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Klaus Holzkamp

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Studienkonten - eine (vermeidbare) hochschulpolitische Sackgasse zur Verhinderung von Wissenschaft!

05.12.2003: Stellungnahme des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) auf Einladung der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin aus Anlass der Anhörung am 5.12.2003

Studienkonten in Berlin

Grundlage: Dieter Dohmen: Eckpunkte eines Studienkontomodells zur Finanzierung der Hochschulen in Berlin - Gutachten im Auftrag der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin (Köln, Oktober 2003)

Das im Gutachten entwickelte Studienkontomodell (SKM) zielt im wesentlichen auf einen Funktionswandel der staatlichen Hochschulfinanzierung durch eine sich selbst tragende Einführung von Wettbewerbselementen. Es handelt sich dabei um die konsequenteste Umsetzung der bereits von verschiedenen bildungspolitischen Sachverständigenräten in den 90er Jahren geforderten "Umstellung von der institutionellen zur individuellen Bildungsfinanzierung". Der Grundgedanke liegt in der individuellen Ausstattung der Studierenden mit sog. Bildungsgutscheinen (Credits) in einem limitierten Umfang, welcher der Dauer eines "Normalstudiums" entsprechen soll. Diese Gutscheine symbolisieren eine Art Nennwert für die staatlichen Kosten zur Finanzierung der Lehre. Jede besuchte Lehrveranstaltung repräsentiert eine bestimmte (von Fach zu Fach unterschiedlich finanziell bewertete) Anzahl von Credits. Der besondere Clou des von Dr. Dohmen vorgeschlagenen Modells liegt dabei in der Verbindung der Bildungsnachfrage - Teilnahme an einzelnen Lehrveranstaltungen - mit der sog. "leistungsorientierten Mittelvergabe". Die lehrbezogene staatliche Hochschulsubventionierung soll sich künftig am Umfang der realisierten Credits orientieren. Dieser Umfang wird pro Einzelveranstaltung abgerechnet und als Summe den Fachbereichen zugewiesen. Damit hängt die Höhe der staatlichen Ausstattungsmittel von "der Anzahl der Studierenden" (S.31) ab. Dem Anspruch nach verbindet dieses Modell eine Stärkung der Interessenposition der Studierenden in der Hochschulorganisation mit einem Konkurrenzmechanismus zur "Qualitätssteigerung" der Lehre, deren Maßstab die Erhöhung der TeilnehmerInnenzahlen ist.

Mich interessieren im folgenden ausdrücklich nicht Fragen der technischen Realisierbarkeit des Modells. Ich unterstelle einfach, dass es funktionieren kann. Mich interessiert vielmehr die Frage, ob es sich um ein sinnvolles und gesellschaftlich wünschbares Modell einer Steuerung des Bildungsverhaltens sowie der für wissenschaftliche Bildung zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen (finanziellen) Ressourcen handelt. Ein weitere Aspekt liegt in der Frage, ob man analog die personellen fachlichen Ressourcen steuern kann; anders gesagt: ob auf der Basis des Dohmen- Modells eine sinnvolle Personalpolitik der Fachbereiche möglich ist.

In der internationalen hochschuldidaktischen Forschung hat sich ein Konsens herausgebildet, der folgendermaßen umschrieben werden kann: Im Zentrum einer Hochschulreform im allgemeinen - und einer Studienreform im Speziellen - muß das Lernen stehen - und ausdrücklich nicht die Lehre (in ihrer bloßen Angebotsfunktion)! "Lernen" wird hier verstanden als ein Prozeß des problemorientierten Erwerbs selbständiger wissenschaftlicher Urteilsfähigkeit, dem die Lehrangebote funktional, d.h. unterstützend, zugeordnet sind. Das SKM hingegen setzt steuerungspolitisch ausschließlich an der Lehre in ihrer Funktion als kundenorientiertes Angebot an, welches den Subjekten des Studiums, den Studierenden, völlig äußerlich ist. Dadurch werden viele vermeidbare Probleme geschaffen, über die im Detail noch zu reden sein wird.

Die Nachfrage nach Studienangeboten bzw. einzelnen Lehrveranstaltung ist zweifellos ein Faktor hochschulpolitischer Bewertung, kann aber m. E. nicht der zentrale Regulierungsmechanismus sein. Eine "kleine Nachfrage" bezogen auf einzelne Veranstaltungen ist ebenso wenig ein wissenschaftliches Qualitäts- bzw. gesellschaftliches Relevanzkriterium für erfolgreiche Bildungsprozesse wie - im umgekehrten Fall - eine "große Nachfrage". Einer "Abstimmung mit den Füßen" in Massenveranstaltungen hinein kann häufig dem Trend nach etablierten, gesellschaftlich anerkannten und erfolgsträchtigen akademischen Standards entsprechen. Innovative Wissenschaft hingegen, die mit dem jeweils etablierten Mainstream bewußt bricht, zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich ihre "Nachfrage" erst schaffen muß und in der Anfangsphase daher nur mit einer geringen Anzahl Beteiligter aufwarten kann. Obwohl nun aber gerade solche Ansätze die Innovationsfähigkeit des gesamten Systems prägen, werden sie im hier vorgestellten SKM negativ finanziell sanktioniert.

Um nicht missverstanden zu werden: Mir geht es nicht um den billigen rhetorischen Effekt eine formalen Gegenüberstellung von "Masse" und "Klasse". Große (Überblicks-) Vorlesungen können zweifellos auch sinnvoll sein. Diesen Sinn erhalten sie jedoch nur im Rahmen einer komplexen Studienorganisation, d.h. in ihrer unterstützenden Verbindung mit anderen wissenschaftlichen Arbeitsformen. Ein solcher Reformansatz, der das Studium als Prozeß des Lernens methodisch ins Zentrum stellt, wird durch den hier verhandelten Steuerungsmechanismus eines bloßen quantitativen "Auffüllens" einzelner Lehrveranstaltung im Sinne der angestrebten "maximalen Kapazitätsauslastung" (S. 47) konsequent verunmöglicht. Dies kann ökonomisch sinnvoll sein, bildungspolitisch und wissenschaftlich aber dennoch verheerende Konsequenzen haben.

Die Komplementärbegriffe wissenschaftlichen Denkens (und folglich auch Lernens) sind "Freiheit", "Freiwilligkeit" und "freie Vereinbarung". Ökonomische Steuerungsmodelle zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, dass sie durch Implementierung eines Reiz-Reaktions-Sanktions-Mechanismus zu einem Verhalten anhalten wollen, von dem vermutetet wird, dass die Individuen dieses von sich aus, d. h. beim Fehlen dieser Mechanismen, nicht wollen würden! Solche Steuerungsmodelle zielen folglich auf atomisierte Individuen, die primär ihre individuellen Vorteile in Konkurrenz mit anderen kalkulieren. Einem kooperativen, sich aus der Natur der Problemlösung ergebenden, wissenschaftlichen Arbeitsstil wirkt dies entgegen.

Zur akademischen Freiheit gehört auch die Entscheidung, den Besuch einer Lehrveranstaltung abzubrechen, weil dieser als nicht sinnvoll erachtet wird. Das kann eine Fehlentscheidung sein. Das Fehlverhalten kann aber ebenso gut auf Seiten der Hochschullehrer liegen. (Was im Bedarfsfall zu ermitteln wäre.) Das SKM unterstellt hingegen in einem solchen Fall ausschließlich ein Scheitern der Studierenden, indem es einen Abbruch als "nicht bestanden" bewertet, womit zugleich die Hälfte der für die Veranstaltung vorgesehen Credits, die bei Beginn "abgebucht" werden, irreversibel verloren sind. (S. 66f) Die asymetrische Beziehung zwischen Hochschullehrern und Studierenden wird auf diese Weise bekräftigt.

Dass durch das SKM die Position der Studierenden in der Hochschulorganisation tatsächlich gestärkt würde (S. 78), kann auch aus anderen Gründen bezweifelt werden. Im hier vorliegenden Nachfragekonzept realisiert sich ihr "Einfluß" lediglich als indirekter ökonomischer Effekt des Verhaltens vieler - und ist daher vom bewußten Handeln und Entscheiden der Subjekte völlig losgelöst! Im Grunde räumt dies der Autor auch ein, wenn er wie folgt argumentiert: "....die individuelle Motivation der Anbieter ist entscheidend für die Qualität der Lehre; die Studierenden können sich nur anpassen, nicht tatsächlich Einfluss nehmen." (S.54; dieser klärende Hinweis ist signifikanterweise in einer Fußnote verborgen).Ein wirkliche institutionelle Stärkung der Studierenden als Gruppe kann nur im Rahmen eines politischen Partizipations- und Verhandlungsmodells der Selbstverwaltung erfolgen, welches die aktive Mitgestaltung des Studiums in sich einschließt. Ein Nachdenken über nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten der Gruppenhochschule dürfte daher ein produktiverer Ansatz sein als alle mir bekannten Studienkontomodelle.

Das SKM konzentriert seinen Regulierungsmechanismus auf das Verhältnis von individuellem Studienverhalten und Lehrangeboten und separiert damit konsequent die Forschung von der Lehre. Der äußerliche Dienstleistungs- und Präsentationscharakter der Lehre würde dadurch verstärkt. Es ist einzuräumen, dass auch der Autor die Gefahr einer inhaltlichen Verflachung diskutiert. Außer - sehr allgemein gehaltenen- Appellen, man möge doch "Qualitätssicherungsmechanismen" verstärken (S.80), zieht er daraus jedoch keinerlei befriedigende Konsequenzen im Rahmen seines Modells. Zu befürchten ist zweierlei: Erstens ein sich verstärkender Trend zur Gewichtung von Marketingaspekten und zugleich zur formalen Didaktisierung und Technisierung der Lehre, welcher zu Lasten der wissenschaftlichen Substanz gehen kann. Zweitens eine Verstärkung des "Auswanderns" der Forschung und/oder eine stärkere Polarisierung (und Hierarchisierung) innerhalb des wissenschaftlichen Personals.

Das Gutachten will das Gutscheinmodell mit der "leistungsorientierten Besoldung" verbinden (S. 14), schweigt sich aber über die personalrechtlichen und personalwirtschaftlichen Konsequenzen aus. Dies war - zugegeben - auch nicht der Arbeitsauftrag des Gutachters, verantwortliches hochschulpolitisches Handeln muß jedoch diese Konsequenzen in Rechnung stellen. Die Frage ist, wie die "Fluktuation" des Lehrpersonals entsprechend der "Nachfrage" der Studierenden gestaltet werden kann. Dies bezieht sich unmittelbar auf die Beschäftigungssituation im Sinne von Einstellungen, Befristungen, Vertragsverlängerungen und Entlassungen. Da angenommen werden kann, dass die dienstrechtliche Stellung der Professoren eine solches Hin-und-Her-Schieben nicht zuläßt und da zweitens davon ausgegangen werden kann, dass zwei Drittel des Arbeitsaufwandes für die Lehre auch jetzt schon vom akademischen Mittelbau aufgebracht wird, steht zu erwarten, dass das SKM zu einer weiteren Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse gerade dieser Gruppe führt.

So ist - last not least - zu befürchten, dass eine konsequente Realisierung des SKM auch allen Anstrengungen einer Professionalisierung und aufgabenorientierten Reform des Hochschuldienstrechtes - möglichst im Rahmen eines Wissenschaftstarifvertrages- entgegen wirkt.

Personen:
>Torsten Bultmann

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