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Torsten Bultmann: Konfliktmuster um die Fortsetzung der Exzellenzinitiative

05.05.2009: Diskussionsbeitrag auf der Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wissenschaft der Linken am 27.3.2009 in Berlin (Karl-Liebknecht-Haus)

Mittlerweile liegen offizielle Zwischenbilanzen der Exzellenzinitiative (EI) vor. Etwa in Gestalt der Gemeinsamen Kommission der DFG und des Wissenschaftsrates und eines auf Datenerhebung gestützten Monitoring des Bonner Instituts für Qualitätssicherung. Zu den "Zukunftskonzepten" (3. Förderlinie) hat der Wissenschaftsrat einen eigenen Materialienteil herausgegeben, der z.T. unveröffentlichte Informationen über die Fördermotive enthält. 1) Wenn man sich nicht am affirmativen Grundton dieser Dokumente stört, kann man ihnen wichtige Aussagen entnehmen, die, unter Hinzuziehung zusätzlicher Informationen aus den bisherigen Debatten um die EI, wichtige Schlussfolgerungen zu deren künftigen Legitimationskonflikten zulassen.

In der Anfangsphase wurde die EI in der Regel als eine Art Hochschulsonderprogramm zur Förderung der universitären Spitzenforschung dargestellt - davon gab es in der Vergangenheit viele - , in dessen Folge ausgewählte Bereiche mehr Finanzmittel erhalten; für den Rest des Hochschulsystems ändere sich hingegen nichts. Das behauptet heute kaum noch jemand. Mittlerweile lässt sich aus vielen Dokumenten zur EI selbst zitieren, bei dieser handle es sich um einen grundlegenden Strukturwandel, einen "Paradigmenwechsel" innerhalb des deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystems: "Es ist ein Ruck durch die Universitäten gegangen, der zu einer neuen Qualität der Struktur- und Entwicklungsplanung in einem umfassenden Sinne geführt hat." (Gemeinsame Kommission S. 59) Wenn das der Fall ist, hätte dies folglich Konsequenzen für alle Sektoren dieses Hochschulsystems, für Steuerungsformen, Verhaltensmuster wissenschaftlicher Akteure, Konkurrenzformen und Geldverteilungsmechanismen. Bezugsfolie einer kritischen Diskussion muss daher auch das Hochschulsystem in Gänze sein. Es geht um die Frage, ob der angestrebte Strukturbruch gesellschaftlich sinnvoll ist - oder eben nicht. Es geht nicht um das Problem, ob der im Rahmen der EI geförderte Cluster X oder die Graduiertenschule Y möglicherweise eine sinnvolle wissenschaftliche Fragestellung enthalten. Es handelt sich also um eine genuin politische Debatte um das künftige Hochschulsystem und nicht um eine über wissenschaftliche "Leistungen". Das war auch schon bisher der Kern des Streites. Die KritikerInnen (mich eingeschlossen) argumentierten, der EI läge primär eine politische Entscheidung mit dem Ziel der administrativen Konstruktion ungleicher materieller Leistungsbedingungen zugrunde, auf das Hochschulsystem würde eine Art elitäre "Parallelstruktur" draufgestülpt, auf die sich finanzielle Zuwächse künftig konzentrieren. Die BefürworterInnen behaupteten, die EI sei lediglich die Anerkennung ohnehin bestehender wissenschaftlicher Leistungsunterschiede, die sich aber in den traditionellen bürokratisch-egalitären juristischen und finanziellen Steuerungsmechanismen der Hochschulpolitik nicht widerspiegeln würden.

BefürworterInnen und KritikerInnen der EI operieren - nur scheinbar paradox - mit den gleichen Belegen: die Top-20-Hochschulen, die die höchsten Bewilligungssummen der DFG in den Jahren 2005-2007 erhielten, teilten auch 70% aller Exzellenzmittel unter sich auf. (Gemeinsame Kommission, S. 31) Gelten auf der einen Seite DFG-Mittel als Ausdruck von "Leistungsfähigkeit" in der Spitzenforschung, weswegen etwa "Drittmittelwerbung im Verhältnis zu Budget und Größe der Universität" (ebd. S.21) ein ausdrückliches - quasi rückwärtsgewandtes - Förderkriterium der EI waren, lässt sich eine derartige Beweisführung auch so wenden, dass unter Bedingungen einer seit Jahrzehnten stagnierenden Grundmittelfinanzierung der Hochschulen, diejenigen mit dem höchsten Drittmittelaufkommen auch über die relativ besten materiellen Leistungsbedingungen verfügen; eine Ungleichverteilung folglich, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten herausgebildet hat und jetzt im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung von der EI noch einmal getoppt wird. Ein zusätzlicher Grund, hinter dieser vor allem einen politischen Willen zu vermuten. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Gemeinsame Kommission für Fortsetzungsanträge der 3. Förderlinie ("Eliteuniversitäten") den Modernisierungsgrad der "administrativen Strukturen der Universitäten" - wohl gemeint: die Annäherung an das Leitbild der "unternehmerischen Hochschule" - zu einem ausdrücklichen Förderkriterium erhebt. (S. 75). Das wäre dann definitiv keine Bewertung wissenschaftlicher Leistungen mehr.

Die EI bestimmt zugleich das mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbundene Handeln der Hochschulleitungen weit über den Kreis der Sieger hinaus. Wer als Hochschule etwa in der Liga der ersten 20 - oder auch der ersten 30 - in den zentralen Forschungsrankings mitspielt, hat im Grunde nicht mehr die Entscheidungsfreiheit, sich an der EI zu beteiligen - oder eben nicht. Wer darauf verzichtet, verliert an Profil und riskiert einen finanziellen Ausstattungsverlust gegenüber Konkurrenzhochschulen, die in derselben Liga spielen.

Im folgenden sollen die Wirkungen der EI auf das ganze Hochschulsystem an einigen Beispielen erläutert werden.
Die NRW-Landesregierung hat Anfang diesen Jahres den Entwurf eines Fachhochschulausbaugesetzes vorgelegt. In der Begründung heißt es, man wolle den relativen Anteil von Studierenden an Fachhochschulen steigern, weil "die hohen Ausbildungslasten der Universitäten nicht förderlich bei der weiteren Exzellenzentwicklung sind." 2) Das muss unmittelbar noch gar keine Konsequenzen haben, zeigt jedoch, wie sich perspektivisch die Optik auf Hochschulentwicklung verändern kann. Bestrebungen, die Studierendenzahlen an Universitäten zu senken, die sich auch unabhängig von der EI bereits seit längerem in diversen Schubladen befinden, werden auf diese Weise noch einmal gestärkt.

Der niedersächsische Landtag beschloss Ende letzten Jahres die Gründung einer sog. Niedersächsischen Technischen Hochschule (NTH). Bis dato war Göttingen die einzige in der 3. Förderlinie erfolgreiche "Eliteuniversität" im Land. Die TU Braunschweig, die sich selbst im Konsortium der TU-9 für herausragend hält, war in allen drei Förderlinien erfolglos. Die NTH soll aus der Kooperation der technisch orientierten Universitäten Hannover, Clausthal und Braunschweig entstehen. Sie ist eine Art Superstruktur, in der ausschließlich Promotionsstudiengänge oberhalb der grundständigen Aufgaben der drei Basisuniversitäten angeboten werden. Sie hat eigene Gremien (Präsidium, Senat) aber keine eigenen personellen und finanziellen Ressourcen. Genauer: ihr Jahresbudget beträgt 5 Millionen Euro, die weitgehend für Verwaltung draufgehen dürften. Da innerhalb der NTH jedoch kapazitätswirksame Leistungen angeboten werden, bedeutet dies bei gleichbleibenden Mitteln den Effekt einer Umverteilung "nach oben". Im grundständigen Bereich der drei Basishochschulen werden, so darf vermutet werden, Studien- und wissenschaftliche Arbeitsbedingungen sich verschlechtern. So wird in aller Offenheit diskutiert, dass etwa der Bachelor Studiengang Verkehrswissenschaft in Hannover, dessen aufbauender konsekutiver Masterabschnitt ausschließlich in Braunschweig angeboten werden soll, künftig im wesentlichen durch Lehrbeauftragte personell abzusichern sei. (Hannoversche Allgemeine Zeitung 23.8.08)

Begründet wurde diese seltsame Kreation NTH vor allem mit dem Argument, man sei nur durch eines solche Struktur in künftigen Exzellenzwettbewerben konkurrenzfähig. Das Beispiel zeigt plastisch, wie die EI die Herausbildung von Hybridstrukturen auch fernab der in ihr erfolgreichen Hochschulen fördert. Dies geht zu Lasten der grundständigen Aufgaben und der Grundfinanzierung des Hochschulsystems, dessen Ausstattung sich zunehmend in der sog. Spitzenforschung konzentriert.

Dies lässt sich nicht zuletzt an der mit der EI verbundenen Personalpolitik exemplifizieren. Die EI war von vornherein mit der Zielsetzung verbunden, auf dem internationalen wissenschaftlichen Arbeitsmarkt erfolgreicher zu werden: es gelte, sowohl exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchs als auch etablierte SpitzenprofessorInnen nach Deutschland zu holen. Dabei erweist sich die gesetzlich geregelte deutsche Personalstruktur als kaum konkurrenzfähig. Als Haupthindernis werden in der Regele genannt: a) das weitgehende Fehlen von Tenure-Track-Optionen, d.h. der Möglichkeit, ein befristetes Beschäftigungsverhältnis im Bereich wissenschaftlichen Nachwuchses in eine reguläre Beschäftigung überzuleiten; b) die relativ niedrige durchschnittliche Besoldung deutscher Professuren. Während etwa das Anfangsgehalt eines Neuberufenen an der ETH Zürich bei etwa 180 Tsd. Euro pro Jahr liegt, ist das Maximum an deutschen Hochschulen - und dies nur bei Ausschöpfung sämtlicher Alters- und Leistungszulagen - etwa 130 Tsd. (in den Genuss kommt auch nur eine verschwindende Minderheit). Als Reaktion darauf hat etwa NRW den sog. Vergaberahmen aufgehoben, d.h. die Besoldungshöhe von Professuren "nach oben" grundsätzlich frei gegeben. Dabei ergibt sich allerdings ein Problem: wenn nämlich die Personalbudgets insgesamt nicht erhöht werde, kann eine bessere Bezahlung von Spitzenpositionen nur durch eine Absenkung von Entgelten und Beschäftigungsstandards in anderen Bereichen - zu vermuten: im grundständigen Studium - ermöglicht werden. Dies Problem räumen auch die Verfechter der EI unumwunden ein: "Auch wenn in einigen Bundesländern der Vergaberahmen offenbar aufgehoben wird, führt er in den meisten Fällen gegenwärtig noch dazu, dass teure W3-Berufungen die W2-Gehälter auf ein nicht mehr konkurrenzfähiges Niveau drücken." (Gemeinsame Kommission S. 66)

Im Rahmen der EI wurden tatsächlich einige Tenure -Track-Stellen geschaffen. An der RWTH Aachen betrifft dies sogar 50% der aus Exzellenzmitteln finanzierten Juniorprofessuren. (Wissenschaftsrat 21.11.08, S.37) Auf die Folgeprobleme weist der iFQ-Bericht hin: "Wenn die Finanzierung der Tenure-Track-Stellen für die Zeit nach dem Auslaufen der Exzellenzinitiative von den Fakultäten und der Hochschulleitung zugesagt wird, müssen hochschulintern Reallokationen der Mittel durchgeführt werden." (iFQ, S. 88) Zu deutsch: auch nach dem Auslaufen der Exzellenzförderung wirkt diese im Sinne einer fortgesetzten Mittelumverteilung nach. Da sich im Rahmen einer auf fünf Jahre befristeten Sonderfinanzierung aus EI-Mitteln keine international konkurrenzfähigen Forschungsmonopole aufbauen lassen - gerade in den ersten beiden Förderlinien wird es keine ›automatische‹ Weiterfinanzierung über die 2. Auflage der EI geben -, lastet auf den erfolgreichen Hochschulen ein genereller Druck, das mit diesen Mittel Begonnene über eine Umschichtung aus regulären Haushaltsmitteln fortzusetzen. Diese werden an andere Stelle schmerzlich fehlen.

Bereits jetzt informieren uns die Zwischenberichte über heftige Verteilungskämpfe an den Hochschulen, welche durch die Exzellenzförderung ausgelöst wurden. Aus Exzellenzmitteln werden einerseits neue Personalstellen geschaffen und befristet besetzt. Auf der anderen Seite wird in den Einrichtungen der ersten beiden Förderlinien, also in Graduiertenschulen und Clustern, auch reguläres Personal der jeweiligen Fakultäten eingesetzt. Offenbar ist es üblich, dessen Lehrtätigkeit etwa in den Graduiertenschulen auf ihr Gesamtlehrdeputat anzurechnen. Damit wird zugleich bei den grundständigen Aufgaben Lehrkapazität entzogen, die ausgeglichen werden muss. Wenn dann kein Geld für die Schaffung neuer Haushaltsstellen zur Verfügung steht, bedeutet dies entweder eine Mehrbelastung des vorhandenen Personal oder eine Zunahme prekärer Beschäftigungsformen (Lehrbeauftragte, PrivatdozentInnen). Dieser Sachverhalt wirft auch erhebliche (kapazitäts-)rechtliche Probleme auf, die aktuell nicht gelöst sind. (iFQ, S.85)

Schließlich verschärft die EI die allgemeine Konkurrenz zwischen allen Hochschulen. Die geförderten Einrichtungen sind nicht nur auf die Finanzen aus dem Exzellenztopf angewiesen, sondern können sich auch um zusätzliche Mittel aus dem sonstigen Wissenschaftsmarkt, etwa aus dem DFG-Budget, bewerben. Das mit dem Prädikat "Exzellenz" verbundene symbolische Kapital verschafft ihnen dabei einen erheblichen Konkurrenzvorteil. Als ein Kriterium für erfolgreiche Fortsetzungsanträge in der 3. Förderlinie ("Zukunftskonzepte") nennt die Gemeinsame Kommission ausdrücklich den Umfang eingeworbener DFG- oder EU-Mittel. (S.74)

Das Beispiel bestätigt noch einmal plastisch, dass über Exzellenzpolitik Finanzmittel, die grundsätzlich allen Hochschulen zur Verfügung stehen, wie ein Staubsauger von der administrativ konstruierten "Elite" angesogen und in ganz wenigen Bereichen konzentriert werden. Es ist die Potenzierung des viel zitierten Matthäus-Effektes. Damit werden alle strukturellen Deformationen und Probleme des gegenwärtigen Hochschulsystems verschärft. Gelöst wird hingegen nichts. Die Kehrseite der Elitenbastelei ist Bildungsabbau und Dequalifizierung in der Breite des Hochschulsystems.


Fußnoten:
1) DFG/Wissenschaftsrat: Bericht der Gemeinsamen Kommission zur Exzellenzinitiative an die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz. Bonn November 2008 (im folgenden zit.: Gemeinsame Kommission); Institut für Qualitätssicherung (Michael Sondermann, Dagmar Simon, Anne-Marie Scholz, Stefan Hornbostel): Monitoring der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder: Bericht zur Implementierungsphase. Bonn 31.Juli 2008 (im folgenden zit.: iFQ);
Wissenschaftsrat: Bericht der Strategiekommission des Wissenschaftsrates: Auswertung der geförderten Zukunftskonzepte. Köln 21.11.2008 (Drs. 8815-08) (im folgenden zit.: Wissenschaftsrat 21.11.08)
2) Gesetzentwurf der Landesregierung: Gesetz zum Ausbau der Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen; Landtag NRW/14.Wahlperiode. Drucksache 14/8290 (S.1)

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