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Klaus Holzkamp

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Verstärkt die Finanzkrise die Klimakrise?

15.05.2009: Oder: Klimaziele für Bankensanierung aufgeben?

  
 

Forum Wissenschaft 2/2009; Foto: Thomas Plaßmann

Hausgemacht sind beide Krisen. Auch wenn ihre Ursachen nicht identisch sind, so doch von gleicher Art. Gerhard Scherhorn zeigt, was sich aus ihrem Zusammenhang und aus der einen für den Umgang mit der anderen lernen lässt.1

Die Klimakrise ist aus der Übernutzung des Gemeinguts "fossile Energiequellen" seit den 1950er Jahren entstanden,2 die Finanzkrise aus der Übernutzung des Gemeinguts "Finanzmärkte" seit den 1970er Jahren. Die Finanzkrise kann den Klimawandel verstärken, wenn die zur Belebung des Kreditverkehrs mobilisierten staatlichen Gelder im Verlustausgleich für das Finanzkapital enden, das die Krise bewirkt hat; es wird seine Positionen bereinigen, aber nicht investieren, und den Regierungen wird zu wenig Spielraum für Klimaprojekte bleiben. Eine Chance für nachhaltige Entwicklung entsteht nur, wenn die Sanierung insolventer Banken auf marktkonformem Weg erreicht wird, z.B. durch Umwandlung privater Schulden in Eigenkapital, so dass die neuen Staatsschulden (auch) der Eindämmung des Klimawandels dienen können.

Was hat die Finanzkrise verursacht?

Was die Welt in die Finanzkrise geführt hat, war eine Aufblähung des privaten Geldschöpfungspotenzials. Geld wird ja nicht nur von den Zentralbanken geschaffen, sondern in Gestalt von Krediten auch von den Banken. Je weniger Eigenkapital diese dafür in Reserve halten müssen und je unkontrollierter sie ihre Verpflichtungen an andere Finanzmarktakteure abschieben können, um für immer neue Kredite frei zu werden, desto weiter kann die gesamte Geldmenge über die Summe hinausgehen, die zur Abwicklung realer Transaktionen gebraucht wird.

Möglich wurde die Aufblähung durch die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, die sich ab Ende der 1979/80er an die schon seit Anfang der 70er praktizierte Deregulierung marktkontrollierender Vorschriften anschloss. Manche der Vorschriften, zumal die noch aus dem 2. Weltkrieg stammenden, hatten sich als revisionsbedürftig erwiesen,3 andere waren ideologisch und politisch unerwünscht,4 ideologisch, weil sie den Glaubenssätzen der "neoliberalen" Ökonomen (Wortführer Friedrich v. Hayek und Milton Friedman) über den Vorrang des Individuums und die Überlegenheit des Marktes nicht entsprachen, politisch, weil sie die Regierenden (Thatcher und Reagan an der Spitze) an der Schwächung der Gewerkschaften hinderten und dem Machtanspruch der Wirtschaftsoligarchie5 im Weg standen.

Die Liberalisierung sollte das Finanzkapital von Restriktionen befreien. Im Glauben an die Selbstregulierungskraft der Märkte wurden aber auch Kontrollen beseitigt, die z.B. die Verschleierung von Risiken verhindert hatten. Man verzichtete auf nationale Genehmigungspflichten und Qualitätskontrollen für neue Anlageprodukte (Derivate) und neue Akteure (Hedgefonds, Private Equity Fonds), ohne sie durch internationale Transparenzvorschriften und Risikogrenzen zu ersetzen. Finanzgeschäfte außerhalb der Börsen und Bankgeschäfte außerhalb der Bilanzen wurden leichter möglich, Veräußerungsgewinne wurden steuerbefreit, Mehrfach- und Höchststimmrechte abgeschafft, Spielräume für Aktienrückkauf und variable Managervergütungen erweitert. Und gleichsam als Krönung hat die US-Zentralbank seit den 1990er Jahren eine Politik extrem billigen Geldes mit Diskontraten von 2 bis 1% betrieben.

Das Ergebnis war, dass sich von 1983 bis 2001 der Tagesumsatz auf den internationalen Finanzmärkten von 2,3 Mrd. auf 130 Mrd. $ erhöhte, auf mehr als das 50fache. 2001 wurden von den 130 Mrd. weniger als 3 Mrd. $ gebraucht, um den internationalen Handel und die Investitionen in die reale Produktion abzuwickeln. Alles andere waren reine Finanztransaktionen, Spekulationen mit Devisen und Derivaten vor allem, Wetten auf die Zukunft also, in der Gegenwart aber überwiegend auf Kredit abgeschlossen. An ihnen beteiligten sich auch die Unternehmen der produzierenden Wirtschaft. Die Gewinne auf den Kapitalmärkten überwucherten die Gewinne aus der Produktion.

Man darf diesen Hergang nicht vergessen, denn er zeigt, wer für die Finanzkrise die Verantwortung trägt: Die Regierungen, denn sie haben die Kontrollen gelockert und die Gier der Akteure in Banken und Fonds freigesetzt, die heute soviel Abscheu erregt; und die Think Tanks der Neoliberalen und der Wirtschaftselite, denn sie haben den Regierungen und der Öffentlichkeit das Argument von der wirtschaftlichen Unfähigkeit des Staates geliefert. Das gilt nicht nur für UK und USA und nicht nur für die Finanzmärkte; auch auf die Vorspiegelungen der Public Private Partnership und des Cross Border Leasing sind so gut wie alle Industrieländer hereingefallen,6 und auch am Standortwettbewerb haben sich alle beteiligt, der mit hohen Steuerprivilegien für hohe Einkommen dafür gesorgt hat, dass die meisten Staaten schon vor der Finanzkrise in die Überschuldung steuerten.7

Wie wird die nächste Finanzkrise vermieden?

Das Ergebnis ist verheerend. Die ausufernden Renditeforderungen des Finanzkapitals haben die real produzierenden Unternehmen zu verstärkter Externalisierung von Kosten gezwungen und dadurch den Verzehr des Natur- und Sozialkapitals beschleunigt; sie haben eine Vermögensinflation verursacht, die Schere zwischen den oberen und unteren Einkommen weit geöffnet, den Anteil marginalisierter Arbeitskräfte erhöht, die Überschuldung der Staaten gesteigert - und all das im Glauben an die Selbstregulierungskraft der Märkte.

Dieser Glaube wird durch die Finanzkrise ad absurdum geführt. Sie beweist, dass Märkte nur funktionsfähig sein können, wenn die Marktteilnehmer/innen durch Regeln und Kontrollen daran gehindert werden, den Gemeingutcharakter des jeweiligen Marktes zu missbrauchen. Ähnlich wie die sprichwörtlichen Gemeindewiesen, auf die die einzelnen Nutzer insgesamt zu viele Kühe treiben, werden Finanzmärkte "übernutzt", wenn es Finanzakteuren möglich ist, sich in einer Weise zu bereichern, die die gesamtwirtschaftliche Funktion dieser Märkte beschädigt. Um das für die Zukunft zu verhindern,8

  • müssen die Zentralbanken bei der Geldmengensteuerung neben der Entwicklung der Konsumgüterpreise die Kurse der Finanzprodukte im Auge haben; denn auch eine Vermögensinflation muss frühzeitig verhindert werden.
  • Das Geldschöpfungspotenzial der Finanzmärkte muss wirksam eingegrenzt werden. Die Eigenkapitalunterlegung nach Basel II muss auch für Kredite an Staaten mit hoher Bonität gelten. Sie muss auch beim Kauf von Derivaten greifen, bei Leerverkäufen und erst recht bei Firmenübernahmen: Diese dürfen nur möglich sein, wenn sie überwiegend aus dem Eigenkapital der übernehmenden Gesellschaft erfolgen.
  • Die Banken- und Börsenaufsicht muss erweitert und intensiviert werden. Alle Finanzmarkt-"Innovationen" müssen bei den Aufsichtsorganen melde- und genehmigungspflichtig werden. Darüber hinaus ist eine wirksame internationale Aufsicht erforderlich. Solange sie nicht besteht, muss die jeweilige nationale Bankenaufsicht Geschäfte mit "offshore" residierenden Akteuren begrenzen und auch ganz untersagen können. Geschäfte außerhalb der Bilanz müssen den gleichen Regeln unterliegen und der gleichen Aufsicht unterworfen sein wie die bilanzierten Geschäfte.
  • Die Finanzmarktakteure - Banken, Pensionsfonds, Hedgefonds, Staatsfonds, Private Equity-Gesellschaften etc. - müssen zur Transparenz aller eingegangenen Risiken verpflichtet werden. Die Gewinnminderung durch konzerninterne Verrechnungspreise und Kreditzinsen muss strengen Regeln unterliegen und darf steuerlich nicht anerkannt werden, wenn sie zur Verschiebung von Gewinnen in Niedrigsteuerländer führt.
  • Finanzmarktakteure müssen für ihre Fehler haften, auch die Verantwortlichen in Banken. Wenn Boni ausgezahlt werden, so erst nach der vollständigen Abwicklung des Geschäfts. Staatliche Liquiditätshilfen müssen von den nutznießenden Instituten später so ausgeglichen werden, dass kein Nachteil für die Steuerzahler/innen verbleibt. Um der destabilisierenden Wirkung kurzfristiger spekulativer Finanztransaktionen entgegenzuwirken, muss eine Finanztransaktionssteuer erhoben werden.
  • Die Bezieher/innen hoher und höchster Einkommen dürfen nicht länger durch Absenkung der Steuerprogression entlastet werden. Ihre Tendenz zur Verlagerung von Vermögen in Länder mit Steuerprivilegien muss wirksam vereitelt werden. In Europa erfordert dies politische Abmachungen mit Ländern wie Belgien, Luxemburg, Liechtenstein, Österreich, Irland, Schweiz und vor allem dem UK, dessen privilegierte Behandlung von non-domiciled residents im Verein mit der Steuerbefreiung auf Jersey, Guernsey, Sark, der Isle of Man, den Cayman und Virgin Islands sowie den Bermudas den Bankplatz London zum größten "Steuerparadies" der Welt gemacht hat.
  • Wer soll die Verluste tragen?

    Die Aufblähung der Geldmenge muss rückgängig gemacht werden, ohne dass man die Blase platzen lässt. Die dubiosen Immobilienkäufer zum Beispiel haben immerhin ihr Vertrauen investiert, die leichtfertigen Kreditgeber haben ihnen die Verschuldung aufgedrängt und sind nicht weniger verantwortlich für die drohende Insolvenz wie sie. Besser als der Totalverlust ist es allemal, beide an der Sanierung zu beteiligen: Die Kreditgeber müssten die Laufzeit strecken und die Konditionen ermäßigen, die Kreditnehmer müssten die Immobilie an einem Energiespar- und Klimaschutzprogramm orientieren, beide müssten etwaige staatliche Überbrückungshilfen zurückzahlen, auch wenn es lange dauert. Nach diesem Prinzip kann man auch manche anderen spekulativen Geschäfte, statt sie platzen zu lassen, zukunftsfähig umpolen.

    Stattdessen wird die politische Diskussion von Vorstellungen wie der eines Troubled Assets Relief Program (TARP) beherrscht, durch das der Staat den Banken die faulen Schuldverschreibungen abkauft oder das Ausfallrisiko abnimmt. Beides läuft auf eine Entlastung des Finanzkapitals hinaus. Es darf auf der Ersatzbank Platz nehmen, bis die Staatsfinanzen das Spiel gewendet haben, und braucht sich erst wieder zu beteiligen, wenn keine Verluste mehr drohen. Das legt die Saat für die nächste Krise, so wie es selbst bereits die Konsequenz des vorigen Freikaufs (bailout) ist, den die US-Zentralbank vor 10 Jahren für den insolventen Hedgefonds LTCM organisierte. Damals festigte sich die Erwartung, dass der Staat im Krisenfall einspringen würde, und die Bereitschaft zur Aufnahme riskanter Kredite stieg noch weiter. In der ersten Phase von TARP, der staatlichen Kapitalbeteiligung und Bürgschaft zum Freikauf der Citigroup 2008, haben die amerikanischen Steuerzahler/innen den Investoren der Bank 108 Mrd. $ geschenkt; im zweiten Freikauf legten sie noch einmal 60 Mrd. $ drauf; doch auch danach hat die Bank ihre volkswirtschaftliche Aufgabe, der realen Produktion und dem Zahlungsverkehr Kredite zur Verfügung zu stellen, nicht wieder aufgenommen.9

    Der Staat müsste diesen Weg nur gehen, wenn es keinen besseren Weg gäbe, Schlimmeres zu verhüten. Es gibt bessere Wege, doch werden sie anscheinend von der Politik nicht zur Kenntnis genommen. Luigi Zingales von der University of Chicago hat vorgeschlagen, der Gesetzgeber möge die Verluste der Main Street minimieren, indem er für die gefährdeten Immobilienkredite ein Zeitfenster zu Neuverhandlungen öffnet, in denen die Kreditgeber den Kreditnehmern einen kleineren Teil der Schuld erlassen, um den größeren zu retten; denn der Erlös einer Zwangsversteigerung würde gegenwärtig weit unter der Kreditsumme liegen. Den Schuldnern, die ja nicht alle insolvenzgefährdet sind, sollte diese Möglichkeit als kurzfristig geltende Option eingeräumt werden, während die Kreditgeber verpflichtet werden müssten, ihre Forderungen um den Prozentsatz zu ermäßigen, in dem laut der verfügbaren Statistik die Immobilienpreise gesunken sind.10

    Das wäre ein Schuldenerlass, durch den ein Teil der Hypothekenschuld in das Eigenkapital des Hausbesitzers überginge. Nach dem gleichen Prinzip des Transfers von Schulden in Kapital können auch die Finanzen der Wall Street gesunden, ohne dass die Steuerzahler/innen die Zeche begleichen müssen. Der Gesetzgeber müsste ein besonderes Verfahren einführen, das es insolventen Banken ermöglicht, auf der Passivseite ihrer Bilanz Anleihen und in gewissem Umfang auch kurzfristige Einlagen in Eigenkapital zu verwandeln. Die Eigenkapitalunterlegung ihrer Kredite und damit die Grundlage für künftige Kreditvergabe würde vergrößert, und um eine Abwanderung der Inhaber kurzfristiger Ansprüche abzuwehren, würden die sanierungsbedürftigen Banken sich dem Verfahren freiwillig unterwerfen. Den bisherigen Aktionären könnte die befristete Option angeboten werden, den Anleihe- bzw. Einlagengläubigern die zu transformierenden Schuldverschreibungen abzukaufen, wenn es ihnen lohnend erscheint, ihren entwerteten Anteil am Unternehmen wiederaufzufüllen.11

    Will man stattdessen die Idee der Auslagerung schlechter Risiken in "Bad Banks" weiterverfolgen, so sollte das nach einem Muster geschehen, das 1988 schon einmal bei der Restrukturierung der Mellon Bank angewandt worden ist: Eine gefährdete Bank wird im Verhältnis ihrer guten und schlechten Risiken - sagen wir: 70 zu 30 - in zwei Banken geteilt, und zwar so, dass jede Position auf der Aktiv- und jede auf der Passivseite der Bilanz im Verhältnis 70:30 geteilt wird; die Bad Bank übernimmt also auch einen Teil jedes guten und die Good Bank einen Teil jedes schlechten Anspruchs. Jeder Anteilseigner hat dann also im Verhältnis 70:30 Aktien der Guten und der Schlechten Bank, und so haftet jeder in diesem Verhältnis für die von der Bank eingegangenen Risiken. Kommt es zur Insolvenz schlechter Banken, so wird das die Gesamtwirtschaft nicht belasten, von den Aktionären verkraftbar sein und die Steuerzahler/innen weit weniger kosten als das TARP. Und die guten Banken werden aus eigener Kraft saniert, können wieder Kredite geben und für Kapitalgeber attraktiv sein; wenn dennoch die Regierung einspringen muss, so nicht um die Investoren zu subventionieren, sondern allein um das Kreditgeschäft anzukurbeln.12

    Auch für diesen Weg ist ein Gesetz notwendig, das das Verfahren regelt und dafür sorgt, dass es gerecht zugeht, z.B. dass nicht die Aktionäre gewinnen und die Fremdkapitalgeber verlieren. Aber beide Wege sind marktkonform, und sie sind besser als das Verteilen riesiger Geldsummen an diejenigen, die die Verluste der Banken und Fonds verantworten und sie folglich auch tragen sollten. Beide belasten die Steuerzahler/innen weniger, bringen das Bankensystem schneller wieder in die Funktionsfähigkeit zurück und setzen das richtige Signal: Für Verluste am Markt haften die Marktpartner auch künftig selbst.

    Chancen für die Klimapolitik?

    Wenn darüber hinaus die Kreditgeber veranlasst werden, Kredite für Immobilien oder Investitionen nur unter der Bedingung zu vergeben, dass die Kreditnehmer sich an einem Energiespar- und Klimaschutzprogramm orientieren, werden spekulative Geschäfte, statt sie platzen zu lassen, zukunftsfähig umgepolt. Dadurch wird nicht nur vermieden, dass andere mit in einen Abwärtsstrudel gerissen werden, sondern vielleicht sogar bewirkt, dass sie von einem Aufwärtsimpuls profitieren.

    Über die Stärke des Wachstumsimpulses darf man sich zwar keinen übertriebenen Erwartungen hingeben. Die Industrieländer sind nun einmal in der Phase der Dienstleistungen angelangt,13 schon die Deregulierung der Finanzmärkte war im Grunde der kurzsichtige Versuch, die Verlangsamung des industriellen Wachstums zu kompensieren. Es geht jetzt darum, der realen Produktion die Neuorientierung zu vermitteln, die vom Energiesparen, von dezentraler Produktion solar generierter Energie, von kreislaufförmiger Wiedergewinnung verbrauchter Stoffe, von einer Erhaltung und Auffrischung der CO2-Senken (Wälder, Feuchtgebiete usw.), von der Angleichung der Bildungschancen u.v.a. ausgehen könnte. Diese Anstöße können zwar bei einzelnen Unternehmen, aber nicht in der Gesamtwirtschaft einen annähernd so starken Wachstumsschub verursachen, wie ihn die Rekonstruktionsperiode nach dem 2. Weltkrieg gebracht hat. Jener Schub ging auf Kosten der Umwelt, der heutige muss zum Nutzen der Umwelt ausgehen. Der Überschwang der Nachfrage, der die erreichte Verminderung des Ressourcenverzehrs wieder zunichte macht ("Rebound-Effekt"), muss auch deshalb verhindert werden, weil die hohe Staatsverschuldung noch jahrelang mit Inflationsgefahren verbunden sein wird.

    So muss nun vieles an den Rahmenbedingungen der Wirtschaft an die Erfordernisse der nachhaltigen Entwicklung angepasst werden. Banken müssen gezwungen werden, bei Krediten auf die Einhaltung von Klimaschutz- und anderen Nachhaltigkeitszielen zu achten. Unternehmen müssen durch Anpassung der Wettbewerbsgesetze14 verpflichtet werden, die Externalisierung von Kosten auf Umwelt und Gesellschaft zu vermeiden. Nachhaltige Entwicklung erfordert Externalisierung von Nutzen, nicht von Kosten! Investoren müssen "geduldiges Kapital" - Kapital mit maßvoller Rendite - zur Verfügung stellen; das Kapitaleigentum muss in die Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 einbezogen werden.15 Dabei wird es nicht ohne negative Anreize abgehen, damit die Deflationstendenz verhindert wird, die kurzfristig eine große Gefahr darstellt. Das Horten von Kapital darf nicht dadurch attraktiv werden, dass das Sinken der Preise dessen Wert erhöht; vielleicht muss dem durch Negativzinsen entgegengesteuert werden.

    Kurz, wir werden uns darauf einstellen müssen, dass nachhaltige Entwicklung nicht mit den Regeln und Verfahren zu haben ist, die den Substanzverzehr der vergangenen Jahrzehnte hervorgebracht haben. Chancen für den Klimaschutz ergeben sich aus der Finanzkrise nur, wenn deren Wiederkehr unmöglich gemacht wird. Wir werden auch erkennen müssen, dass die Konkurrenz von Volkswirtschaften unterschiedlichen Entwicklungsstandes ein Zusammenwirken von Globalisierung und Regionalisierung notwendig macht, nämlich keinen Protektionismus, sondern eine wirksame Verhinderung außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte, des deutschen Exportüberschusses ebenso wie des amerikanischen Leistungsbilanzdefizits, wie Keynes sie 1944 in Bretton Woods angestrebt hat. Und vor allem sollten die staatlichen Mittel, die man durch eine marktkonforme Sanierung der Finanzmärkte einspart, der schnelleren Erschließung der solaren Energiequellen, aber auch der Funktionsfähigkeit der lebenswichtigen CO2-Senken zugute kommen: Die Regenwälder müssen erhalten, die Wüsten und Moore rekultiviert werden, wenn die Klimaerwärmung bis Mitte des Jahrhunderts gestoppt werden soll. Dafür ist viel staatliches Geld nötig; es kann nicht zweimal ausgegeben werden. Es für die Sanierung der Bankbilanzen zu verschwenden, statt dafür den Markt in die Pflicht zu nehmen, hieße, die Klimaziele aufzugeben, denn sie sind nur noch wenige Jahrzehnte lang erreichbar.

    Anmerkungen

    1) Eine kürzere Fassung dieses Beitrags erschien im BNE-Journal der Deutschen Unesco-Kommission, Ausgabe 6, März 2009 (www.bne-portal.de/ coremedia/generator/pm/de/Ausgabe_006/01_Beitr_C3_A4ge/Beitr_C3_A4ge.html)

    2) zur Datierung vgl. Pfister, Christian (Hrsg., 1995). Das 1950er Syndrom. Der Weg in die Konsumgesellschaft. Bern: Paul Haupt.

    3) Eine Darstellung des Deregulierungsprozesses bei Reich, Robert (2008). Superkapitalismus. Wie die Wirtschaft unsere Demokratie untergräbt, Kap. 2. Frankfurt am Main: Campus.

    4) vgl. Harvey, David (2007). Kleine Geschichte des Neoliberalismus. Zürich: Rotpunkt.

    5) Krugman, Paul (2008). Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten, Kap. 1-3. Frankfurt am Main: Campus.

    6) Rügemer, Werner (2005). Cross Border Leasing. 2. Aufl. Münster: Westfälisches Dampfboot. Ders. (2008). Public Private Partnership. Bielefeld: transcript.

    7) zur Überschuldung vgl. Solte, Dirk (2007). Weltfinanzsystem am Limit. S.144-163. Berlin: Terra Media Verlag.

    8) Scherhorn, Gerhard (2009). Geld soll dienen, nicht herrschen. Die aufhaltsame Expansion des Finanzkapitals. Wien: Picus Verlag.

    9) Zingales, Luigi (2008). Plan B. In: The Economists' Voice, Vol. 5, Iss. 6, abrufbar bei www.bepress.com.

    10) Da die Banken die Kreditverträge gebündelt und auch jenseits der Grenze weiterverkauft haben, müsste über das Verfahren eine internationale Einigung erzielt werden.

    11) Zingales (2008), a.a.O; dem Vorschlag hat sich auch ein Partner der größten Schweizer Privatbank angeschlossen, siehe de Planta, Renaud (2009). Sanierung von Banken ohne Einsatz von Steuergeldern. Neue Zürcher Zeitung, 20. März.

    12) Zingales, Luigi (2009). Yes we can, Secretary Geithner! In: The Economists' Voice, Vol. 6, Iss. 1. Abrufbar bei www.bepress.com

    13) Jenner, Gero (2006). Energiewende. So sichern wir Deutschlands Zukunft. Berlin: Propyläen Verlag.

    14) Kommuniqué des Symposiums "Politische Leitplanken für nachhaltige Märkte und nachhaltigen Wettbewerb" an der Universität Frankfurt vom 31. 5. 2008, abrufbar unter www.ethisches-consulting.de

    15) Scherhorn, Gerhard (2009). Geld soll dienen, nicht herrschen. Wien: Picus Verlag.


    Prof. Dr. Gerhard Scherhorn ist Volkswirt, Emeritus für Konsumökonomik an der Universität Hohenheim, Stuttgart und Senior Consultant am Wuppertal Institut. Zum Thema Finanzkrise hat er zwei Bücher und mehrere Artikel veröffentlicht (s. Wikipedia oder www.gerhardscherhorn.de).

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