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Klaus Holzkamp

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Jein zum Zuwanderungsgesetz?

15.04.2002: Die Entscheidung zwischen Pest und Cholera

  
 

Forum Wissenschaft 2/2002; Titelbild: B. Froomer

Die Debatte um das Zuwanderungsgesetz zeigte Merkmale, die bei einem Gesetzgebungsverfahren bisher eher unbekannt waren. Die eigens gebildete Zuwanderungskommission wurde in den meisten Fällen übergangen, Änderungsvorschläge und ihre Einarbeitung wurden zum hastigen Tagesgeschehen und am Ende war von den anfänglich geäußerten Intentionen kaum etwas übrig. Neben einer Analyse dieser Vorgänge fasst Isabel Basterra zusammen, wie die Lage nun aussieht und was zu tun ist.

Ziemlich genau zwei Jahre hat das Ganze gedauert; recht überraschend begonnen, eine ganze Zeit lang von allen Seiten hoffnungsvoll beobachtet und begleitet, am Ende recht kläglich gescheitert - oder nicht, je nach Erwartungen und Blickwinkel.

Die vorbereitete Eröffnungsrede auf der CEBIT 2000 ergänzte der Bundeskanzler Ende Februar 2000 um einige Passagen und versprach darin der Wirtschaft dafür zu sorgen, dass sie nicht durch Mangel an Fachkräften die rasante Entwicklung im IT-Bereich verpassten.1 Die meisten schienen recht überrascht über diese Spontanaussage, einige wiederum munkelten, es sei alles taktisch wohl vorbereitet und durchdacht gewesen; ganz gleich wie, eines war klar: Das Tabu des seit November 1973 geltenden "Anwerbestopps" von sog. ausländischen Arbeitskräften war gebrochen, eine erste "Greencard"2 wurde aus dem Boden gestampft.

Die Zuwanderungsdebatte war damit eröffnet. Denn die "Greencard", die nur befristet erteilt werden sollte und insofern ihrer Bezeichnung gar nicht entsprach, befriedigte nur die wirtschaftlichen Interessen eines ganz stringent abgesteckten IT-Bereichs, sodass sich sofort andere Wirtschaftsbereiche (Kranken- und Altenpflege, Gastronomie u.a.) meldeten, die ebenfalls "Greencards" bzw. zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland zu benötigen angaben. Die Gewerkschaften erinnerten wiederum an die Arbeitslosen auf dem inländischen Arbeitsmarkt und warnten vor der Gefahr von Lohndumping, die Opposition und manche Bundesländer (Bayern, Baden-Württemberg) unterstützten z.T. die Vorschläge der Wirtschaft für die Zulassung von auf bestimmte Bereiche beschränkter Anwerbung "nützlicher" AusländerInnen. Verbände und Organisationen forderten daraufhin eine längst fällige, umfassende Zuwanderungsdebatte und erinnerten dabei konkret auch an Schutzlücken3 im humanitären Bereich, da sie zu Recht eine "Verrechnung" zwischen erhöhter Zuwanderung aus rein wirtschaftlichen Interessen und der Aufnahme von Menschen aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen befürchteten.

Eines wurde endlich zum erstenmal, allerdings aus den unterschiedlichsten Interessen heraus, von allen Seiten einmütig ausgesprochen: Deutschland sei nun de facto doch ein Zuwanderungsland.

Hoffnungsvoller Anfang

Um die Debatte der theoretischen - demografischen, ökonomischen und sozialpolitischen - Zusammenhänge sowie um die rechtlichen Rahmenbedingungen dieses "Paradigmenwechsels" sollte sich eine am 17. Juli 2002 vom Bundesinnenminister einberufene Zuwanderungskommission bemühen, die nach einer tief gehenden Beschäftigung mit all diesen Fragen schnellstmöglich in einem Abschlussbericht Regierung und Parlament die Richtung für das weitere Vorgehen weisen sollte. An der Zusammensetzung der Kommission4, die nach ihrer Vorsitzenden, der ehemaligen Bundestagspräsidentin, als "Süßmuth-Kommission" in die Annalen einging, gab es kaum Kritik (nur die MigrantInnen bemängelten zu Recht, dass sie lediglich durch einen Unternehmer ausländischer Herkunft, nicht aber durch eigene Organisationen oder echte InteressensvertreterInnen in der Kommission "repräsentiert" waren).

Die Süßmuth-Kommission arbeitete sehr intensiv und kam innerhalb eines knappen Jahres auf für manche unerwartete, ja teilweise überraschend fortschrittliche Ergebnisse, die sich dann auch explizit im Abschlussbericht Ende Juni 2001 niederschlugen.5 So wurde von der Kommission u.a. empfohlen:

  • die allgemeine Anhebung der Altersgrenze für den Kindernachzug auf 18 Jahre; gegen eine Absenkung des Höchstalters (von derzeit 16 Jahren) bestünden "wegen des Vorrangs der Elternverantwortung für das Kindeswohl gegenüber einwanderungspolitischen Belangen erhebliche Verfassungsrechtliche Bedenken";
  • die Anerkennung (der "Schutzbedürftigkeit") der Opfer geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Vefolgung;
  • die Klarstellung, dass Schulen und LehrerInnen nicht verpflichtet seien, den Behörden sich "illegal" in Deutschland aufhaltende SchülerInnen zu melden, sowie
  • dass Personen und Organisationen, die sich aus humanitären Gründen um "Illegale" kümmerten, nicht in Strafverfahren gezogen werden sollten.

Bereits einen Monat nach Veröffentlichung des Berichts wurde ein erster Referentenentwurf eines Zuwanderungsgesetzes vorgestellt. Zu schnell, wie viele zu Recht meinten, als dass sich dieser Entwurf tatsächlich auf dem Bericht gründen könnte. Der Entwurf bestätigte diese Befürchtungen: Der Bericht wurde in ganz vielen Punkten einfach ignoriert, den Empfehlungen an einigen Stellen eindeutig widersprochen. Anlässlich der Vorstellung des Entwurfes stellte der Bundesinnenminister ganz deutlich klar, was bezweckt wurde: "Durch ein modernes Zuwanderungsgesetz Deutschlands Wettbewerbsfähifkeit sichern, Arbeitsplätze schaffen und die Zukunft gestalten; zugleich die Zuwanderung begrenzen, illegale Zuwanderung bekämpfen und dem Missbrauch des Asylrechts entgegen wirken."6 Weiterhin sprach er davon, der Gesetzentwurf solle die Grundlage "für eine praxisnahe, flexible und bedarfsgerechte Steuerung der Zuwanderung schaffen", wobei es "um eine bessere Steuerung der Zuwanderung und auch um eine stärkere Orientierung an den deutschen Wirtschaftsinteressen" gehe. Trotz alledem waren im ersten Augenblick fast alle Parteien (auch Bündnis 90/Die Grünen) vollauf begeistert und sprachen von dem historischen "Paradigmenwechsel" und dass mit diesem Entwurf erstmals verbindlich anerkannt werde, dass Deutschland ein Zuwanderungsland sei. Allerdings schwand die anfängliche Begeisterung ziemlich schnell, je mehr man sich mit dem Entwurf beschäftigte - der Teufel lag oftmals im Detail und im Kleingedruckten.

In einer ersten Einschätzung7 wies ich damals auf einige sehr kritische Punkte hin:

  • Entgegen den Empfehlungen der Süßmuth-Kommission war das Alter für den "allgemeinen" Kindernachzug auf 12 Jahre gesenkt und dabei ein (neues) Zwei-Klassen-Recht8 geschaffen worden.
  • Weitere Spaltungen innerhalb der Zugewanderten, ein weiteres Zwei-Klassen-Recht, wurden hergestellt, nicht nur in der Frage des Familiennachzugs, sondern auch durch die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Erteilung der (unbefristeten) Niederlassungserlaubnis oder beim Anspruch auf Integrationsleistungen. Unterschieden wurde dabei einerseits zwischen "hochqualifizierten" und sonstigen Neu-ZuwanderInnen, aber auch zwischen Neu-ZuwanderInnen und den bereits lange hier lebenden Zugewanderten.
  • Die Besserstellung der InhaberInnen des "kleinen Asyls" (Anerkennung nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK9) ging einher mit einer Schlechterstellung der Asylberechtigten (nach Art. 16a GG), und zwar bezüglich des nunmehr vorerst auf drei Jahre befristeten Aufenthaltsanspruch mit der Notwendigkeit der nochmaligen "Ratifizierung" der Asylanerkennung nach Ablauf dieser Zeit.
  • Der Bezug von - wesentlich unterhalb des BSHG liegenden - Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wurde auf weitere Personengruppen ausgeweitet.
  • Es fehlte immer noch die Anerkennung von geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung; es gab immer noch keine Härtefallregelung, wie sie seit vielen Jahren von vielen Seiten gefordert wurde.

Was daraus wurde

Je mehr sich alle Akteure mit dem Referentenentwurf beschäftigten, desto mehr gingen die Einschätzungen und somit die Forderungen nach Korrekturen auseinander. Und es begann, in Verbindung mit unsäglichen Verhandlungen innerhalb der Regierungskoalition und mit der Opposition, in einer durch den Einschnitt des 11. Septembers bedingten noch wesentlich "härteren" Atmosphäre, ein mir in dieser Form bisher nicht bekanntes Gesetzgebungsverfahren; ein regelrechtes "Geschachere", das dazu noch - eindeutig vor allem zum Nachteil der Betroffenen - in aller Breite in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde: Forderungen der Grünen nach Nachbesserungen und harte Verhandlungen innerhalb der Regierungskoalition, daraufhin ein veränderter Gesetzentwurf vom November 200110 (die Anerkennung der nichtstaatlichen und geschlechtsspezifischen Verfolgung wird erstmals in den Text aufgenommen, eine der wichtigsten "Schutzlücken" somit etwas geschlossen; der Kindernachzug wird diesmal wieder auf 14 Jahre "angehoben"). Es folgen u.a. umfangreiche Konvoluten mit Änderungsanträgen aus dem Bundesrat11, das bekannte 14-, später "16-Punkte-Papier"12 der CDU vom Januar 2002 mit "Conditio-sine-qua-non"-Charakter. Wohl als Antwort darauf gedacht kamen nun die umfangreichen Änderungsvorschläge13 der Regierungskoalition (eine allgemeine Härtefallregelung wird erstmals aufgenommen, aber auch der ausdrückliche Hinweis auf die "Begrenzung der Zuwanderung" gleich im ersten Artikel des Gesetzentwurfes und die erneute Herabsenkung des "allgemeinen" Nachzugsalters für Kinder auf 12 Jahre), dies fast am Vorabend der Verabschiedung des Gesetzes14 im Bundestag am 1. März. Der letzte Akt war die unrühmliche Verabschiedung im Bundesrat15 am 22. März 2002.

Zuletzt gehörten fast nur noch so unterschiedliche Akteure wie z.B. die CDU/CSU-Opposition und Pro Asyl zu jenen, die gegen eine Verabschiedung des Gesetzes waren. Aber es lohnt hier zu analysieren, welche widersprüchlichen Erwägungen und Einschätzungen die einen für die Annahme, die anderen für die Ablehnung haben stimmen lassen.

Die Regierungskoalition konnte den Druck nicht mehr aushalten; weiteres Nachgeben gegenüber den Forderungen der Opposition hätte den Fortbestand der Regierungskoalition ernsthaft gefährdet. Und sie wollte das Thema nicht im Wahlkampf behandeln lassen. Die Opposition war immer noch nicht zufrieden mit dem inzwischen äußerst restriktiv gefassten Text und beharrte auf ihren Forderungen (und wollte das Thema doch im Wahlkampf behandelt wissen?).16 Das Gesetz ist inzwischen unter den bekannten Umständen vom Bundesrat angenommen; die Art und Weise, wie es geschah, garantiert nunmehr, dass die Frage der Zuwanderungspolitik im Wahlkampf behandelt wird - was vor allem zu Lasten der MigrantInnen geht.

Die Arbeitgeber hatten es sehr eilig; obwohl sie hier und dort gerne eine weiter gehende Flexibilisierung des "Imports von Arbeitskräften" nach reinen Wirtschaftsinteressen gesehen hätten, so scheinen sie insgesamt zufrieden damit, dass sie nun bei Bedarf kurzfristig - befristet und nur für bestimmte Tätigkeiten - anwerben können, und andererseits sog. Hochqualifizierte aus aller Welt uneingeschränkt anheuern können.17

Die Organisationen, Verbände und NGOs waren und sind nach wie vor gespalten. Allen erschien es sehr wichtig, das sich für populistische Zwecke eignende Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Es sah zuletzt so aus, als würde vorerst jeder weitere Verhandlungsspielraum, jeder weitere Schachzug zu einer noch restriktiveren Fassung des Entwurfs führen; also schien es daher besser, die Debatte als solche vorerst abzuschließen bzw. zu "unterbrechen". Eine Ablehnung des Entwurfes hätte bedeutet, dass erst nach den Wahlen (und bei welcher Regierungskonstellation?) das Thema weiter bzw. sogar wieder neu behandelt werden könnte, und diese Perspektive schien manchen mit zu vielen Unsicherheitsfaktoren verbunden zu sein.

Eine Annahme des Entwurfes bedeutet nun, dass sich das Thema vorerst weit gehend einer Debatte entziehen wird, sodass Mängel im Gesetz bzw. noch offen stehende Forderungen zuerst einmal ad acta gelegt werden müssen.

Diese Komplexität des Szenarios hat dazu geführt, dass sich ansonsten relativ nahe stehende soziale Akteure wie der UNHCR und Pro Asyl sich in dieser Frage unterschiedlich positioniert haben. Der deutsche Vertreter des UNHCR hat die Annahme des Gesetzes begrüßt, weil für ihn besonders wichtige Punkte wie die Anerkennung der nichtstaatlichen und geschlechtsspezifischen Verfolgung in die verabschiedete Fassung des Gesetzes Eingang gefunden haben; Pro Asyl hat sich gegen die Verabschiedung ausgesprochen aus der Überlegung heraus, dass das Gesetz zu viele negative Elemente bzw. Lücken aufweist.

Das neue Zuwanderungsgesetz

Das nunmehr, vorbehaltlich des weiteren Verfahrens in Zusammenhang mit dem Abstimmungsverhalten im Bundesrat, verabschiedete Gesetz verfolgt mit seiner recht klaren Dreiteilung auch voneinander fein säuberlich zu unterscheidende Interessen:

  • Im Teil zur Arbeitsmigration wird der absolute Anwerbestopp von 1973 aufgehoben, die Regelungen orientieren sich dabei ausschließlich an den - z.T. berechtigten und verständlichen - Interessen des inländischen Arbeitsmarktes, aber vor allem an reinen Wirtschaftsinteressen. Die Interessen der Menschen, sowohl der bereits hier lebenden als auch der potenziellen ZuwanderInnen werden vernachlässigt.
  • Im Teil zur Integration ist von ersten, teilweise sehr vernünftigen Überlegungen zur längst fälligen Integrationspolitik in diesem Land nur ein Minimalanspruch an Sprach- und sog. Integrationskursen auschließlich für die Neu-ZuwanderInnen übrig geblieben.
  • Im dritten Teil, in der Debatte immer mit "humanitären" Verpflichtungen apostrophiert, obwohl es sich - wie bei der GFK oder der EMK - klar um völkerrechtliche Verpflichtungen handelt, geht es eindeutig darum, einerseits die "eindeutigen" Fälle verbindlich anzuerkennen (z.B. Besserstellung des "kleinen Asyls" nach der GFK), dafür aber andererseits mit allen anderen Flüchtlingen "entschiedener" als bisher zu verfahren (z.B. Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis bei Möglichkeit der Ausreise in ein anderes Land, Einrichtung von "Ausreisezentren", Ausweitung der Gruppe der BezieherInnen von AsylbLG-Leistungen).

Das Gesetz darf auch nicht nur nach den Elementen beurteilt werden, die es enthält, sondern auch nach jenen, die fehlen, sowie nach jenen weiteren, die im alten Gesetz bereits enthalten und Gegenstand der breiten Kritik waren, und trotzdem unverändert in das neue Gesetz übernommen worden sind.

Kritisch zu betrachten bei den enthaltenen Elementen sind u.a.:

  • das wieder aufgenommene Prinzip der Rotation bei der kurzfristigen, nur nach Wirtschaftsinteressen ausgerichteten Anwerbung von ArbeitnehmerInnen zum vorübergehenden "Ausfüllen" von Bedarfslücken auf dem inländischen Arbeitsmarkt - dies ein eklatanter Widerspruch zum erklärten Primat einer "besseren" Integrationspolitik;
  • ein neues Spaltungs- bzw. Zwei-Klassen-Element, das in Fragen wie z.B. des Familiennachzugs, des unbefristeten Aufenthaltsstatus oder des Zugangs zu Sozialleistungen, noch stärker als bisher zwischen "besseren" und "schlechteren" ArbeitsmigrantInnen und Flüchtlingen unterscheidet;
  • ein hartes Durchgreifen bei jenen Menschen, die einen nicht gesicherten Aufenthaltsstatus haben: weitere Verschärfung der Ausweisungstatbestände, erleichterte Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis bei "möglicher" Ausreise, Einrichtung von sog. "Ausreisezentren" (bei u.a. absolutem Arbeitsverbot), Schaffung einer kurzfristigen "Aufenthaltsbescheinigung" für bisher geduldete Menschen)
  • ein Unterbieten von grundgesetzlich oder völkerrechtlich festgelegten Mindeststandards, wie u.a. die weitere Herabsetzung des Alters für den Kindernachzug oder die unterhalb des BSHG liegenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Als zwei wichtige positive Elemente, die in das neue Gesetz aufgenommen worden sind, wurden bereits genannt:

  • die Anerkennung der nichtstaatlichen und geschlechtsspezifischen Verfolgung (auch wenn es sich hierbei nur um das Schließen der bekannten "Schutzlücke" gemäß der GFK und insofern lediglich um eine Klarstellung bzw. eine Selbstverständlichkeit handelt);
  • die Schaffung einer ersten, allgemeinen und seit vielen Jahren von unterschiedlichster Seite geforderten Härtefallregelung, bei der es nun darauf ankommen wird, wie deren Umsetzung durch die Bundesländer erfolgt.

Eine eklatante Lücke bleibt weiterhin bestehen: Die UN-Kinderrechtskonvention wird vor allem bei der ausländer- bzw. asylrechtlichen Behandlung von Flüchtlingskindern und -jugendlichen weiterhin verletzt. Getreu dem Motto "was nicht verändert wird, das wird schon stimmen" sind bei der Debatte vor allem - zusätzlich zu der soeben erwähnten Lücke - drei Fragen unbeachtet geblieben, die unbedingt einer erneuten Behandlung im Sinne einer "Mängelbeseitigung" hätten unterzogen werden müssen:

  • der gesamte Bereich der Abschiebehaft: ihre "Daseinsberechtigung" überhaupt, aber vor allem ihr Umfang sowie Zahl und Alter der davon betroffenen Menschen, die meist exhaustiv "genutzte" Höchstdauer und die Bedingungen des Lebens in der Abschiebehaft;
  • die immer noch - und inzwischen praktisch nur noch in Deutschland -vollkommen tabuisierte Frage der sog. Illegalen18; die Schätzungen bewegen sich inzwischen auf Millionenhöhe und es wird immer so getan, als seien es nur die, die an den "stark gesicherten" Grenzen der Bundesrepublik eingefangen werden; nicht einmal die von (fast) allen Seiten aufgestellten und auch von der Süßmuth-Kommission getragenen Minimalforderungen nach Zugang zu Bildung und Gesundheit sowie nach Straffreiheit für helfende, beratende und "involvierte" Menschen sind in das Gesetz aufgenommen worden;
  • die immer noch nicht in Frage gestellte sog. Residenzpflicht, die sowohl AsylbewerberInnen als auch Menschen mit einem sonstigen ungesicherten Aufenthaltsstatus unter Androhung von hohen Strafen (einschl. Haft) grundsätzlich verbietet, sich von ihrem Wohnort zu entfernen - z.B. um Freunde oder Verwandte in der Nachbarstadt zu besuchen oder dort (falls man darf) nach Arbeit zu suchen.

Was zu tun ist

Ob mit oder ohne Bundesverfassungsgericht, die Zuwanderungsdebatte ist vorerst gelaufen, das Gesetz steht. Drei Aufgaben stehen uns hauptsächlich bevor:

  • im Rahmen unserer - recht beschränkten - Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass der Wahlkampf in dieser Frage nicht zur schlimmsten populistischen Schlammschlacht aller Zeiten wird;
  • dass die Umsetzung dieses Gesetzes, sowohl durch den Bund (Verordnungen zum Gesetz, Ausgestaltung von Verwaltungsvorschriften) als auch durch die Länder (Erlasse zur konkreten Umsetzung bzw. Interpretation von Ermessensspielräumen) so weit wie nur möglich die restriktivsten Elemente des Gesetzes relativiert bzw. abmildert;
  • dass die noch offen gebliebenen Forderungen, die noch bestehenden Schutzlücken ebenso wie die noch vorhandenen Mängel, weiterhin Gegenstand einer permanten und konstruktiven politischen Debatte bleiben.

Anmerkungen

1) Ergänzung zur Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 23.02.2000, Homepage Archiv SPD-Fraktion

2) Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für hochqualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie (IT-ArGV) vom 11.7.2000

3) Der Bundesinnenminister hat in seinen öffentlichen Aussagen bis zuletzt das Vorhandensein von Schutzlücken in Zusammenhang mit den von der Bundesrepublik übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen bestritten.

4) 22 Mitglieder, Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und gesellschaftlichen Gruppen, s. Homepage BMI (Stichwort Zuwanderung)

5) "Zuwanderung gestalten - Integration fördern", Bericht der Unabhängigen Kommission Zuwanderung, veröffentlicht am 4. Juli 2000

6) Pressemitteilung BMI vom 03.08.2001, Zitat Schily bei Vorlage des ersten Gesetzentwurfes; weiter unten, aus Dokument "Übersicht zum ZuwG-E", 03.08.2001; beides, Homepage BMI

7) Erste Anmerkungen zum Gesetzentwurf für ein Zuwanderungsgesetz, 06.08.2001, Manuskript der Verfasserin, 5 Seiten

8) Kinder von sog. Hochqualifizierten, von Neu-Zuwanderern nach dem Auswahlverfahren, von Inhabern einer (unbefristeten) Niederlassungserlaubnis sowie von Asylberechtigten und von nach der GFK anerkannten Flüchtlingen dürfen bis zum Erreichen der Volljährigkeit nachziehen; alle anderen dürfen nur dann bis zum Erreichen der Volljährigkeit einreisen, wenn sie es zusammen mit den Eltern tun, nicht aber, wenn sie erst später nachkommen können oder möchten.

9) Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) vom 28. Juli 1951

10) Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BT-Drucksache 14/7387 vom 08.11.2001

11) Stellungnahme des Bundesrates zum o.g. Gesetzentwurf (14/7387), BR-Drucksache 921/01 (Beschluss) vom 20.12.2001

12) Ausgewählte Kritikpunkte am Zuwanderungsgesetz-Entwurf der Bundesregierung und der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, 25.01.2001, Homepage CDU

13) Änderungsanträge der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 25.2.2002 (58 Seiten) und 26.2.2002 (13 Seiten)

14) BT-Drucksachen 14/7987, 14/8046 und 14/7387, Fassung vom 01. März 2002

15) BR-Drucksache 157/02, Gesetzbeschluss des Deutschen Bundestages vom 01.03.2002

16) 16-Punkte-Papier, s.o.

17) Allerdings scheinen hier, wie damals bei der "deutschen Greencard" die Erwartungen der Wirtschaft an die Attraktivität Deutschlands als Arbeitsplatz für sog. Hochqualifizierte überzogen; von den 10.000, nach Bedarfs-Überprüfung evtl. sogar 20.000 IT-Arbeitserlaubnisse, die bei der "deutschen Greencard" in Aussicht gestellt worden waren, wurden im ersten Jahr lediglich 8.005 ausgestellt.

18) Die Bezeichnung dieser Personengruppe als "Illegale" (mit Anführungszeichen) erscheint auch nicht ideal und es besteht eine permanente Diskussion über den adäquat zu verwendenden Begriff - verwendet werden u.a. die Begriffe "Illegale" (aber "kein Mensch ist illegal"!) über "Illegalisierte" (durch gesetzliche Bestimmungen erst "illegal gewordene"), aber auch "Menschen ohne Aufenthaltsstatus", "Irreguläre", "Clandestine" u.v.m. Eine (negative) Wertung ist bei all diesen Begriffen hier nicht intendiert.


Isabel Basterra ist Diplom-Sozialarbeiterin und Geschäftsführerin des AK Asyl Nordrhein-Westfalen e.V.

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