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»Wissenschaft ist also ein prinzipielles Gegen-den-Strom-Schwimmen.«

Klaus Holzkamp

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Humankapital

Der Bundeskanzler setzt sich für die Schaffung von Spitzenuniversitäten ein. Vorbild sind die USA. In diesem Zusammenhang wird auf den Brain Drain verwiesen: Abwanderung von Spitzenwissenschaftlern in die Vereinigten Staaten. Zugleich weiß man, daß in diesem so gern aufgesuchten Land große Teile des öffentlichen Bildungswesens unterfinanziert sind, vor allen im Schulbereich.

Wie passt das zusammen?

Die Antwort: Ein Brain Drain in die USA findet nicht nur an der Spitze statt, sondern auch an der Basis. Es ist ein Einwanderungsland. Jahre für Jahr kommen gut ausgebildete Menschen dorthin, nicht nur Wissenschaftler. Sie werden teilweise sogar nach ihrer Qualifikation rekrutiert. Sogenanntes Humankapital fließt aus anderen Ländern in die USA. Investitionen in die Grundausstattung werden so gespart. Sie können in die Spitze umgelenkt werden, und insgesamt ist es immer noch billiger.

In der Bundesrepublik gab es einmal eine ähnliche Situation: bis 1961. Aus der DDR kamen Facharbeiter und Abiturienten. Deshalb mußte zunächst für Schulen nicht viel ausgegeben werden. Nach dem Mauerbau allerdings wurde eine "Bildungskatastrophe" ausgerufen. Jetzt wurden neue Schulen gebaut, Universitäten gegründet oder besser ausgestattet.

Mitte der siebziger Jahre ging das Geld dafür aus.

Doch nach dem Mauerfall und nach der Öffnung der osteuropäischen Staaten kam eine unerhoffte Abhilfe. Insbesondere mit den deutschsprachigen Aussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion erfolgte ein neuer Brain Drain. Er findet ebenfalls vor allem unten statt, nicht oben: in den Labors und Krankenhäusern arbeiten Akademikerinnen und Akademiker, die ihre Ausbildung in Rußland und anderen Ländern der früheren UdSSR erhalten haben. Viele müssen ihre Laufbahn fast von vorn wieder anfangen. Selbst im Pflegebereich finden sich umgeschulte Medizinerinnen (die natürlich nicht mehr viel hinzulernen müssen).

Hinzukommen die Kinder aus Migrantenfamilien. Sie gingen allerdings schon auf Schulen in der Bundesrepublik und gelten da oft als "Problemfälle". Der Grund liegt darin, daß hier nicht genügend in ihre Integration und in die - vor allem sprachliche - Kompensation investiert wurde. Wer aber genauer in die Universitäten hineinsieht, merkt: Unter den ambitioniertesten Studierenden sind auffallend viele junge Leute aus der zweiten oder dritten Generation von Gastarbeitern. Sie nutzen eine Chance, so schmal sie auch sein mag, und ihre Motivation ist oft höher als die ihrer Kommilitonen mit älterer deutscher Paßtradition.

Die Osterweiterung der EU wird noch einmal den Brain Drain in das - formelle oder informelle - Kerneuropa erleichtern. Das ist ein volkswirtschaftlicher Glücksfall: (Human-)Kapital wird gebildet, ohne daß vorher groß investiert werden muß. So mag die Idee aufgekommen sein, man könne sich jetzt eine Elite-Universität leisten, und dann sei man schon Amerika.

Die Sache hat also ihre Logik. Es ist anzunehmen, daß das Bildungswesen in der Breite weiterhin finanziell vernachlässigt wird, während zugleich Investitionen in Bereiche getätigt werden, die betriebswirtschaftlich besonders gewünscht sind oder sonst wie etwa hermachen.

Vielleicht sollte man einmal darüber nachdenken, was man mit den Elite-Universitäten eigentlich will. Möchte man von ihnen einen schnelleren Transfer zwischen Wissenschaft und Industrie, sollte man sich den aktuellen Stand einmal ansehen. Man wird feststellen: an Technischen Hochschulen, Medizinischen Fakultäten, aber auch an vielen Fachhochschulen gibt es das schon längst. Harvard, Stanford, Princeton sowie - in Großbritannien - Cambridge und Oxford glänzen nicht durch schnelle Verwertung von Wissen, sondern in der Grundlagenforschung und manchmal sogar brotlos scheinenden Disziplinen.

Was will man also? Sparen mit schäbiger Eleganz.

Georg Fülberth in Frankfurter Rundschau vom 09.01.2004, S. 32,

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