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Klaus Holzkamp

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Nicht wirklich Auffälliges ... - oder doch?

04.09.2013: Die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks

  
 

Forum Wissenschaft 3/2013; Foto: photocase.com – Goulden

Ende Juni 2013 wurde die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) präsentiert, die kontinuierlich seit 60 Jahren über die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden im Lande forscht und somit zu politischen Diskussionen rund um die Bildungsgerechtigkeit beiträgt. Sabine Kiel fasst die Ergebnisse zusammen.

Auch wenn die meisten Ergebnisse nicht wirklich überraschen, zeigt sich dennoch, dass sich die soziale Spaltung vor und während des Studiums weiter verfestigt hat.

Soziale Herkunft bestimmt Bildungschancen

Der Anteil von Studierenden mit schulisch gut oder sehr gut ausgebildeten Eltern ist erneut gestiegen - ein Trend, der seit Mitte der 1980er Jahre zu beobachten ist. Gemessen am höchsten schulischen Abschluss von Vater und/oder Mutter kommen fast sechs von zehn Studierenden (60%) aus einem Elternhaus, in dem das Abitur der höchste allgemein bildende Schulabschluss ist. Mehr als drei von zehn Studierenden (30%) haben Eltern, die einen mittleren schulischen Abschluss erwarben und weniger als ein Zehntel (9%) kommt aus einer Familie, in der die Eltern maximal über einen Volks- oder Hauptschulabschluss verfügen.

Überdies zeigt sich, dass die Eltern von Studierenden vergleichsweise beruflich hoch qualifiziert sind: In jeder zweiten Familie (50%) hatte 2012 mindestens ein Elternteil ein Hochschulstudium absolviert. 1991 waren dies 36%.

An den Fachhochschulen ist das Studienangebot nach wie vor besonders attraktiv für Studieninteressierte aus hochschulfernen Schichten: Mehr als sechs von zehn Studierenden an Fachhochschulen kommen aus einem nicht-akademischen Elternhaus (62%, davon 50% Bildungsherkunft "mittel" und 12% "niedrig").

Interessant ist, dass die Aufnahme eines Promotionsstudiums sehr selektiv ist: Fast zwei Drittel dieser Studierenden kommen aus einer AkademikerInnenfamilie (65%), darunter mehr als die Hälfte aus einer doppelt akademisch gebildeten (36%).

Die Wahrscheinlichkeit, die gymnasiale Oberstufe auf einer weiterführenden Schule zu besuchen, ist für Kinder von AkademikerInnen 1,8mal so hoch wie für Kinder von Nicht-AkademikerInnen (79% vs. 43%). Letztere weisen hingegen eine 2,7fach höhere EURscheinlichkeit als Kinder von AkademikerInnen auf, zu einer beruflichen Schule zu wechseln (57% vs. 21%).

Unter der Berücksichtigung beider Zugangswege in ein Hochschulstudium (berufliche Schule und gymnasiale Oberstufe) beginnen von den Kindern aus einer nicht-akademischen Herkunftsfamilie 23% ein Studium. Dieser Anteil ist bei den Kindern von AkademikerInnen mit 77% 3,3mal so hoch.

Nach wie vor kommt die überwiegende Mehrheit der Studierenden (95%) mit einer allgemeinen Hochschulreife oder einer Fachhochschulreife an die Hochschulen. An den Fachhochschulen ist der Anteil Studierender mit allgemeiner Hochschulreife (erneut) deutlich angestiegen (2009: 53%, 2012: 57%) zulasten des Anteils an Studierenden mit Fachhochschulreife (2009: 38%, 2012: 32%). Studierende mit einer "anderen" Hochschulzugangsberechtigung sind weiterhin geringfügig vertreten (1%). Der Weg zu einer "offenen" Hochschule ist noch sehr lang.

Der seit 1994 zu beobachtende Trend des Rückgangs an Studierenden, die vor Studienbeginn eine Ausbildung abschließen, setzt sich auch 2012 fort.

Traditionell überdurchschnittlich große Anteile an Studierenden aus hochschulnahem Elternhaus weisen Studiengänge auf, die mit einem Staatsexamen (nicht Lehramt) abschließen. Mehr als jeder zweite Lehramtsstudierende hat einen nicht-akademischen Bildungshintergrund (52%).

Im Sommersemester 2012 hat fast jeder vierte Studierende (23%) einen Migrationshintergrund - der Anteil an der Bevölkerung beträgt 19,5%. Der Anteil der Studierenden mit Migrationshintergrund aus "niedriger" Bildungsherkunft ist viermal so hoch wie der Anteil der Studierenden ohne Migrationshintergrund.)

Soziale Spaltung quer durch das Studium

Der Einfluss des Elternhauses setzt sich auch während des Studiums fort: So erhalten knapp 6% der Studierenden aus AkademikerInnenfamilien ein Stipendium von einem Begabtenförderwerk bzw. ihrer Hochschule.

Auch bei der Auslandsmobilität geht die soziale Schere weiter. Studierende aus akademischen Elternhäusern machen doppelt so oft ein Praktikum im Ausland wie Studierende aus nicht-akademischen Familien.

Studium ohne elterliche Knete fast nicht möglich

Durchschnittlich verfügten 2012 die Studierenden über monatliche Einnahmen in Höhe von 864 Euro - gegenüber 2009 sind dies 52 Euro mehr. Aber nicht nur die Höhe ist interessant, sondern auch die Streuung der Einnahmen ist beträchtlich: So verfügte rund ein Viertel über weniger als 675 Euro (BAföG-Hochstsatz). Der Zentralwert der monatlichen Einnahmen - der Betrag, den die eine Hälfte der Studierenden unterschreitet und die andere Hälfte überschreitet - lag bei 817 Euro.

Nach wie vor wird die große Mehrheit der Studierenden (87%) vom Elternhaus mit durchschnittlich 476 Euro monatlich finanziell unterstützt - wobei 10% allein von der Unterhaltsleistung des Elternhauses lebten. Mit eigenem Verdienst - durchschnittlich 323 Euro - aus Tätigkeiten neben dem Studium bestritten 63% der Studierenden Teile ihrer Lebenshaltungskosten - für 2% (2009: 3%) war dies die alleinige Finanzierungsquelle. Eine BAföG-Förderung erhielten 32% der Studierenden (2009: 29%) - ausschließlich von BAföG-Mitteln lebten 2% (2009: 1%) der Studierenden. Die Fördersumme betrug im Schnitt 445 Euro monatlich. Überdies erhielten 6% der Studierenden Geld aus Krediten. Der Studienkredit der KfW-Bankengruppe stellt den KreditnehmerInnen mit durchschnittlich 451 Euro den höchsten Betrag zur Verfügung. Er wird von 4% der Studierenden genutzt. Insgesamt gaben 4% der Studierenden an, regelmäßig durch ein Stipendienprogramm unterstützt zu werden. 1% wurden durch das sog. "Deutschlandstipendium" gefördert.

In der Regel nehmen Studierende mehr als zwei Finanzierungsquellen zur Bestreitung ihrer Lebenshaltungskosten in Anspruch, so dass die Studienfinanzierung hauptsächlich eine Mischfinanzierung ist. Der Anteil der elterlichen Unterstützung an den Gesamteinnahmen beträgt in der Herkunftsgruppe "niedrig" 27%. In der Herkunftsgruppe "gehoben" geht bereits die Hälfte der studentischen Einnahmen auf die Leistungen der Eltern zurück. Bei den Studierenden, deren Vater und Mutter einen akademischen Abschluss haben (Bildungsherkunft "hoch"), erreicht der Elternbeitrag zu den Einnahmen 63%.

Als am sichersten schätzen solche Studierenden ihre finanzielle Situation ein, die noch nie BAföG beantragt haben. Von ihnen geben 84% an, dass ihre Studienfinanzierung sichergestellt ist. Am unsichersten über die Studienfinanzierung äußern sich die ehemaligen BAföG-EmpfängerInnen. 26% von ihnen geben an, dass die Finanzierung nicht sichergestellt ist. Im Vergleich zu 2009 geben bedeutend mehr Studierende der Bildungsherkunft "niedrig" an, den Förderungsanspruch aufgrund einer nicht erbrachten Leistungsbescheinigung verwirkt zu haben (2012: 20%, 2009: 15%).

Die Mietausgaben belasten das studentische Budget am stärksten. Im Durchschnitt geben Studierende von den ihnen monatlich zur Verfügung stehenden Mitteln ein gutes Drittel (34%) für Miete und Nebenkosten aus (durchschnittlich 298 Euro). Nach wie vor bezahlen Studierende, die im Studentenwohnheim leben, mit durchschnittlich 240 Euro die niedrigste Miete. Studierende hingegen, die allein in einer Wohnung leben, haben mit durchschnittlich 357 Euro die höchsten Mietausgaben. 2012 leben etwa 17% allein in der Wohnung, 20% teilen sich die Wohnung mit einem Partner bzw. einer Partnerin. 23% der Studierenden wohnen bei den Eltern und 29% in einer Wohngemeinschaft. Der Anteil der Studierenden, die in einem Wohnheim leben, liegt bei 10%, zur Untermiete wohnen knapp 1% der Studierenden. Am meisten zahlen Studierende, die an einer Hochschule in Köln (359 Euro) oder in München (358 Euro) eingeschrieben sind.

Erwerbseinnahmen als Bestandteil des Budgets

Die Mehrheit der Studierenden geht während der Vorlesungszeit neben dem Studium einer Erwerbstätigkeit nach, mit der sie Geld verdienen (61% im (Vollzeit-)Erststudium). Für diese Jobs wenden sie durchschnittlich 13 Stunden in der Woche auf. In der Summe der hier unterschiedenen Zeitverwendungsarten (Studium und Erwerbstätigkeit) haben Studierende im Erststudium eine zeitliche Gesamtbelastung von 42 Stunden in der Woche. Studierende, die nicht jobben, investieren während der Vorlesungszeit im Schnitt 39 Stunden in das Studium. Studierende aus bildungsnahem Elternhaus arbeiten anteilig seltener und bezogen auf den Zeitumfang auch weniger als Studierende aus einer bildungsfernen Herkunftsfamilie.

Studierende im (Vollzeit-)Erststudium wenden durchschnittlich 35 Stunden pro Woche für ihr Studium auf. Dieses Zeitbudget teilt sich nahezu hälftig auf zwischen Zeiten für den Besuch von Lehrveranstaltungen (18 Std./Woche) und Zeiten für das Selbststudium (17 Std./Woche). Der studienbezogene Zeitaufwand ist im Vergleich zu 2009 um eine Stunde gesunken. Dennoch betrachten - auf die Vorlesungszeit bezogen - fast die Hälfte der Studierenden (48%) im (Vollzeit-) Erststudium die zeitliche Inanspruchnahme durch das Studium als (zu) hoch.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass Studierende aus den "einfachen" Familien (ArbeiterInnen und Angestellte) mehr von Erwerbstätigkeit geprägt sind als Studierende aus "höheren" sozialen Schichten. Diese soziale Ungleichheit im Studium wird durch die staatliche Studienfinanzierung (BAföG) bzw. Stipendien nur sehr begrenzt kompensiert.

Auffallend gegenüber früheren Erhebungen ist ...

Der Anteil von Studierenden im Erststudium, die sich in den Ingenieurwissenschaften immatrikulieren, ist im Vergleich zu 2009 um vier Prozentpunkte gestiegen. Damit stellen die Ingenieurwissenschaften mit 22% erstmals seit 1997 wieder die größte Fächergruppe dar. Der Anstieg geht vor allem auf die männlichen Studierenden (Aussetzung der Wehrpflicht) zurück: Jeder dritte Student ist in einem ingenieurwissenschaftlichen Fach eingeschrieben (33%).

Trotz Wegfalls der Wehrpflicht und Verkürzung der Schulzeit (G 8) ist das Durchschnittsalter der Studierenden (24,4 Jahre) kaum gesunken. Hier zeigt sich, dass viele Studienberechtigte erst mal ins Ausland gehen, jobben, ein Freiwilligenjahr absolvieren etc..

Insgesamt zeigt sich, dass die internationale Mobilität nicht zugenommen hat und bei etwa 30% liegt. Ins Ausland gehen vor allem Studierende aus Akademikerfamilien (21% vs. 9% Bildungsherkunft "niedrig"). Für über die Hälfte der befragten Studierenden (56%) ist die finanzielle Mehrfachbelastung ein Hinderungsgrund.

Trotz formal gleicher Start- und auch verbesserter Studienbedingungen (mehr Studienplätze, höheres BAföG etc.) bleiben die herkunftsabhängigen Benachteiligungen bestehen. Auch belegt der internationale Vergleich es immer wieder: Kein anderes Bildungssystem im OECD-Maßstab benachteiligt die Benachteiligten und bevorzugt die Bevorzugten so stark wie das deutsche. Ursache dafür ist unter anderen, dass im deutschen Bildungssystem so früh wie möglich differenziert wird und mehr Weichenstellungen bzw. Zugangsschwellen hinzukommen als in anderen Systemen. Und an jeder Übergangsschwelle kommen weitere soziale Diskrepanzen hinzu. Diese, deutschen, Weichenstellungen sind gleichzeitig folgenschwerer als in anderen Ländern, weil zum einen die einzelnen Schulformen in Deutschland besonders undurchlässig sind und zum anderen eine ausgeprägte Trennung zwischen beruflichen und akademisch orientierten Ausbildungsgängen bzw. diesen entsprechenden sozialen Kulturen besteht.

Wenn im Text keine konkreten Quellenangaben gemacht wurden, sind diese in der 20. Sozialerhebung zu finden.

Literatur

BMBF 2012: Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2012. 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt durch HIS Hochschul-Informations-System, Bonn/Berlin, oder: www.sozialerhebung.de.

Wolfgang Keim 2001: "Die uneingelöste Gleichheit - Rückblick auf 50 Jahre bundesdeutscher Bildungspolitik", in: Jahrbuch für Pädagogik 2000: Gleichheit und Ungleichheit in der Pädagogik, Frankfurt am Main, 2001: 132-137.


Sabine Kiel (sabine.kiel@web.de) ist im BdWi-Vorstand und stellvertretende GEW-Vorsitzende in Niedersachsen und arbeitet beim Studentenwerk Hannover.

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