effizienzlogik auf Frauen. Geschlechtergleichheit ist für die Bank kein menschenrechtliches Gebot, sondern ein ökonomisches Kalkül. Trotzdem ist der emanzipatorischen Forderung nach sozialen und wirtschaftlichen Rechten von Frauen durch die Integration von Gleichstellungszielen und die Überwindung des Ausschlusses von Frauen erst einmal der Wind aus den Segeln genommen. Die Eindimensionalität des Modells besteht in der markttotalitären Botschaft: There is no alternative. Die Botschaft, dass Gleichstellung nur über die Märkte und deren neoliberale Spielregeln erfolgen kann, stellt eine Ökonomisierung der Geschlechterfrage dar und lässt kein Recht auf andere Formen des Wirtschaftens zu. Die feministische Politisierung der Geschlechter- und der Klassenfrage verschwindet im Windkanal des Marktzugangs. Die Gretchenfrage für Geschlechterverhältnisse, nämlich das Verhältnis von Produktion und sozialer Reproduktion, bezieht die "smarte Ökonomie" der Weltbank genauso wenig ein wie jedes andere neoklassische Ökonomiemodell.

Marktkonformität

Die Eindimensionalität ihres Denkens und ihrer Programmatik, bei der das optimale Funktionieren der Märkte nach den Wettbewerbsprinzipien im Zentrum steht, verbaut alternative Wege und verunmöglicht demokratische Räume, um die Trennung von Sozialem und Ökonomie zu überwinden, Menschenrechten den Vorrang vor Markteffizienz und Wachstum oder Versorgung den Vorrang vor Profit zu geben.

Frigga Haug benutzt zur Kennzeichnung der Aufnahme und Umsetzung emanzipatorischer Forderungen Gramscis Begriff der "passiven Revolution"13. Diese Integration entschärft feministische Kritik, obwohl sie den gemäß den Spielregeln des Systems in die Lohnarbeit und die Märkte integrierten Frauen keinerlei Macht gibt, ökonomische und soziale Verhältnisse anders zu gestalten. Das "ökonomische Empowerment" von Frauen empowert die neoliberalen Ziele.

Gerade weil diese Integration an emanzipatorische Leitbilder des Feminismus von Selbstbestimmung, individueller Freiheit, eigenständiger Existenzsicherung und Befreiung von patriarchaler Kontrolle anknüpft und historisch deshalb durchaus ein gleichstellungspolitischer Fortschritt ist, wirkt sie als neuer Vergesellschaftungsmodus: Wer ökonomische Verantwortung für sich selbst übernimmt, ist ein vollwertiges marktbürgerliches Mitglied der Gesellschaft.

Veronica Schild hat am Beispiel von Chile analysiert, wie die Forderungen von Frauenorganisationen nach individuellem Empowerment der neoliberalen Rationalität der Regierung, ihrem Ziel der Wettbewerbsfähigkeit durch flexibilisierte Frauenarbeit und eigenverantwortliche, autonome Bürgerschaftlichkeit in die Hände spielten.14 Diese Konvergenz feministischer und neoliberaler Ziele mündet in Gouvernementalität im Foucaultschen Sinne. Das bedeutet: Regulierung von außen übersetzt sich in Selbstregulierung, neue Mechanismen von Vergesellschaftung werden durchgesetzt, und so wird ein neoliberaler gesellschaftlicher Konsens gebildet. Frauen stehen derzeit im Zentrum des Geschehens.

Anmerkungen

1) Wichterich, Christa (2003): Femme global. Die Globalisierung ist nicht geschlechtsneutral, Hamburg; UNRISD (2005): Gender Equality. Striving for Justice in an Unequal World, Geneva; Barton, Carol (2004): Global Women's Movements at a Crossroads: Seeking Definition, New Alliances and Greater Impact, in: Socialism and Democracy, Vol 18, No 1, 151-184

2) World Bank (2006): Gender Equality as Smart Economics: A World Bank Group Gender Action Plan (Fiscal years 2007-10), Washington

3) Hale, Angela (ed.) (1998): Trade Myths and Gender Reality: Trade Liberalisation and Women's Lives, Uppsala

4) Joekes, Susan/Weston, Ann (1994): Women and the New Trade Agenda, UNIFEM, New York; Grown, Caren/Elson, Diane/Cagatay, Nilüfer (2000): Introduction: Growth, Trade, Finance and Gender Inequality. In: World Development, 28/7, 1145-1156

5) Abu-Ghaida, Dina/Klasen, Stephan (2004): The Costs of Missing the Millennium Development Goal on Gender Equity, IZA DP No.1031, Bonn, 4

6) Bhagwati, Jagdish (2004): In Defense of Globalisation. Oxford:75f.

7) Bakker, Isabella (ed.) (1994): The Strategic Silence. Gender and Economic Policy, London

8) Gammage, Sarah/Jorgensen, Helene/McGill, Eugenia with Marceline White (2002): Framework for Gender Assessment of Trade and Investment Agreements, Womenäs EDGE, Washington; Williams, Mariama (2003): Gender Mainstreaming in the Multilateral Trading System. A handbook for policy-makers and other stakeholders, Commonwealth Secretariat, London

9) United Nations (2004): Trade and Gender. Opportunities and Challenges for Developing Countries, New York and Geneva

10) UN 2004: 137.

11) UN 2004: 213.

12) World Bank (2006).

13) Haug, Frigga (2006): Links und feministisch? Feministische Kapitalismuskritik - Probleme und Perspektiven, in: Widerspruch 50, Alternativen, 26. Jg./1. Halbjahr 2006, 87-99, 93f.

14) Schild, Veronica (2003): Die Freiheit der Frauen und gesellschaftlicher Fortschritt. Feministinnen, der Staat und die Armen bei der Schaffung neoliberaler Gouvernementalität, in: Peripherie Nr. 92, 481/507



Dr. Christa Wichterich ist Soziologin. Sie lebt in Bonn, arbeitet als freiberufliche Autorin, Beraterin in entwicklungspolitischen Fragen und Lehrbeauftragte und ist seit Jahren ehrenamtlich in Bewegungen aktiv. Sie arbeitet v.a. zum Verhältnis zwischen reicher und armer Welt und zu Geschlechterverhältnissen. - Ihr Beitrag ist die bearbeitete und leicht gekürzte Fassung des in den Blättern für deutsche und internationale Politik 6/2007 erschienenen Artikels "Globalisierung und Geschlecht".

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