BdWi - Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler

»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

Newsletter abonnierenKontaktSuchenSitemapImpressumDatenschutz
BdWi
BdWi-Verlag
Forum Wissenschaft

Studienplatz £9.000 im Jahr

17.11.2011: Zur Bildungsfinanzierung in Großbritannien

  
 

Forum Wissenschaft 3/2011; Foto: Sven Hoffmann – Fotolia.com

Das Hochschulsystem Großbritanniens ist in den vergangenen Jahren massiv umgestaltet worden - gerade auch mit Blick auf die Studienfinanzierung. Anneliese Dodds und Ed Turner untersuchen die Etappen dieser Veränderungen von den 1970ern bis zu den 1990er Jahren, von 1997 bis 2010 und seit 2010.

Bis in die 1970er Jahre war die britische Hochschullandschaft ausdrücklich elitär ausgerichtet. Dabei war die Anzahl der Studienplätze vergleichsweise gering und die inhaltliche und strukturelle Ausrichtung des Hochschulsystems begrenzt. Ab den 1980er Jahren wurden weitgehende Reformen durchgeführt: In den 1980er und 1990er Jahren wurde der politechnische Sektor1 mit in die Hochschullandschaft integriert, was als das Ende der Zweiteilung des Hochschulsystems gilt. Anschließend wurden sämtliche Fachhochschulen den Universitäten gleichgestellt. Diese Umwandlung der Polytechnics in Universities führte zwangsläufig zu einem signifikanten Zuwachs der Studierendenzahl an britischen Universitäten. Gleichzeitig stieg auch die Anzahl der Studierenden an den traditionellen Universitäten: In Deutschland und anderen Ländern wurde in diesem Zusammenhang von einem Trend zur Massenhochschule ("massification") gesprochen.

Die Zahl der Universitäten (durch die Aufwertung der ehemaligen Fachhochschulen und technischen Institute) und die Gesamtzahl der Studierenden wuchs in den 1990ern und 2000ern stetig an. Zwischen 1994/95 und 2008/09 stieg die Anzahl der Undergraduates (Studierende bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss wie etwa dem Bachelor) um 51%. Den größten Zuwachs gab es bei den Teilzeitstudierenden.Die Zahl der Postgraduates (Studierende, die das Studium nach dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss fortsetzen) stieg um 60% - mit dem größten Zuwachs unter den Vollzeitstudierenden. Bis 2008/09 hatten über 50 britische Einrichtungen des tertiären Bildungswesens (Higher Education Institutions - HEIs) jeweils mehr als 20.000 Studierende.

Der Anteil der Briten im Alter von 17 bis 30 Jahren, die an einer Hochschulausbildung teilnehmen oder daran teilgenommen hatten, lag 2008/09 bei 45%. Im Jahr 2008 war das am häufigsten studierte Fach Betriebswirtschaftslehre, gefolgt von den medizinischen Fächern, Sozialwissenschaften und Pädagogik.2 Immer mehr Institutionen hatten eine Anerkennung als Hochschule erhalten. Die derzeitige Koalitionsregierung zwischen der Konservativen Partei und den Liberaldemokraten plant, weiteren Institutionen den Universitätsstatus zuzusprechen, und will zudem den Zuwachs des privaten Sektors fördern.

Vom Stipendium zum Darlehen

Die Maßnahmen der Studienförderung haben sich seit den 1970er Jahren radikal verändert. Während der 1970er und 1980er Jahre hatten Studierende in Abhängigkeit vom Einkommen ihrer Eltern Anspruch auf staatliche Stipendien (student grants). Zudem wurden alle Kursgebühren vom Staat übernommen. Die konservative Regierung führte 1990/91 staatlich bereitgestellte Darlehen ein, die zusätzliche Lebenshaltungskosten der Studierenden finanzieren sollten. Die Höhe der Stipendien nahm seither sukzessive ab, so dass die Darlehen nach und nach die Hauptfinanzierungsquelle der Studierenden wurden.

Die staatlichen Stipendien wurden nach den Einkünften der Eltern bemessen: Studierende aus wohlhabenderen Familien bekamen weniger Geld, da erwartet wurde, dass die Eltern sich in einem gewissen Umfang an der Finanzierung des Studiums ihrer Kinder beteiligten. Allerdings hatten die Studierenden hierauf keinen Rechtsanspruch und viele Eltern verweigerten die Unterhaltszahlungen. Neben diesen statusbezogenen Finanzierungsquellen bestand bis zu den 1980er Jahren für Vollzeitstudierende ein Anspruch auf alle allgemeinen Sozialleistungen wie Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe und Wohngeld. Dieses Recht wurde zwischen 1986 und 1990 schrittweise zurückgenommen. Bis heute sind Studierende jedoch von der Lokalsteuer der Kommunen ausgenommen. Die Unterstützung der Studierenden wurde in den vergangenen Jahren demnach von einer Zuschussfinanzierung im Bedarfsfall (elternabhängige Stipendien) auf Darlehensmöglichkeiten umgestellt.

Einführung von Studiengebühren

Im Jahre 1997 wurde der so genannte Dearing-Bericht zur Studienfinanzierung veröffentlicht. Dieser Bericht war zwar parteiübergreifend in Auftrag gegeben worden, seine Empfehlungen wurden jedoch von der seinerzeit neu gewählten Labour-Regierung unter Tony Blair umgesetzt. Danach wurden erstmals von den Studierenden Studiengebühren in Höhe von jährlich £1.000 (ca. 1.150 Euro) verlangt; eine Erweiterung des staatlichen Darlehens an Studierende sollte sicherstellen, dass die Studierenden die Gebühren (über eine Verschuldung) auch bezahlen können. Studierende aus einkommensschwächeren Familien wurden von den Gebühren befreit.

Ab 1999 wurde die staatliche Unterstützung der Studierenden in England vollständig auf Darlehen umgestellt, d.h. die traditionellen elternabhängigen Stipendien wurden abgeschafft. Sechs Jahre später wurden (kleinere) Stipendien mit einem maximalen Wert von £1.000 für etwa ein Viertel der Studierenden, deren Eltern relativ wenig verdienen, wieder eingeführt. Eine weitere Veränderung erfolgte in den Jahren 2006/07: Bis zu diesem Zeitpunkt konnten die EmpfängerInnen eines Stipendiums zusätzlich das maximale staatliche Darlehen in Anspruch nehmen. Seit 2006/07 ersetzt das Stipendium die entsprechenden Anteile des Darlehens, so dass die Studierenden mit weniger Geld auskommen müssen. Danach wurden nur noch kleinere Veränderungen durchgeführt, durch die jedoch der Zugang zu diesen Stipendien ab 2009 für eine Mehrheit von StudienanfängerInnen möglich wurde - hierfür wurden zusätzliche Mittel des Staates bereitgestellt.

Parallel zur gewandelten finanziellen Unterstützung der Studierenden veränderten sich auch die Kosten des Studiums. Die Studiengebühren, am Anfang £1.000 pro Jahr, stiegen zunächst jährlich in Höhe der Inflation. Im Jahr 2004 beschloss die Labour-Regierung jedoch eine Erhöhung des Spitzensatzes der Gebühren auf £3.000 (gut 3.400 Euro). Durch die beibehaltene jährliche Inflationsanpassung lag diese Obergrenze der Studiengebühren im Jahr 2010/11 bereits bei £3.290 (knapp 3.800 Euro). Die Universitäten wurden aufgefordert, Geld für Stipendien für Studierende aus den einkommensschwächsten Familien zur Verfügung zu stellen. Und auch der Rahmen für Studierendendarlehen wurde erneut erhöht, um die höheren Gebühren finanzieren zu können. Das staatliche Darlehen ist nach Studienende in Abhängigkeit vom eigenen Einkommen zurückzubezahlen. Dabei ist die Darlehensschuld verzinst, allerdings mit einem Zinssatz unter dem Marktniveau. In der Folge sehen sich zahlreiche Studierende in Großbritannien nach ihrem Studienabschluss mit einem Schuldenberg konfrontiert. Die Verdreifachung der Studiengebühren war mit erheblichen politischen Auseinandersetzungen verbunden und die Regierung setzte sich mit nur fünf Stimmen Mehrheit im Unterhaus durch.

Dass ausgerechnet eine Labour-Regierung Studiengebühren eingeführt und diese später dann massiv erhöht hat, mag als Paradox erscheinen. Auch die Reduzierung der staatlichen Förderung der Lebensunterhaltskosten erfolgte durch die Labour-Regierung. Sie rechtfertigte dies damit, dass der Zugang zu den Hochschulen erheblich erweitert wurde: Studierten 1998 (ein Jahr nach der Wahl der Labour-Regierung) 32% eines Jahrgangs, so waren es 45% im Jahr 2010. Um diese Kosten zu decken, wurden die staatlichen Ausgaben zur Hochschulfinanzierung in diesem Zeitraum real um etwa 25% gesteigert. Labour war nun der Ansicht, dass die Gesellschaft eine vollständige Finanzierung des Hochschulsausbaus durch die öffentliche Hand nicht akzeptieren würde, weshalb eine höhere finanzielle Beteiligung der Studierenden als notwendig erachtet wurde.

... und vollkostendeckender Gebühren

Die vermutlich wichtigsten Veränderungen bei der Studienfinanzierung in England fanden im vergangenen Jahr, nach der Wahl der Koalitionsregierung und der Umsetzung der Empfehlungen des sogenannten Browne Review statt.

John Browne, ehemaliger Chef des Öl-Konzerns BP, wurde vor der Parlamentswahl 2010 damit beauftragt, Alternativen zur Finanzierung der Hochschulen zu benennen. Wie bei der Dearing-Kommission bekam diese Kommission parteiübergreifende Unterstützung. Dabei gab es zwischen den Parteien eigentlich große inhaltliche Differenzen in der Hochschulpolitik. So propagierte Labour eine Studierquote von 50% der SchulabgängerInnen, was von den anderen Parteien nicht geteilt wurde.

Die Empfehlungen der Browne-Kommission wurden im Oktober 2010 veröffentlicht und beinhalteten einige sehr radikale Vorschläge. Es wurde empfohlen, dass die Begrenzung der Studiengebühren (derzeit £3.290) komplett aufgehoben werden sollte, dass die Einkommensgrenze, ab der die Graduierten ihr Darlehen zurückbezahlen müssten, auf £21.000 (24.000 Euro) im Jahr (brutto) erhöht werden sollte: Ab dann sollten sie 9% des Einkommens zur Tilgung ihres Darlehens bezahlen. Zudem sollten Teilzeitstudierende die gleiche Unterstützung wie Vollzeitstudierende erhalten. Eine öffentlich weniger beachtete Empfehlung der Kommission war, dass nur noch bestimmte Fächer eine staatliche Bezuschussung der Unterrichtskosten bekommen sollten, während andere Fächer gar keine staatliche Finanzierung der Lehre mehr erhalten, sondern sich vollständig über Gebühren finanzieren sollten. Fächer mit einer fortgesetzten Bezuschussung sollten die sogenannten STEM-Fächer3 sein (Naturwissenschaften, Technologie, Ingenieurwissenschaften, medizinische Fächer), während die staatliche Förderung in den Geistes- und Sozialwissenschaften komplett gestrichen werden sollte.

Die Regierung änderte einige Empfehlungen bei der gesetzlichen Umsetzung. Am wichtigsten war die Beibehaltung einer Obergrenze bei den Studiengebühren anstatt der von Browne vorgeschlagenen Abschaffung. Die Deckelung wurde jedoch auf £9.000 (10.300 Euro) pro Jahr hochgesetzt, also fast verdreifacht. Die Regierung hielt am Vorschlag der Kommission fest, jede staatliche Unterstützung der Geistes- und Sozialwissenschaften zu streichen. Die komplette Streichung der Förderung war damit der größte Posten im ganzen Sparpaket der Regierung (die zweitgrößte Kürzung traf den sozialen Wohnungsbau: Hier wurden Kürzungen um 75% beschlossen).

Obwohl die Empfehlungen der Browne-Kommission und deren Umsetzung erhebliche Proteste in der Studierendenschaft auslösten, wurde das Reformpaket mit der Regierungsmehrheit beschlossen und die neuen Gebühren werden ab dem Jahr 2012/13 eingeführt. Ein Drittel der britischen Hochschulen hat bereits angekündigt, dass sie Gebühren genau an der Obergrenze von £9.000 im Jahr für alle Studiengänge erheben werden. Dies steht im deutlichen Widerspruch zu der erklärten Erwartungshaltung der Browne-Kommission sowie der Regierung, dass das neue System zu einem Wettbewerb bei der Qualität und der Höhe der Gebühren führen würde.

Unterschiede innerhalb des Vereinigten Königsreichs

Die genannten Veränderungen betreffen nur das englische Hochschulsystem. In Schottland wurden Studiengebühren nach der Dezentralisierung der Regierungsgewalt in Großbritannien und der Einführung des schottischen Parlaments abgeschafft. Anfangs mussten ehemalige Studierende nach den Vorschlägen einer Kommission unter dem Juristen Andrew Cubie noch einen Graduierten-Beitrag bezahlen. Dieser wurde im Jahr 2007 abgeschafft; seitdem müssen schottische Studierende in Schottland keine Studiengebühren mehr bezahlen. In Wales wurden Studiengebühren eingeführt, aber das System der Studienfinanzierung unterscheidet sich vom englischen System: Bereits 2002 - und damit früher als in England - wurden Stipendien zur Finanzierung der Lebensunterhaltskosten wieder eingeführt. Zudem stellte die walisische Regierung allen walisischen Studierenden ein Stipendium von fast £2.000 (ca. 2.300 Euro) im Jahr zur Verfügung, um die Studiengebühren zu bezahlen. Da die Studiengebühren ab dem Jahr 2012 in England verdreifacht werden, werden die Unterschiede innerhalb Großbritanniens wahrscheinlich deutlich zunehmen. Insbesondere gilt es als wahrscheinlich, dass wenige schottische SchulabgängerInnen in England studieren werden, und auch umgekehrt.

Stärkere Elternabhängigkeit

Die Abhängigkeit britischer Studierender von ihren Eltern ist im Laufe der Zeit gestiegen. Dies hat eine Reihe von Ursachen: Wie oben beschrieben wurden die Studierenden ab Mitte der 1980er Jahre zunehmend als solche BürgerInnen behandelt, die staatliche Leistungen wie etwa Arbeitslosenhilfe nicht bekamen, auf die Nichtstudierende Anspruch hatten. Zudem wurden die Studierenden von einem Teil der Steuer (wie etwa der Lokalsteuer) ausgenommen. Zweitens wurde dargelegt, wie Studierende zunehmend die Kosten sowohl ihres Lebensunterhalts als auch ihres Unterrichts selbst bezahlen müssen, obwohl der Umfang dieser Pflicht durchaus im Laufe der Zeit variierte. Dies bedeutet, dass die Gesamtsumme des Eigenbeitrags der Studierenden immer mehr von den Einkünften der Eltern abhängt, sei es durch Zuschüsse der Eltern zu Studiengebühren und Lebensunterhalt, oder sei es bei der Darlehensaufnahme, da die Höhe des Darlehensrahmens ebenfalls vom Einkommen der Eltern abhängt.

Der Trend einer stärkeren Elternabhängigkeit war im Laufe der Zeit auf verschiedenen Ebenen zu beobachten. Unmittelbar nach Einführung der Studiengebühren mussten diese direkt (up front) bezahlt werden; die Summe war damals relativ niedrig, betrug sie doch mit £1.000 nur ein Neuntel der heutigen Gebühren. Wenn sich die Eltern des/der Studierenden etwa wegen familieninterner Zerwürfnisse weigerten, diesen Beitrag zu bezahlen, wurde die Gebühr sofort von dem/der Studierenden fällig. Dies wurde beispielsweise für schwule und lesbische Studierende ein besonderes Problem. Die nationale Studierendengewerkschaft (NUS) berichtete von vielen Fällen, wo Eltern als Konsequenz des Outings jede finanzielle Unterstützung aufkündigten, so dass die Studierenden dann die Universität verlassen mussten, da sie sowohl die Studiengebühren als auch die ganzen Unterhaltskosten allein und ohne Stipendien nicht aufbringen konnten. Der Staat geht nach wie vor davon aus, dass auch diese Eltern ihren Beitrag zum Unterhalt leisten würden, obwohl dies rechtlich nicht verpflichtend ist.4

Seit die Gebühren nicht mehr up front (also schon zur Zeit des Studiums) bezahlt werden müssen, geht dieses Problem zurück. Allerdings treten nach wie vor Probleme auf, wenn die Eltern sich weigern, bei der Ermittlung ihrer Einkünfte zur Berechnung der Stipendien zu kooperieren. Ferner ist anzumerken, dass die Teilzeitstudierenden, also bis zu 40% aller Studierenden, trotz der Veränderungen bei den Vollzeitstudierenden die Gebühren noch immer up front bezahlen müssen. Beim neuen System ab 2012 scheint es so zu sein, dass alle Graduierten (sowohl Voll- als auch Teilzeitstudierende) ihre Gebühren erst ab dem dem Studienabschluss folgenden April zurückbezahlen müssen; die genauen Regelungen für die Teilzeitstudierenden sind jedoch noch nicht abschließend geklärt. Zudem ist die Höhe der Gebühren im neuen System nicht von den Einkünften der Eltern abhängig - es gibt demnach keine Befreiung für Studierende aus einkommensschwachen Elternhäusern mehr. Die Stipendien sind jedoch weiterhin sehr wohl von den Einkünften der Eltern abhängig. Da die Darlehenshöhe zur Finanzierung des Lebensunterhalts um die Höhe der Stipendien reduziert wird, ist diese ebenfalls vom Einkommen der Eltern abhängig.

Die (Un)abhängigkeit der Studierenden von ihren Eltern ist bis heute kein Kernthema in der Debatte um die englische Studienfinanzierung. Der Diskurs orientiert sich weitgehend an wettbewerblichen Vorstellungen, und die studentische Autonomie wird daher nicht im Sinne der Freiheit von den Eltern, sondern im Sinne einer Wahlfreiheit bei Studienfach und Studienort konzipiert. Zahlreiche Forschungsprojekte befassen sich mit den Determinanten der Entscheidungen der Studierenden an englischen Hochschulen.5 Diese Arbeiten betonen, dass die Wahl eines bestimmten Studiengangs stark von den Qualifikationen des/der Bewerber/in abhängt, sowie von seinen/ihren akademischen Interessen, dem vermuteten Ruf von bestimmten Kursen und Institutionen (einschließlich der Auswirkungen auf künftige Verdienste), Geschmack, Mode, sowie von den Einkünften der jeweiligen Studierenden und deren Eltern. Die Entscheidung der Studierenden ist dabei relativ preisunelastisch, obwohl die Wahl einer bestimmten Hochschule und insbesondere die Entscheidung familiennah zu studieren durchaus durch Sorgen um Kosten beeinflusst wird, insbesondere bei Studierenden aus einkommensschwächeren Familien.6

Der Fokus der Browne-Kommission und der Regierung liegt auf dem Zugang zu Informationen und nicht zu finanzieller Förderung. Damit soll die Wahlfreiheit der Studierenden erhöht werden. Diese Informationen scheinen jedoch sehr schlechte Indizien für Qualität zu sein, mit sehr groben Indikatoren wie Kontaktstunden mit Lehrkräften, Beschäftigungsquoten und Einkünften der AbsolventInnen. Letzteres ist besonders problematisch, da der Einfluss von ethnischer und sozialer Herkunft, Behinderung sowie Geschlecht auf die am Arbeitsmarkt erzielbaren Einkommen bekannt ist. Deutlich gesagt: Hochschulen, die sich besonders darum bemühen, Studierende aus einkommensschwächeren Familien zu bekommen, werden indirekt mit einem schlechteren Ruf, schlechteren statistischen Werten und der Drohung von einem sich daraus ergebenden Rückgang der TeilnehmerInnenzahlen bestraft.

Das neue Gebührensystem wird vermutlich die Polarisierung der englischen Hochschulen sowie ihre Funktion als wichtiges Instrument der sozialen Stratifizierung verstärken. Die englische Hochschulausbildung, ähnlich wie die amerikanische, kann als ein Positionsgut betrachtet werden. Der Wert eines Studienplatzes in einem bestimmten Studiengang und an einer bestimmten Institution hängt von seiner Stellung im Vergleich zu den vorhandenen Alternativen ab,7 besonders bei den elitären Institutionen "the private benefits are the places themselves (which provide lifetime status translatable into economic benefits), the networking benefits of attending those institutions, and the degree certificate itself which can be exchanged in the professional and occupational labour markets and has lasting private status value".8 Dies wird zum Beispiel durch die Versuche sämtlicher Universitäten und privater Ranking-Agenturen deutlich, Institutionen nach den Noten des A-Levels (d.h. Abitur) der StudienanfängerInnen zu messen. Insofern bestimmt der Wettbewerb um einen Studienplatz an einer bestimmten Universität deren ›Qualität‹, und nicht die Charakteristika des Bildungsganges, der dort angeboten wird.

Zunehmende Polarisierung

Im Jahr 2008/09 gab das Vereinigte Königreich 0,85% des BIP für die Hochschulbildung aus - weniger als Deutschland (0,91%), die USA (0,99%), Frankreich (1,1%) sowie die Mehrheit der OECD-Länder.9 Hierbei fällt auf, dass zahlreiche Regierungen (einschließlich der der USA) den Hochschulsektor als Faktor zur wirtschaftlichen Wiederbelebung betrachten, das Vereinigte Königreich jedoch genau umkehrt in diesem Bereich kürzt. Es war der einzige Mitgliedsstaat in der gesamten EU, der sich weigerte, ein Ziel für Forschungs- und Entwicklungsausgaben festzulegen, wie dies von der Europa 2020-Agenda verlangt wird, um die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents zu steigern.

Das neue System der Studienfinanzierung wird nicht nur zu wachsendem Druck auf den sozialen Zusammenhalt in Großbritannien führen und für eine verstärkte Polarisierung in der Gesellschaft sorgen. Es wird möglicherweise zu Mehrkosten für den Staat führen. Denn die Darlehensrückzahlungen der Graduierten werden wahrscheinlich weit niedriger ausfallen, als bei den sehr optimistischen Rechnungen der Regierung erwartet wird, da zum Beispiel das Geschlecht eine durchaus signifikantere Auswirkung auf die Bezahlung der AbsolventInnen hat, als in den Regierungsmodellen vorgesehen.

Die englischen Universitäten plädierten schon länger für die Möglichkeit, höhere Beiträge von ihren Studierenden erheben zu dürfen. Die wenigsten haben jedoch damit gerechnet, dass diese Gebührenerhöhung mit der drastischen Kürzung der staatlichen Unterstützung verbunden wird. Der Spitzenverband der britischen Universitäten wurde von diesen Kürzungen offenbar überrascht. Denn der Vorsitzende sprach davon, dass die Universitäten ein "Todestal" passieren müssten, um diese Kürzungen zu bewältigen. Kurzfristig werden die Kürzungen in den Ausgaben pro Studierenden zu einem Qualitätsverlust führen. Längerfristig liefert die Tatsache, dass das neue System der Studienfinanzierung sogar mit Mehrkosten für die Staatskasse verbunden wird, vermutlich einen Grund für die Reduzierung der Anzahl der Studierenden, obwohl es gerade die dramatische Zunahme bei den Studierendenzahlen seit dreißig Jahren ist, die einen erheblichen Erfolg des Hochschulsektors ausmacht.

Anmerkungen

1) Etwa mit dem Fachhochschulsektor in Deutschland vergleichbar

2) Alle Daten stammen von Universities UK, 2010.

3) STEM sind die ersten Buchstaben der englischen Bezeichungen Science, Technology, Engineering and Mathematics.

4) Guardian: "And still they f**k you up", 25th February 2003. Zur Frage des Familienbildes der deutschen Studienfinanzierung siehe auch den Beitrag von Jana Schultheiss in diesem Heft.

5) H. Connor u.a., 1999: Making the right choice: how students choose universities and colleges, London; Y. J. Moogan / S. Baron /. K. Harris, 1999: "Decision-making behaviour of potential Higher Education students", in: Higher Education Quarterly 53, 211-228

6) D. Reay / J. Davies / M. David / S. J. Ball, 2001: "Choices of degree or degrees of choice? Class, ›race‹ and the higher education choice process", in: Sociology 35, no.4, 855-874

7) S. Marginson, 2009: The limits of market reform in higher education. Paper presented at the Research Institute for Higher Education (RIHE), Hiroshima University, August 17[sup]th[/sup] 2009, Hiroshima

8) Ebd.

9) OECD, 2010: Education at a glance, Paris


Dr. Anneliese Dodds ist Dozentin für Politikfeldanalyse an der Universität Aston, Birmingham, in Großbritannien. Dr. Ed Turner ist Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Aston.

Zum Seitenanfang | Druckversion | Versenden | Textversion