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Klaus Holzkamp

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Da war doch noch etwas?

15.08.2009: Jenseits vorstrukturierter bioethischer Alternativen

  
 

Forum Wissenschaft 3/2009; Foto: Dieter Seitz

Ein Beitrag in Forum Wissenschaft 2/2009 – eine Replik auf zwei vorher erschienene (vgl. Fußnote 1) – hat wiederum eine Replik hervorgerufen. Susanne Schultz vermisst einiges in der Replik auf ihren und einen weiteren Forum-Wissenschaft-Beitrag.

Worum geht es politisch bei der Pränataldiagnostik? Und warum wollen wir uns damit nicht abfinden? In dieser Replik auf Dominik Dübers Kritik1 möchte ich nicht wiederholen oder näher ausführen, welche Gründe meines Erachtens sehr wohl weiter dafür sprechen, von Eugenik und Diskriminierung zu sprechen; dazu ist schon Vieles gesagt. Vielmehr stelle ich die Frage, welche politischen Projekte hinter den kontroversen Positionen stehen.

Drei Tatsachen

Dreierlei bestreitet heute niemand ernsthaft: Erstens: Pränataldiagnostische Untersuchungen dienen vorrangig der Selektion. Das heißt, sie ermöglichen in den allermeisten Fällen keine therapeutischen Maßnahmen, um den Gesundheitszustand der schwangeren Frau oder des Embryo bzw. Fötus zu verbessern. Zweitens: Die Diagnostik zielt auf die Selektion bestimmter Eigenschaften ab, die inzwischen im Gendiagnostikgesetz auch gesetzlich festgelegt sind und dort als „medizinisch“ im Unterschied zu „nicht-medizinisch“ zusammengefasst sind. Das heißt, die aktuelle Praxis beruht auf einer klaren Trennlinie zwischen dem, was selektiert werden darf – nämlich Eigenschaften, die als Krankheiten oder Behinderungen gelten –, und dem, was nicht selektiert werden darf – Eigenschaften wie Geschlecht, Hautfarbe oder andere als „nicht-medizinisch“ geltende Charakteristika, die die Diagnostik heute oder in Zukunft beansprucht, vorhersagen zu können. Drittens: Diese selektive Pränataldiagnostik ist bereits normalisiert und expandiert auch weiter. Normalisiert ist sie, insofern heute 85 Prozent aller Schwangerschaften in Deutschland einen solchen Qualitätscheck durchlaufen und 80 bis 90 Prozent aller „positiven Befunde“ zu einem Schwangerschaftsabbruch führen. Der Markt der diagnostischen Angebote differenziert sich weiter aus – die Tendenz: genauere, zeitlich früher ansetzende und weniger invasive Tests.

Wir haben es insofern mit einer verfestigten Praxis zu tun, der die Diskriminierung, nämlich die Bewertung bestimmter menschlicher Eigenschaften als nicht erwünscht, und die aktive Verhinderung der Geburt von Menschen mit diesen Eigenschaften inhärent ist. D.h.: Die Diskriminierung ist aus dieser Praxis selbst ablesbar. Es bedarf keiner technikdeterministischen Argumentation, um dies in der aktuellen gesellschaftlichen Praxis der Pränataldiagnostik zunächst einmal feststellen zu können.

Gleichzeitig ist diese Praxis in höchstem Maße widersprüchlich und konfliktreich, sobald wir die Gefühle, Motivationen, Argumente, Interessen und auch marktwirtschaftlichen Rationalitäten der verschiedenen AkteurInnen in den Blick nehmen, die an diesen Praktiken aktiv teilnehmen, von ihnen betroffen sind oder sich zu ihnen politisch positionieren. Es ist genauso wenig zu bestreiten, dass die Praxis der Pränataldiagnostik auf verschiedene gesellschaftliche Grundstrukturen verweist, die sich in ihr durchkreuzen. Mindestens drei große Achsen sind zentral: die Diskriminierung von Behinderung, die Privatheit und geschlechtsspezifische Formiertheit von Sorgearbeit und schließlich die expandierende gesundheitspolitische Logik individueller Risikoprävention.

Feministische und antieugenische Kritik – Verbindungen

Welche politische Haltung können wir zu dieser Situation entwickeln? – Margaretha Kurmann (so spreche ich jetzt einmal ohne Absprache auch für sie) und ich kommen aus einer sowohl feministischen als auch antieugenischen Geschichte sozialer Bewegungen und emanzipatorischer Gesellschaftskritik, die sich mit der beschriebenen Entwicklung nicht einfach abfindet. Wir können uns nicht abfinden, weil wir es hier mit der Abwertung von Menschen und der Verweigerung von deren Existenzberechtigung zu tun haben, eben weil sie bestimmten gesellschaftlich vorherrschenden körperlichen oder geistigen Normen nicht entsprechen. (Nur am Rande: Es ist präferenzutilitaristischer Unsinn, die Verhinderung der Existenz eines Menschen aufgrund bestimmter Eigenschaften mit der Verhinderung von Krankheiten bei einem lebenden Menschen gleichzusetzen. Das ist etwas ganz prinzipiell Verschiedenes.) Wir können uns aber auch deswegen nicht abfinden, weil wir aus einer feministischen Geschichte kommen, die sich immer klar gegen einen paternalistischen staatlichen Zugriff auf die Sexualität und Körper von Frauen positioniert hat, damit aber weit mehr als eine technologische Wahlfreiheit in Verbindung gebracht hat. Es gilt: Die Forderung nach Autonomie und die Kritik gesetzlicher Verbote und staatlicher Bevormundung etwa durch die Pflichtberatung schwangerer Frauen rennen bei uns offene Türen ein – das ist nicht der Punkt. Aber es ist eben auch lange nicht genug.

Denn unsere Überlegungen verweigern und überschreiten die angebotene Alternative, innerhalb der gegebenen Verhältnisse entweder für eine Individualisierung der Verantwortung oder für eine paternalistische Betreuung bzw. gar staatliche Verbote votieren zu müssen. Unsere Überlegungen verlassen bewusst diese ausgetretenen bioethisch vorstrukturierten Pfade, innerhalb derer sich auch die Argumentation von D. Düber bewegt.

Unsere Kritik bezieht sich vielmehr auf einen gesellschaftskritischen Fluchtpunkt und nährt sich von einer utopischen Phantasie dessen, was möglich sein könnte. Diese Perspektive erinnert jenseits des offensichtlichen, aber auch vordergründigen Konflikts zwischen feministisch begründeter individueller Autonomie und antieugenischer Kritik an etwas sehr viel Stärkeres, Verbindendes zwischen feministischen und antieugenischen Positionen. Dies macht es zu einem kohärenten politischen Projekt, Ja zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch und zugleich Nein zur Selektion in der Pränataldiagnostik zu sagen.

Das Verbindende ist zunächst einmal die Kritik an dem biologisierenden medizinischen Wissen, das nicht normgerechte Körper und nicht angepasste und funktionstüchtige Lebensweisen pathologisiert und gesellschaftliche Diskriminierung auf diese Körper zurückführt, mit ihnen begründet und auf sie reduziert. Dieser pathologisierende Blick durchzieht auch die medizinische Geschichte des Blicks auf den weiblichen Körper als den vom männlichen Normkörper abweichenden. In der feministischen ebenso wie in der antieugenischen Kritik verbindet sich diese Aufmerksamkeit für den nicht normgerechten und auch für den bedürftigen, gebrechlichen oder kranken Körper mit der Frage, welchen gesellschaftlichen Platz wir diesem Körper einräumen. Sowohl für antieugenische als auch feministische Kritik ist die Frage zentral, wie Sorgearbeit in dieser Gesellschaft organisiert ist, auch wenn diese Frage aus unterschiedlichen Perspektiven gestellt wird. Verbindend ist die banale, aber immer wieder aus dem Politischen verbannte Erkenntnis, dass unser Leben zu einem Großteil nicht von einem Zustand geprägt ist, in dem wir selbstständig, erwachsen, gesund und arbeitsfähig sind – kurz: in dem wir alleine klarkommen –, sondern dass wir einen Großteil unseres Lebens auf Unterstützung durch andere angewiesen sind. Der Boom der Pränataldiagnostik beruht auf dem trügerischen Versprechen, durch die geplante Verhinderung des Lebens mit einem „behinderten“ Kind nicht mehr durch Sorgearbeit behindert zu werden. Pränataldiagnostik verspricht – und dies ist schon individuell oftmals ein Trugschluss, gesellschaftlich aber völlig abwegig –, dass die unterstützende und immer noch vorrangig Frauen zugeschriebene Sorgearbeit vermeidbar, reduzierbar und planbar wird. Gehen wir einmal davon aus, dass es oft nicht um eine Ablehnung „behinderter“ Menschen geht (vorsichtiger würde ich anmerken, zumindest nicht um eine explizite und / oder prinzipielle. Zudem bezweifele ich dabei keinesfalls die Studien über vielfältige Motivlagen von Schwangeren, die sich für Pränataldiagnostik und selektive Abtreibung entscheiden). Dann ist die Frage der Organisation des Zusammenlebens und der Sorgearbeit eine zentrale; sie wird aber gerade durch die technischen Lösungsversprechen der Pränataldiagnostik nur verdrängt und individualisiert. Genau diese Verlogenheit des Programms der Pränataldiagnostik weisen feministische ebenso wie antieugenische Positionen zurück, wenn sie zeigen, dass Pränataldiagnostik weder den nicht normgerechten und abhängigen Körper aus unserem Leben verbannt noch etwas an der grundsätzlichen Frage ändert, wie die Sorge für andere in unserer Gesellschaft besser und anders organisiert sein sollte.

Jenseits des bioethischen Settings

Schön und gut, aber was heißt das für einen aktuellen politischen Umgang mit der beschriebenen Situation der Pränataldiagnostik? Sicher ist: Einfache Antworten gibt es nicht. Es gibt keine Alternative in der Form neuer gesetzlicher Verbote oder besserer institutionalisierter Beratungsszenarien. Wichtig ist vielmehr, die existierenden Formen des Zusammenlebens und die Projektionen auf bestimmte körperliche Zustände als vermeidbar in Frage zu stellen. Es gilt, andere Formen der Organisation von Sorgearbeit einzufordern und den jetzt dominierenden entgegenzusetzen sowie die vielen Momente der Körperlichkeit sichtbar zu machen, die nicht dem funktionstüchtigen, normgerechten Zustand entsprechen.

Sicher ist auch: Es geht nicht darum, dem behinderten Kind als „maximalem Störfall“ – so Beck-Gernsheim etwas zynisch angesichts des heutigen ökonomischen Drucks auf Frauen, ihre Erwerbsbiographie stringent zu planen – das Ideal eines „Sonnenschein“-Kindes entgegenzusetzen, das von einer aufopferungsvollen Mutter begeistert umsorgt wird.2 Die konservative Kritik an Pränataldiagnostik propagiert letztendlich auch nur auf der individuellen Ebene eine andere „richtige“ und „verantwortliche“ Entscheidungsoption und politisiert nicht die Problematik der geschlechtsspezifisch organisierten Sorgearbeit.

Sicher ist somit auch, dass es uns – M. Kurmann und mir – nicht um den zur schwangeren Frau ausgestreckten moralischen Zeigefinger geht, der in die unmögliche Entscheidungssituation der Pränataldiagnostik bereits hineinmanövriert wurde, sondern um ein offenes Benennen, worum es eigentlich geht und was das Szenario verdrängt. Denn dies ist eine gesellschaftspolitische Frage, die alle angeht.

Konkreter haben feministisch und antieugenisch motivierte Kritiken an Pränataldiagnostik immer wieder betont, dass sie nicht die indviduelle Nachfrage nach Pränataldiagnostik innerhalb der gegebenen Bedingungen zum Hauptproblem erklären. Angriffspunkt ist vielmehr die gesellschaftliche Angebotsstruktur. Diese reicht von der Wissensformation, in der Behinderung als medizinische und nicht als gesellschaftliche Frage des Zusammenlebens erscheint und deswegen als technisch vermeidbar propagiert wird, bis zu den Marktkräften, die hinter der schnellen Expansion pränataldiagnostischer Angebote als privatisierte „Individuelle Gesundheitsleistungen“ (IGeL) stehen. Neben der Organisation von Sorgearbeit fördert auch ein zunehmend ökonomisiertes Gesundheitssystem, das auf der Idee der individuellen Risikoprävention aufbaut, die Dynamik der Pränataldiagnostik. Auch hier gibt es nicht einen, sondern viele Ansatzpunkte, um die Dynamik der PND zu bremsen.

Zugegeben, keine einfachen Antworten. Aber eine Gegenfrage: Welches politische Projekt verfolgt eine bioethische Diskussion, die genau diese Fragen nicht stellt, sondern immer wieder dieselben Argumente bringt und diese damit auch nicht wahrer macht, nämlich dass es bei Pränataldiagnostik nicht um Eugenik und nicht um Diskriminierung gehe? Was mögen die Beweggründe für das Kritik-Bashing sein, wie wir es in D. Dübers Replik formuliert finden? Zum einen scheint ein im obigen Sinne phantasieloser Pragmatismus auf, der die Alternativen, um die es geht, eben auf technische Optionen, Gesetze und individuelle Beratungsszenarien reduziert und der sie für richtig, weil unumkehrbar, erklärt. Zum anderen zeigt sich hier als leitendes Motiv eine Abwehrhaltung, die darauf abzielt, die Kritik an Pränataldiagnostik abzuwerten und zu diskreditieren, um sozusagen aktiv das Hegemoniale zu verteidigen. Nur so zumindest kann ich mir die geradezu Orwell’sch anmutenden Euphemismen erklären, mit denen D. Düber im Anschluss an die in dieser Diskussion omnipräsenten Oberbioethiker3 bemüht ist, die drei oben genannten Tatsachen als eine Situation der Diskriminierung zu leugnen. Auf jeden Fall aber fehlt dieser Kritik eine Vision und das offene Fragen danach, wie eine andere Welt möglich sein könnte.

Anmerkungen

1) Liberale Eugenik oder Paternalismus? Ethische Probleme im Kontext von Pränataldiagnostik, Forum Wissenschaft 2/2009, S.52-55. Replik auf S. Schultz, Der besondere Körper. Individuum und Bevölkerung – Eugenik und Selektion, sowie M. Kurmann, Hauptsache Beratung. Vorgeburtliche Untersuchungen: Autonomie, Information, Verantwortung? Forum Wissenschaft 4/2008, S.22-26 bzw. 27-31.

2) Vgl. Beck-Gernsheim, Elisabeth (2008): Der kontrollierte Embryo, Vortrag auf dem Kongress: „Da stimmt doch was nicht ...“ am 29.2.-1.3.08 in Dresden, in: Kongressdokumentation (Hrsg.: Arbeitskreis [AKF e.V.]), S.28-36; vgl. auch Lux, Vanessa (2008): Von „Monstern“ und „Sonnenscheinchen“. Umgang mit dem Risiko, in Das Argument, Nr. 275, Heft 2/2008, S.235-240.

3) Z.B. van den Daele oder Birnbacher.


Dr. Susanne Schultz ist Redakteurin des Gen-ethischen Informationsdienstes und betreut im Gen-ethischen Netzwerk den Bereich Mensch und Medizin.

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